Tuesday, June 18, 2013

Begegnung am Bahnhof




 

 

 

Monday, June 17, 2013

opfern zu müssen. Rosi holte das Geld, sie wollte es nicht, aber sie wagte nicht den Eltern zu widersprechen. Sie fühlte die Verantwortung und war überfordert. Sie war höchst nervös. Sie wusste nicht recht, wo sie es hin stecken sollte, damit es ihr niemand entreißen konnte oder damit sie es sicher nicht verlöre. Das Geld war in einem Kuvert. Dabei war auch die Abrechnung mit Name und so. Wie wenn es passieren musste, sie verlor das Geld. Sie hatte es in die Unterhose gesteckt. Der Gummi der Hose sollte das Kuvert fest halten. Durch die Gehbewegung löste sich das Kuvert und fiel zu Boden. Als sie den Verlust bemerkte, traf sie beinah der Schlag. Sie sagte, die Füße trugen sie nicht mehr. Sie wollte sterben. Ach, lieber Gott, lass mich sterben, nimm mich aus dieser Welt! Hat sie gebetet. Doch der liebe Gott holte sie nicht hinweg. Als sie wieder etwas denken konnte, lief sie zurück. Sie geriet außer Atem, fiel hin, die Strümpfe waren an den Knien kaputt gegangen und Blut floss das Schienbein hinunter. Sie konnte unmöglich etwas sehen vor Erregung und Stress. Sie fand das Kuvert nicht. Die Wirtin, die das Geld ausgab, konnte ihr auch nicht helfen. Rosi war in tiefster Verzweiflung. Sie musste nun nach Hause gehen und es den Eltern gestehen. Sie musste dadurch. Das Schicksal erspart es ihr nicht. Sie hoffte zu Tode geprügelt zu werden, um diesen Schmerz der Verzweiflung los zu werden. So ging sie nach Hause wie im Trance, sagte sie mir. Sie war gar nicht mehr in ihrem Körper als sie zu Hause ankam. Was ist geschehen, wie siehst du aus, hast du das Geld, nein, du hast es nicht, wurde sie von der Mutter bombardiert. Nein, ich habe es nicht, ich habe es verloren. Und wenn ich jetzt erschlagen werde, ich kann nicht anders. Jetzt reißt mein Gedächtnis ab. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht ertrug ich es nicht, was sie mir weiter erzählte, vielleicht verstopfte mir etwas die Ohren, ich erinnere nur mehr einen ganz tiefen Schmerz, einen Schmerz des Mitleides oder des Mitgefühls mit dem Kind, das meine Schwester war, ich weiß es nicht mehr, ich glaube, sie wurde fürchterlich gedroschen, sie überlebte die Schläge, sonst wär' sie nicht mehr da. Meine Schwester schien unter Strom zu stehen, als sie mir das erzählte. Das Ereignis in der Originalzeit ging völlig an mir vorüber, ich erinnere nicht einmal Splitter dieses Vorfalls. Ich muss doch etwas mitgekriegt haben. Meine Schwester wirkte auf mich, als wäre in ihr ein Erdbeben im Gang. Sie schwitzte, sie weinte, sie zitterte, sie ging scheinbar noch einmal durch die Gefühlshölle von damals. Sie war völlig erschöpft, ich musste sie halten, wir setzten uns ins Gras. Nach geraumer Zeit des Schweigens, sagte sie, ich danke dir, dass du da bist, und ganz ruhig fügte sie hinzu: lass uns heim gehen! Ich musste weinen und wir gingen. Im Übrigen, die Sache nahm ein gutes Ende. Ein Bauer hatte das Kuvert gefunden, er war ein ehrlicher Finder, er identifizierte mithilfe der Abrechnung die Besitzer des Milchgeldes und trug das Kuvert zur Wirtin zurück. Da es kein Telefon gab,  krämten sich meine Eltern, auch Rosi bekam die Begebenheit nicht los, unnütz bis zum nächsten Sonntag um ihr Geld, das sie für unwiederbringlich hielten. Am Sonntag ging unsere Mutter zur Wirtin, um sich auszuweinen über das Unglück. Die Wirtin rannte ihr entgegen, als sie sie erblickte, und sagt: Gut, dass sie endlich da sind. Ich machte mir die ganze Woche Sorgen um euch und um eure Rosi, ihr müsst ja Schreckliches durchgemacht haben. Aber tröstet euch, das Geld ist da! Der Bauer M. hat es dort und dort gefunden. Es ist noch alles drin. Meine Mutter sagte, sie hätte in die Hose gemacht, die Nerven hätten ausgelassen. Sie nahm das Geld zu sich und hatte das Gefühl eine Gottesgabe nach Hause zu tragen. Der Bauer wollte keine Entschädigung, er erfuhr, dass er ein Kind glücklich machen würde und ging mit einem strahlenden Lächeln aus der Gaststube. Der Dank wird nie ganz verstummt sein, der ihm nachgerufen wurde.
Die Vergewaltigung
Eine Vergewaltigung sollte nie passieren. Gewiss. Und dennoch passieren sie. Immer wieder. Eines gleich vorweg. Das Opfer war meine Schwester Rosi. Sie erzählte mir von der Gewaltigung, die sie hat zu „Hause“ erleiden hat müssen, bei ihrem letzten Besuch, rund ein halbes Jahr vor ihrem Tod. Ich hätte es nie für möglich gehalten und wäre nie auf die Idee gekommen, dass ihr das widerfahren ist. Aber ich glaube ihr. Ich streckte unter den Verwandten die Fühler aus, um zu erfahren, ob sie von einer Vergewaltigung etwas wüsten. Nein, sie wussten nichts davon, soweit ich mich erkundigt habe. Ich rückte schnell von meiner Erkundigung ab. Ich stieß auf  Unverständnis. Ich erzählte was ich von Rosi erfahren hatte. Meine  Mitteilung über dieses Ereignis und  meine Erkundigung, ob man davon etwas wüsste, war meinen Gesprächspartnern sehr unangenehm. Ich verlor die Lust, mich weiter darüber austauschen zu wollen. Rosi war inzwischen tot. Zu ihren Lebzeiten wollte ich über mein Wissen nichts sagen. Ich hatte den Eindruck, sie wollte mit mir darüber sprechen und sonst sollte es ein Geheimnis bleiben. Sie war damals vierzehn Jahre alt, sagte sie mir. Sie musste  allmorgendlich in der Kammer des Knechtes das Bett machen. Die Kammer des Knechtes war ziemlich weit abgelegen  von den Räumen, die wir nutzten. Also Stube und Küche. Für gewöhnlich verließ der Knecht so ungefähr um sieben Uhr die Kammer, um in die Stube zum Frühstück zu kommen und dann an die Arbeit zu gehen. Rosi servierte ihm also wie immer das Frühstück, ganz so wie es ihr befohlen war. Dann begab sie sich in die Kammer, um das Bett zu machen, ganz wie es ihr befohlen war. Er ist ihr nach geschlichen, hat sie in der Kammer überrascht, ihre Schrecksekunde ausgenutzt, ihr den Mund zu zuhalten, dann warf er sie ins Bett, riss ihr die Unterwäsche vom Leib und ging ans Werk. Der Mann war sehr kräftig, er ging sehr grob vor, sie hatte große Angst und fürchtet um ihr Leben, sie wollte in diesem Augenblick nur überleben, sie hatte Angst, ihre Gegenwehr könnte ihn provozieren und ihn dazu verleiten, seine Gewaltanwendung zu erhöhen, sie fürchtete schwere Verletzungen oder gar, dass er sie umbringen könnte. Als er fertig war, entließ er sie und drohte ihr, er würde sie umbringen, wenn sie was davon sagte. Sie hatte große Angst, sie sah um sie herum nirgendwo Schutz und Hilfe. Man würde ihr nicht glauben, fürchtete sie. An dieser Stelle muss ich anfügen, meine Schwester wurde von unserer Mutter ständig misshandelt. Ich habe es selbst wiederholt gesehen. Schon von klein auf beaufsichtigte sie auf Verlangen der Mutter den Herd. Weil sie nicht auf die Herdplatte sehen konnte, stand sie auf einem Stockerl. Von da aus hob sie die Deckel, rührte sie die Töpfe, zerrte sie von der Herdmitte an den Herdrand. Es war Rosi, die  allmorgendlich das Frühstück kochte. Milch für den Cao cao aufkochen, das Pulver rein rühren, den Cao cao von der Herdmitte ziehen, damit er nicht überkochte, etc. Meine Schwester beherrschte diese Vorgänge nicht immer. Zu stark geheizt, zu früh das Cao cao Pulver eingerührt, zu spät von der Herdmitte gezogen, derlei Pannen qittierte die Mutter mit äußerster Strenge. Ich hörte die Mutter schreien, die ärgsten Schimpfwörter fluchen , auch wenn ich noch Bett lag oder weit ab bei irgend einer Arbeit. Ich zuckte jedesmal zusammen, wenn ich diese Fluchkanonaden hörte und zitterte am ganzen Körper, denn oft blieb es nicht bei den Schimpfwörtern, sondern sie wurde handgreiflich, ich hörte die Schreie der Mutter, die dem Rhythmus nach mit Schlägen begleitet waren. Meine Schwester schrie in eben denselben Rhythmus. Es war entsetzlich, was in dem Moment in mir vorging und war entsetzlich, wenn ich dann später meine Schwester sah, die Haare zerrauft, die Kleider in Unordnung und Schluchzen, während sie meistens schon wieder hastig bei der Arbeit war, als wollte sie jetzt alles gut machen. Ein Jammertal. Ich konnte ihr nicht helfen. Ich hatte selber Angst, die Wut der Mutter könnte sich an mir entladen. Der Vater war sichtlich damit einverstanden. Er mischte sich  nicht ein, er beschützte seine Tochter nicht. Meine Schwester Rosi sagte mir einmal, ach, wär' er doch länger im Krieg geblieben, als er heim gekommen war, schlug unsere Mutter noch viel hemmungsloser zu. Meine Schwester war 1939 geboren worden. Unser Vater kam 1946 aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause. Das also das Umfeld.  Meine Schwester sagte also meinen Eltern nichts, weil sie für sich Schlimmes befürchtete. Meine Schwester sagte mir auch, dass sie nicht mehr wie gewohnt nach dem Frühstückservieren in die Kammer des Knechtes gehen wollte, um die üblichen Arbeiten zu erledigen. Sie drückte sich, versuchte Zeit zu gewinnen, bis der Knecht auf dem Feld wäre. Solange meine Mutter in der Küche zu schaffen hatte, war sie geschützt, aber meine Mutter blieb nicht immer, es war nicht berechenbar, wann sie die Küche verließ und in den Stall ging. Die Mutter merkte, dass die Rosi sich zierte, sich drückte, versuchte die Zeit in den Griff zu kriegen, dass dem Knecht keine Gelegenheit entstand ihr zu folgen. Was machte nun unsere Mutter, was glaubst du, Leserin und Leser, was wünschen wir uns alle? Ich fürchte unsere Annahmen und Wünsche sind weit ab von der Realität. Weil die Handlung unserer Mutter unvorstellbar ist. Sie unterstellte meiner Schwester Faulheit, Drückebergerei, sie fragte nicht nach, was denn los sein, warum sie sich scheue in die Kammer zu gehen. Der Knecht bekam das alles mit, er saß ja nebenan bei seinem Frühstück. Er wusste, dass Rosi keinen Rückhalt bei den Eltern hatte. Ich weiß nicht wie oft die Vergewaltigungen passiert sind. Ich wollte Rosi auch nicht fragen, ich wollte dass die Zeit zu sprechen nunmehr ihr gehört, ich wollte sie nicht ablenken. Sie entsetzte sich auch nicht so sehr über den Knecht, der sie misshandelt hatte, sondern vielmehr über die Mutter und in deren Hintergrund über den Vater, die sie dem Knecht ausgeliefert hatten. Die Mutter drohte mit Flüchen und griff nach dem Besen, um Rosi in die Kammer zu treiben. Rosi war entsetzt und voller Wut auf unsere Eltern. Sie spuckte vor sich aus. Ich spucke auf meine Eltern. Ich kenne keine größeren Arschlöcher als meine Eltern! Ich war auch entsetzt und ich glaubte ihr. Sie war für mich identisch.
Jetzt hatte ich nun dieses Wissen in meinem Kopf. Der Knecht stand wieder vor mir, wie ich ihn kannte. Ich hatte ein ganz anderes Bild von ihm. Er spielt mit mir Fußball, sehr fair. Ich tat mich mit ihm leicht, ich musste mich nicht verstellen, er ertrug mich wie ich war. Ich verweigerte mich sogar seinen Befehlen oder Aufträgen, das wollte er aber gar nicht akzeptieren. Als ich an die zehr Jahre alt geworden war, wuchsen mir die Beine und ich wurde immer schneller. Er verfolgte mich, aber erwischte mich nicht. Er war nicht nachtragend, er resignierte, holte sich den Most selber aus dem Keller, und am nächsten Tag konnten wir uns wieder über den Weg gehen. Ich schätzte diese Großzügigkeit. Ich war traurig, als mein Vater ihn entließ. Er sagte, es gefiele ihm hier und er wäre nicht scharf auf die Fabrikarbeit. Die Knechte wanderten überwiegend in den Raum um Linz ab und wurden Fabrikarbeiter. Er wirkte sehr naturverbunden. Er konnte stunden- und tagelang alleine im Wald arbeiten. Er liebte es, sich den Geisbock mit in den Wald zu nehmen. Zu seiner Unterhaltung, wie er sagte.  Der Geisbock ging nicht verloren, wie die Mutter gelegentlich fürchtete. Der Geisbock bliebe bei ihm wie ein Hund, sagte er. Wenn er ihn ruft, ist er zur Stelle. Das wollte keiner glauben. Der Knecht, er hieß Toni, faszinierte mich. Er beschützte auch einmal Franz, meinen Bruder, als ihn mein Vater abscheulich anging. Wir aßen damals manchmal aus einer Schüssel auf der Tischmitte. So aßen wir so u. a. nahrhafte Suppen mit Fleischstückchen, Knödel usw. drinnen. Die Kinder hatten beim Schöpfen mit dem Löffel immer Nachrang. Die Erwachsenen bekamen die guten Fleischstücke, die Knödel... Ich kann mich erinnern, dass ich immer Hemmung hatte nach einem Fleischstück zu greifen. Die Mutter v.a. konnte sehr verletzend sein. Gelegentlich bekam ich einen Schlag mit dem Löffel auf die Finger und wurde beschimpft, dass ich mir das Fleisch heute mit meiner Leistung noch nicht verdient hätte. Ich scheute diese Demütigung, die sie für mich nun einmal war. Die gleiche Erziehungsmaßnahme vollstreckte mein Vater an seinem Sohn Franz, der damals vierzehn Jahre alt geworden war. Der Knecht intervenierte:  Bauer, der Franz hat sich die Fleischstücke schon verdient, der arbeitet schon wie ein Erwachsener. Ich bewunderte Toni, unseren Knecht! Vater gab klein bei, was mich nicht schlecht erstaunte. Na gut, wollen wir's durchgehen lassen, sagte er für mich wenig überzeugend. Er kochte vor Wut. Mir hat nichts mehr geschmeckt. Wo entlädt sich nun seine Wut, bei mir hoffentlich nicht! Das war also Toni – für mich. Zu Frauen benahm er sich schlecht. Er zeugte mit unserer letzten Dirn, eine junge Frau von rund achtzehn Jahren, ein Kind. Die Dirn wurde entlassen, der Knecht nicht. Das ist Bauernlogik! Als die Dirn einige Jahre später einmal bei uns vorbei schaute – den Grund ihres Kommens bekam ich nicht mit – fragten meine Eltern sie, wer denn der Vater sei. Sie sagte: der Toni und sonst keiner. Der Toni leugnete die Vaterschaft, solange er nur konnte. Schlussendlich erklärte ihn das Gericht zum Vater und er musste Unterhalt zahlen. Als er von meinem Vater entlassen wurde, inzwischen teilte mein Vater die Auffassung, dass Franz schon wie ein Erwachsener arbeitete, ohne ihm das offen zuzugestehen – da nehme ich Gift darauf - , wurde er Fabrikarbeiter. Er kam nie mehr wieder zu Besuch. Er heiratete die Tochter eines Kleinbauern aus der Nachbarschaft. Gretl hieß sie, sie ersetzte öftere Male unsere Mutter in unserem Haushalt, wenn Mutter ins Spital musste, einmal aus dem Grund, weil sie ein Kind gebar, wo ich Gretl sehr angenehm empfand. Die Gretl wirkte glücklich, wenn ich sie zu Gesicht bekam. Toni war womöglich ein guter Ehemann und Familienvater. Rosi nahm ihr Geheimnis mit in ihr Grab. Ich schaffte es nicht, Gretl über das in Kenntnis zu setzen, was ich von Rosi erfuhr, obwohl ich Gelegenheit dazu hätte, denn sie ist meiner Herkunftsfamilie gegenüber sehr anhänglich und taucht z. B. bei Begräbnissen innerhalb unserer Verwandtschaft immer wieder als treue Begleiterin auf. Zuletzt sah ich sie beim Begräbnis meiner Schwester Rosi.
Stanislaus, das Flüchtlingskind
Es war in der ersten oder zweiten Klasse, da tauchte überraschend ein mageres blondes Bürschchen auf. Das Bürschchen sprach nicht viel, gerade wenn man es gefragt hatte. Wir versammelten uns um den Knaben, der sehr ärmlich gekleidet war .., der eine oder andere von uns fragte ihn, wie er heiße, obwohl die Lehrerin ihn uns schon vorgestellt hatte: Stanislaus. Aber dieser Name war uns vollkommen neu. Wir wollten ihn immer wieder hören, um sichern zu sein, uns nicht verhört zu haben. Er gab uns Antwort, aber sehr knapp. Er verschwendete kein Wort zu viel. Er wäre ein Flüchtlingskind. Was das heiße, meinten wir. Ja, sagte er in einem für uns unbekannten Akzent, seine Eltern und er seien geflohen, von zu Haus weg. Sie mussten weg. Mit nichts. Sie mussten um ihr Leben laufen. In den Westen. Zu Hause wurden viele aus dem Dorf, in dem seine Sprache gesprochen werde, liquidiert oder  deportiert. Was das heiße? Er stockte und versuchte dann doch mit noch viel stärkeren Akzent uns das eine oder andere zu erklären. Ich verstand nicht viel, aber er erzählte schreckliche Sachen. Nach längerem Schweigen fragten wir  weiter, bis die Lehrerin uns von ihm weg holte. Bei der nächsten Gelegenheit standen wir wieder um ihn, um ihn mit unseren Fragen zu bombardieren. Ich hörte Namen wie Sibirien. Davon redeten die Kriegskameraden meines Vaters, wenn sie bei uns zu „Besuch“ waren. Eigentlich fragten sie um Arbeit und wollten eine Schnitte Brot und ein bisschen verweilen in der warmen Stube. Sibirien, dieses Wort hatte keine gute Farbe in meinem Ohr.  Stanislaus und die Kriegsheimkehrer verband etwas, es war der Krieg, der noch nicht lange vorbei ist. Nach und nach erzählte er uns, dass er und seine Eltern bei einem Bauern wohnten, er noch zwei Geschwister hätte, die aber kleiner wären und noch nicht in die Schule gehen müssten.  Einige Kinder in unserem Kreis konnten mit dem Namen des Bauern etwas anfangen, ich nicht. Ich fragte ihn nicht. Ich hörte mehr zu. Schüchtern war ich sowieso und außerdem war ich mir nicht sicher, ob er denn so gerne von sich redete. Die neugierige Traube um ihn dünnte sich rasch aus. Und bald fragte ihn keiner mehr was. Er gehörte ab nun mehr zum Inventar der Klasse als zur Schülerschar. In seiner Schultasche war nicht einmal das Nötigste für die Mitarbeit im Unterricht. Nach und nach hatte er das eine oder andere Buch, ein Heft für alles, einen Bleistift, etc. Die Lehrerin ermahnte ihn, er müsste dies und das in die Schule mitbringen. Er klotzte dann nur sehr verlegen aus seinen großen hohlen Augen und sagte entweder nichts oder, wenn die Lehrerin auf ihn eindringlicher einredeten, ein müdes Ja. Die Lehrerin stellte ihn als ein Flüchtlingskind vor. Das erste Flüchtlingskind, das ich aus der Nähe kennen lernen sollte. Stanislaus saß immer in der letzten Bank. Ohne Nachbarn. Es hieß er würde nicht lange bleiben, seine Eltern würden bald weiter ziehen, denn sie könnten im Dorf nicht bleiben. Es gäbe keine Arbeit für die Eltern und keine Unterkunft für die Dauer. Es tauchten immer wieder Familien oder Einzelpersonen im Dorf auf. Soviel ich mitgekriegt habe, interessiert sich für die sie Gendarmerie, sie saßen auf der Treppe zum Gemeindeamt. Sie wurden notdürftig verköstigt. Man suchte eine vorübergehende Aufnahme für sie, wenn Kinder dabei waren, und dann verschwanden sie wieder. Stanislaus blieb länger. Ich und Stanislaus, wir kamen uns näher. Ich bemerkte, dass er nicht immer ein Jausenbrot bei sich hatte. Er saß in der Zehnuhrpause auf seinem Platz, von dem er sich nie viel wegbewegt hatte. Und aß nichts.  Als er mir ein wenig vertraut geworden war, fragte ich ihn, warum er denn nichts esse? Er sah mich mit seinen großen Augen verlegen an, diesen Blick kannte ich schon. Du hast keine Jause bei dir? Nein, sagte er schüchtern. Mir war das ein Rätsel. Wie kann ein Kind kein Jausenbrot haben! Du hast wirklich kein Jausenbrot? Nein, sagte er, meine Eltern haben mir keines mitgegeben. Sie haben dir keines mitgegeben? Nein, sie haben kein Brot. Auch keinen Apfel? Nein, auch keinen Apfel. Ich hatte immer Brot mit in die Schule bekommen. Und meistens auch einen Apfel. Mir schmeckte mein Brot nicht mehr so recht, wenn ich es alleine verzehrte. Ich schlug ihm vor, wir essen meines zusammen. Er lächelte. Ich nahm also mein Doppeldeckerbrot auseinander. Ich gab ihm die eine Hälfte, ich nahm die andere, und was dazwischen war, teilten wir auch. Ich wurde natürlich nicht satt. Ich hatte immer einen unbändigen Hunger bereits auf dem Nachhauseweg von der Schule. Ich sorgte vor. Ich schnitt heimlich und ungeschickt ein Stück Brot vom Laib in der Tischlade, das ich in Zeitungspapier einwickelte und in der Schultasche vergrub, einen Apfel konnte ich meistens auch auf treiben und als Zusatzproviant mit in die Schule nehmen. Wenn es niemand merkte, er wollte es so, wechselte die Jause die Schultaschen. So aßen wir jetzt manchmal gemeinsam Jause. Ohne ein Wort zu reden. Eines Tages gab es einen Auflauf vor der Turnstunde. Die Lehrerin gestikulierte heftig mit den Armen und sprach mit energischer Stimme auf Stanislaus ein. Warum hast du noch keine Turnhose, kein Turnleiberl? Wie lange bist du nun schon bei uns! Was ist los? Schön langsam wir es Zeit, dass du dir eines zulegst. Sagst du denn nichts zu deinen Eltern? Oder was?  Stanislaus schwieg. Wieder funkelten seine großen hohlen Augen, als sollten sie alles sagen, weil der Mund nicht konnte. Wir turnten, Stanislaus saß die ganze Zeit auf einer Bank neben einem Meer von Wäsche und Schuhen und rührte sich nicht vom Fleck. Als wir uns wieder angekleidet hatten, ging er mit in die Klasse. Meistens trottete er als letzter hinter drein. Nach der Schule begleitete ich einmal Stanislaus auf seinem Schulweg ein Stück mit. Inzwischen war meine Ortskenntnis gewachsen. Ich musste nicht mehr fürchten mich zu verlaufen. Ich konnte auf allen Straßen und in alle Richtungen das Dorf verlassen, ohne die Orientierung zu verlieren. Ich entfernte mich auf der Straße, die ihn nach Hause führte, immer weiter von der Straße und der Richtung, die mich nach Hause brächte, aber ich wusste bereits von einer Verbindungsstraße, auf der ich zu der Straße, die mich nach Haus brachte, zurück käme. Stanislaus und ich waren sehr entspannt, wir plauderten drauf los. Da kamen wir auf die Turnstunde zu sprechen. Er sagte mir, dass es nicht nur an der Turnhose läge, dass er sich nicht umziehen wollte. Er sagte, er hätte eine komische Brust, er hätte eine Krankheit, die ihm die Brust einzöge. Ich staunte nicht schlecht. Er wolle mir seine Brust zeigen, aber ich müsste ihm versprechen, niemand etwas davon zu erzählen. Gut, sagte ich, ich werde niemand davon etwas erzählen. Er stellte die Schultasche an den Straßenrand. Er knöpfte seine Jacke auf, dann sein Hemd, dann griff er nach dem Saum des Hemdes mit der einen Hand fasste er die Seite mit den Knöpfen, mit der anderen die Seite mit den Knopflöchern und zog die beiden Seiten auseinander. Ich sah eine nach vorne zugespitzte Brust. Nachdem ich eine Weile mit offenem Mund so dagestanden hatte, fragte ich ihn. Was ist das, was ist mit deiner Brust passiert? Er sagte, das nennt man eine Hendlbrust, ich habe eine Hendlbrust. Er sah sehr traurig aus. Das mit der Turnhose und dem Turnleiberl, das könnte ich ja noch hinkriegen, aber das mit meiner Hendlbrust, das kriege ich nie hin. Die bleibt mir mein Leben lang. Ich kann mich so nicht vor der Klasse zeigen, ich fürchte die werden mit dem Finger auf meine Brust zeigen und sagen, was hat denn der für eine komische Brust?! Ich werde nie eine schöne Brust haben, auch wenn ich erwachsen sein werde nicht. Oh, sagte ich, und auch nicht, wenn ich dir jeden Tag ein Speckbrot mitbringe. Nein, sagt er, auch dann nicht. Ich wusste ihm und mir nicht zu helfen, ich versprach ihm noch einmal, niemandem etwas davon zu sagen. Und er erzählte mir dann, wie es zu der Hendlbrust kam. Der Arzt sagte:  Chronische Mangelernährung, lang anhaltende Nässe und Kälte. Rachitis. Stanislaus versuchte wie ein Arzt zu sprechen. Seine Familie wäre schon jahrelang auf der Flucht. Sie lebten immer von der Hand in den Mund. Seine Eltern suchten Arbeit. Bei den Bauern. Wir brauchen ja alle zu essen. Für eine Wohnung haben wir kein Geld. Niemand wollte unseren Eltern recht Arbeit geben. Ab und zu ein Stück Brot, eine Suppe,... unterwegs äßen sie alles was sie finden konnten und essbar wäre. Äpfel, auch unreife, etc.. Sie schliefen in Viehställen. Im Winter. In Scheunen im Sommer. Sie fragten um Arbeit, um Unterkunft,... meistens gingen sie leer aus. Hin und wieder was zu essen, immer wieder tagelang fast nichts zu essen. Die Eltern gäben seinen kleineren Geschwistern den Vorzug, wenn sie einmal was zu essen hätten. Damit sie nicht krank würden, meinten seine Eltern.  Seine Eltern sagten, ohne die Kinder wäre es leichter Arbeit zu finden, aber mit den Kindern.... die Bauern wollten keine unnützen Esser bei sich auf nehmen. Obwohl seine Lebensgeschichte recht traurig war, machte er mich glücklich, weil er mir sein Vertrauen geschenkt hatte. Stanislaus kam eines Tages unangekündigt nicht mehr in die Schule.

Die Katze

Die Geschichte von der weiblichen Katze. Ich war etwa vier Jahre alt. Die Katze bekam pro Jahr mindestens zwei Mal Junge. Die Katze war meine Freundin. Ich liebte sie und sie war schrecklich lieb zu mir. Es war eine unbeschreibliche Tortur für mich, wenn man ihr die Kinder bald nach der Geburt wegnahm und sie allesamt umbrachte. Weil sie zahm war, versteckte sie ihre Kinder schlecht bis gar nicht. Einmal gebar sie ihre Kinder sogar im damals verwaisten Bett des Knechtes. Mit großer Routine gingen meine Eltern daran, sie umzubringen. Wir können doch nicht so viele Katzen haben! Da ist ja eine Plage! Da auf mich sowieso keiner hörte, wie sehr mir das zu Herzen geht, wollte ich verhindern, dass die Katze schwanger wurde, um nicht das Kätzchenerschlagen erleben zu müssen. Die Katze weinte tagelang um ihre Kinder, bedrängte mich, sie ihr wieder zu geben. Ich hatte großes Mitleid mit ihr und war dennoch sehr hilflos. Ich musste bereits gewusst haben, wie die Katze schwanger wurde. Sie wurde reudig oder rollig wie die Erwachsenen sagten. Dieser Zustand war unübersehbar. Dann gab es Sex mit einem Kater. Und das Unglück nahm seinen Lauf. Das reudig sein dauerte nur zwei bis drei Tage. In dieser Zeit  musste es gelingen, die Katze vor der Schwangerschaft zu bewahren. Ich kam auf die Idee ihr eine Art Windelhose anzuziehen. Mit einem Fetzen schnürte ich ihr eine Art indische Hose. Ich nähte auch die Enden fest, damit sie einigen Halt hatten. Die Hose würde nass werden, sie würde sich auch anscheißen, aber ich würde ihre Unterwäsche wechseln und waschen. Natürlich ging die Unternehmung schief. Die Katze streift die ihr verpasste Wäsche ab und sie wieder schwanger. Das Leid für die Katze und mein mitfühlender Schmerz schienen unabwendbar zu sein.

The Socks

Ich hatte einen weiten Schulweg. 1953/54 muss es gewesen sein. Ich ging von der Schule heim. Alleine. Es war Winter. Die Tage waren kurz. Es begann zu dämmern. Der Weg war mühsam. Am Vortag hatte es schrecklich viel geschneit. Am heutigen Tag war Tauwetter. Matsch, tiefer Matsch auf der Landstraße. Der Matsch war 15 cm tief. Meine Schuhe vielleicht etwas über 10 cm hoch. Im Dorf wurde noch Schnee geräumt. Nach der Dorfgrenze nicht mehr. Nach einigen Metern Fußmarsch füllten sich die Schuhe. Die Socken sogen sich voll. Die Füße wurden kalt. Irgendeinmal spürte ich sie kaum mehr. Nur weiter, in Bewegung bleiben, die Zeit möglichst kurz halten, in der die Füße dieser Unterkühlung ausgesetzt sind. Wenn man überleben will, lernt man früh und schnell. Ich hatte so etwa ein Drittel meines Schulwegs hinter mir, da kam ich am Haus einer mir bekannten alten Frau vorbei, und sie kannte mich. Sie war von meinen Eltern hin und wieder geholt worden. Sie wurde zur Mitarbeit bei der Ernte oder auf der Baustelle gebraucht. Sie war eine Tagelöhnerin. Sie lebte davon. Ihr Haus war ein Personal- oder Gesindehaus, es gehörte zu einem Bauernhaus, das ungefähr 100 m von ihrem Haus entfernt lag. Dieses Gesindehaus war an die alte Frau vermietet. Die Miete wurde in der Regel entweder durch Abarbeit am Hof des Vermieters oder in bar bezahlt. Es war ein altes Lehmhaus, in die Landschaft gedrückt, mit dicken Mauern, zu vermuten ist ohne viel Fundament und ohne Feuchtigkeitssperre von unten her. Davor lag ein kleiner Gemüsegarten, unter den Dachvorsprüngen war Brennholz gestapelt. Hohe, alte Bäume schützten das Haus ein wenig vor Wind und Wetter. Vor der Kälte nicht. An jenem Tag qualmte der Schornstein. Der Rauch vermittelte Heimlichkeit und Wärme. Es waren kaum Menschen auf der Straße. Ein paar Fahrspuren lassen vermuten, dass das eine oder andere Fuhrwerk unterwegs war. In einer der Fahrrinnen ging ich voran, immer Fuß vor dem Fuß, vermeidend, dass mir allzu viel Matsch in die Schuhe fiel. Auf der Höhe des Hauses stand plötzlich die alte aber noch kräftige Frau ungefähr in der Mitte zwischen ihrer Haustüre und der Straße, ihre Augen auf mich gerichtet, vor mir da. Ich grüßte verlegen. Meine Mutter rastete einmal völlig aus, weil sie hörte, ich hätte jemanden auf der Straße nicht gegrüßt. Also das war nun erledigt. Die gute Frau ließ nicht von mir ab. Sie sprach mich an. Geh, komm rein zu mir, du musst doch völlig durchnässt sein! Und wie. Ich zögerte. Sie: Komm her! Sie wirkte sehr einladend. Und ich kannte sie. Also ging ich. Im Gänsemarsch durch den ausgetretenen Matsch zu der Eingangstür. Sie voraus. Sie öffnete und verschwand im Halbdunkel hinter der Tür. Ich hinterher. Eine Wolke aus Dunst, Modergeruch, abgestandenem Küchengeruch und benutzter Arbeitskleidung und Wärme schlug mir entgegen. Kurz abwarten, dann rein. Der beißende Geruch in der Nase nahm ab. Die wohlige Wärme tat gut. Ein kleines vollgeräumte Vorzimmer und schon standen wir in der vermutlich einzig geheizten Wohnküche. Wieder im Halbdunkel. Das Feuer prasselte im Ofen. Wasser dampfte vor sich hin. Wäsche hing um den Kachelofen bis auf die Griffstange um den Herd. Die Schultasche nahm sie mir ab. Sie drückte mich auf einen Sessel. So, sagte sie, jetzt ziehen wir deine Schuhe aus. Patsch nass! Die Schuhe klebten gewissermaßen an den Füßen. Sie drehte und zog an ihnen. Geschafft. Die Socken, fasst nicht von den Füßen zu bringen. Nun hatte sie sie in den Händen. Sie wand sie über einem Kübel aus. Dann warf sie sie auf die heiße Herdplatte, es zischte, die Socken tanzten auf den Dampfperlen wie die Schnitzel im heißen Fett. Mit einer Holzzange wendete sie sie rasch hin und her. Dampf stieg auf. Es roch nach Fußschweiß. Nachdem sie eine Weile so fortgefahren war, nahm sie sie vom Ofen, befühlte sie und sagte, naja ganz trocken bringen wir sie nicht hin. Aber sie hängte sie noch ein Bisschen über den Herd. Ein Bisschen angeschmort waren sie schon, aber sie überstanden die Schnelltrockentortur erstaunlich gut. Sie zog mir mittlerweile Socken von ihr um die Füße, denn der Boden war kalt. Etwas Warmes im Magen kannst du jetzt gut gebrauchen, meinte sie. Und es stimmte. Aus dem Ofenrohr holte sie warmen Apfelstrudel. Im Nu war angerichtet. Und ich aß warmen Apfelstrudel. Ein warmer Tee war auch gleich fertig. So, sagte sie wieder. Du musst jetzt wieder weiter. Die Tage sind jetzt kurz. Es wird sowieso finster werden, ehe du heim kommst. Die Schuhe trocknete sie mit einem Lappen aus, die Socken fühlten sich warm an. Gestärkt in Leib und Seele ging es raus in den nassen Winter. Ich weiß nicht mehr, ob ich danke sagte oder es vergessen hatte.  

Mein Onkel Georg, alle nannten ihn Schorsch
Der Schorsch erbte das Elternhaus, das Haus meiner Großeltern. Eine mittelgroße Landwirtschaft. Der Schorsch, war der Jüngste unter den sieben Kindern. Ihn erwischte der Krieg, der II. Weltkrieg, der Russlandfeldzug. Er trug eine schwere „Narbe“ mit sich herum. Er hatte sic in Russland die Füße gefroren. An einem Fuß mussten die gefrorenen Teile weggeschnitten werden. Die Zehen und Teile der Ferse. Er trug daher immer Spezialschuhe. Ein Schuh war normal groß, der andere nahm sich dagegen wie ein Kinderschuh aus. Er hatte damit zurecht zu kommen gelernt. Nur war der Fuß wetterfühlig. Er humpelte dann herum, umfasst das Bein mit beiden Händen und drückte es als wollte er die Schmerzadern abdrücken. Er war der Firmgöd meines Bruders Alois geworden. Eine gute Wahl, der Onkel Schorsch war gastfreundlich und recht unkompliziert. Meine Bekanntschaft mit ihm begann mit dem Ahnltag. Der Geburtstag meines Großvaters, der recht alt geworden war. Es war gemütlich im Haus des Onkel Schorsch. Die Familie hatte nichts Gespreiztes, wie der Volksmund es nennen würde. Seine Familie, war sie denn eine!? Sie war fragwürdig - im Sinne er katholischen Sicht. Im Haus des Schorsch wohnte noch eine „Dirn“, die, wie alle wussten, mehr war als nur die Dirn, sie war seine Lebensgefährtin. Er war deshalb ein wenig diskriminiert. Er war nicht auf allen Festen dabei. War er nicht eingeladen, hielt er sich freiwillig raus? Bei kirchennahen Festen - und es gab wenig andere - bei Primizen, bei Jubiläumsfesten des Pfarrers und so. Für mich war diese Sonderrolle irgendwie komisch und doch normal. Ich hatte nicht viel gefragt. Es wird seinen Grund gehabt haben. Mein Bruder Franz erzählte mir eines Tages folgende Geschichte: Unser Großvater hatte sich in die Dirn verliebt, mit ihr ein Kind gezeugt, den Onkel Josef, und sie gegen den Widerstand seiner Eltern geheiratet. Er hatte sich durchgesetzt. Sie war „kleiner“ Herkunft. Das kam meistens so. Bei den Familien der kleinen Gehöfte mussten die Kinder früh, meistens bald nach der Volksschule, außer Haus gehen, damit ein Esser weniger zu füttern war. Die Kleinbauern waren meist sehr arm und hatten einen Überschuss an Arbeitskräften. Meine Großmutter traf ebenfalls dieses Schicksal. Sie war etwa achtzehn Jahre alt und trat den Dienst als Dirn im Haus meines Urgroßvaters an. Der Rest ist bekannt. Onkel Schorsch kopierte darin seinen Vater. Er verliebte sich ebenfalls in die Dirn, zeugte mit ihr ein Kind und… Nein jetzt bricht sich die Geschichte. Er setzte sich nicht gegen seinen Vater durch. Der Vater erpresste ihn. Wenn Du die Dirn nimmst, bekommst du nicht den Hof. Er sollte nach dem Anspruch des Vaters eine bessere Partie machen. Onkel Schorsch setzte sich also nicht durch. Die Dirn musste samt ihrem Spross im Bauch den Hof verlassen. Onkel Schorsch bekam das Haus. Aber er heiratete nie. Er verliebte sich abermals in die Dirn. Die Nachfolgerin der verstoßenen. Diese Dirn war eine Witfrau, sie hatte drei Töchter. Ihr Mann dürfte im Krieg gefallen sein. Ich mochte sie allesamt, die Mutter wie die Töchter, sie waren sehr herzlich. Ich fühlte mich bei ihnen wie zu „Hause“. Nur viel entspannter. Als es ans Sterben meines Onkels ging, besuchte ihn Franz, mein Bruder. Es kam zu einem sehr schönen Kontakt. Onkel Schorsch erzählte ihm nicht nur die Geschichte, soweit sie hier schon beschrieben steht, sondern auch, dass er tiefe Reue und tiefes Bedauern empfinde, dass er sich habe erpressen lassen. Er hätte es darauf ankommen lassen sollen, sagte er. Vielleicht hätte Vater nachgegeben und alles wäre gut ausgegangen für ihn, seine Frau und sein Kind. Sie hätten eine gemeinsame Existenz gehabt. Oder? Oder er hätte das Elternhaus verlassen müssen, darauf verzichtet und ein gemeinsames Leben mit seiner Frau eingerichtet.  So wäre es für ihn und nicht nur heute für ihn stimmig gewesen. Er hätte die Unsicherheit, aber diese seinen Impulsen nach in Kauf nehmen und der Erbschaft von Haus und Hof vorziehen müssen. Er  empfände große Scham, empfände großes Bedauern, dass er sich das von seinem Vater habe gefallen lassen, dass er es zugelassen habe, dass seine von ihm geliebte und von ihm schwanger gewordene Frau vom Hof vertrieben wurde und er nicht besser für seine Frau und sein Kind gesorgt und er ein gemeinsames Leben mit den beiden versäumt hätte. Ich fürchte, er meint ein Leben mit dem Segen der Kirche. Die Kirche war ab nun mit ihm nicht mehr versöhnt. Nicht so sehr weil er Frau und Kind verlassen hatte. Solche Beispiele kenne ich auch im sozialen Umfeld meiner Kindheit, ohne dass sie  von der Kirche geächtet worden wären. Der Grund seiner Ächtung war, er hatte ohne den Segen der Kirche Sex gemacht, vorehelichen Sex. . Ich bin  katholisch erzogen, ich weiß wovon ich rede. Und noch ein Delikt klebte ihm die Kirche an, er war ein Wiederholungstäter, er hatte wieder Sex mit einer Frau gemacht ohne sich zuvor die eheliche Weihe hierfür durch die Kirche einzuholen. Ich weiß nicht, wie sehr er unter dem Urteil, in Sünde zu leben, gelitten hatte. Wenn die Kirch es wollte, dass man sündig wurde, dann musste sie die Umstände gut heißen, unter denen die Mensch damals lebten und beinah unausweichlich sündigten. Ich gehöre zumindest mit einem „Seelenbein“ noch dieser Welt an. Die Erotik war moralisch schlecht gemacht, sie war anrüchig und stand außer in der Ehe immer unter dem Verdikt der Sünde. Konnte man nicht heiraten, hatte man praktisch kein Recht auf Sex. Heiraten konnte man nur, wenn man einer Familie eine gesicherte Existenz bieten konnte. Das konnte man praktisch nur, wenn man Besitz hatte. Kapital oder Grundbesitz. Wir sind aber sexuelle Wesen, unser Grundbedürfnis nach Sexualität wurde irre aufgeladen. Sie stand unter dem Generalverdacht, zur Sünde zu verleiten und sich mit ihr sündig zu machen. Sie war auch etwas Schmutziges, das keine Öffentlichkeitsfähigkeit besaß. Nur im Beichtstuhl, vielleicht noch im Schlafzimmer,… und in schlüpfrigen Witzen redete man über Sex. Es war mir z.B. nicht möglich als junger Mann mit einer jungen Frau, die mir gefiel, über Sex zu sprechen, ja nicht einmal über meine erotischen Gefühle, die ich empfand. Ich versteckte sie. Ich war darin sehr verletzlich. Wie soll man verantwortungsvollen Sex machen, wenn man nicht darüber sprechen kann. Ich meine die Sprachlosigkeit gegenüber Sex gehört zur Nichtbeherrschung von Sex. Weil sie so schambelegt ist, versteckt man sie, unterdrückt man sie, verleugnet man sie, bis man, wenn sich die Gelegenheit einmal überaschenderweise ergibt, unkontrolliert, unreflektiert unüberlegt zur Sache schreitet, wenn man sexuell aufgeladen ist. Wenn man jung ist, ist man sehr schnell sexuell aufgeladen. Die Sexualität wurde von der christlichen Sexualmoral irrwitzig hochgepuscht. In der christlichen Erziehung ging es doch ständig um Sex. Nur in der christlichen Ehe, möglichst nur um Kinder zu zeugen, keinen Sex vor der Ehe, keinen Sex mit sich selbst, schon Blicke, die sexuelles Interesse verraten könnten, waren schlecht gemacht, der Sünde verdächtig. Ich kann mich erinnern, wie rot ich wurde vor Scham, wenn ich einmal zu lange auf ein attraktives Mädchen schielte und ertappt wurde. Ich hatte Angst vor schönen Mädchen, weil ich Angst hatte vor meinen sexuellen Wünschen und Angst, dass ich meine Sexualität nicht unter Kontrolle hätte, wenn ich Gelegenheit dazu bekäme. Angst auch vor Spott und Hohn, dass nämlich meine Sexualität zum Gespött und zur Unterhaltung für andere werden könnte. Ich hatte keinen Besitz und keinen Arbeitsplatz, der mich in die Lage versetzte, ein Kind zu ernähren, falls eines aus einer Liebesaffäre hervorginge, also mied ich die schönen Frauen. Hört sich entspannt an! Nein, ich war neurotisch. In dieser oder in einer ähnlichen Situation muss auch Schorsch gewesen sein. Emotional vielleicht etwas ausgekühlt. Der Vater war zumindest ein Schläger. Die Mutter vielleicht emotional ausgesogen und überfordert. Dazu passt emotionale Kälte. Katholische Erziehung reinsten Wassers. Schorsch zwanzig Jahre alt, voll im Wasser, wie man sagt. Durch das sexualfeindliche kulturelle Umfeld war es irre schwer, entspannt sexuelle Kontakte zu Mädchen und Frauen aufzubauen, um verantwortungsvollen Sex zu machen, d.h. mit Folgen. die man kontrollieren kann. Und da. Da kommt ein blutjunges Mädchen – ins Haus. Sie ist obendrein noch attraktiv. Ich spreche jetzt die Männer an: Du begehrst sie, du siehst sie jeden Tag, sie wird dir immer vertrauter, du kennst ihre Arbeit, du weißt beinah jederzeit, wo sie sich gerade aufhält, du willst sie sehen, du sprichst sie irgend einmal an, es ist besonders leicht mit ihr Vertrauliches zu besprechen, bei den vielen Gelegenheiten, stell dir vor, sie mag dich, sie erwidert dein Begehren, du wirst rasend vor Leidenschaft und mit der katholisch verformten Sexualmoral und der chronischen emotionalen Hungerkur, die dich begleitet, triffst du sie, du versprichst dir das große Glück, das ja auch die Kirche mit ihrer Hochstilisiererei der Sexualität zumindest indirekt verspricht, und da sollst du nicht zupacken? Das ist ja menschenfremd, oder? Die Kirche weiß das, muss es wissen, behaupte ich mal. Schorsch hat eine Existenz, sie winkt ihm zumindest in der Ferne, die ihm die Möglichkeit einer Heirat in Aussicht stellt. Umso größer ist die „Versuchung“.  Ich meine, den jungen Menschen ist eine Falle aufgebaut, in die hinein zu tappen alles arrangiert ist. Und der Hauptarrangeur ist die Kirche. Zumindest auf der Ebene der moralischen Voraussetzungen. Ein anderer Arrangeur sind die Eigentumsverhältnisse. Sex nur wenn du Besitz hast. Wer hatte aber schon Besitz. Eine kleine Minderheit. Wenn sie vorehelichen Sex machte, konnte sie die Situation durch eine Heirat mitunter retten. Die Besitzlosen, für sie war die Falle weit aufgespannt. Machten sie Sex mit Folgen, gab es meist nur Unglück. Es stand nun ein Mädchen, eine junge Frau, da mit einem Kind, deren Heiratschancen sich rapide verschlechterten. Sie musste meist zurück zu den Eltern, die sie schon einmal los haben wollten, ... ein soziales Elend nimmt seinen Lauf. Wenn wir uns in die Mädchen versenken, sehen wir da eine Dirn. Sie hat ein Kapital, mit dessen Hilfe sie aufsteigen kann. Sie kann Bäuerin werden, wenn sich der Erbsohn in sie verknallt. Das ist tausendmal besser als Magd zu bleiben, was oft auch mit der Ehelosigkeit und der Abwesenheit von Sex für ein ganzes Leben verbunden war. Der/die Leser/in verzeih‘ mir diesen langen Exkurs! Er ist aber nötig, um Verständnis für die Opfer der Moral- und Kulturpolitik sowie der Eigentumsverhältnisse zu entwickeln.
Mit Verstand mit seiner Sexualität umzugehen, heißt für mich, sich zu kennen, seine Sexualität zu kennen – dazu gehört aber, dass man über sie spricht, dass man sich über sie austauscht, dass man Rückmeldungen bekommt, dass man sich überprüfen kann, dazu braucht‘s sehr viel Offenheit und Krampflosigkeit. Die Kirche förderte das Gegenteil. Der Herr Pfarrer verbat in unserem Dorf die Anbringung eines Präservativautomaten. Das ganze soziale Arrangement drängte dahin, dass die Sexualität streng im Verborgenen, unreflektiert, d.h. nicht unter der Kontrolle des Verstandes gelebt wurde. Was sichtbar war,  er lebte weiter sein christliches Leben. Es gab aber auch kaum eine Alternative dazu. Das kirchliche Leben war gleichzeitig das kulturelle Leben im Dorf. Die Alternative wäre ein isoliertes Leben gewesen, ein soziales Außenseiterleben. Sein soziales Leben unterschied sich nicht von dem seiner Brüder. Er ging zur sonntäglichen Messe, er ging allerdings nie zur Kommunion, er zahlte die Kirchensteuer, er bekam, so glaube ich, sogar ein kirchliches Begräbnis. Zahlen wirkt Wunder. Aber fühlte er sich in Ordnung, befindet er sich in einer Ambivalenz, verurteilte er sich nach dem Maßstab seiner gläubigen Anhängerschaft an die Kirche? Die Kirche gab ihm keine Absolution, vielleicht versuchte er so etwas bei meinem Bruder Franz zu erhalten. Für Franz war es klar, dass erst der Mensch Schorsch zählt und dann erst was noch alles sein mag. Für mich war Schorsch schwer in Ordnung, natürlich fühlte ich, dass in der Öffentlichkeit mit seiner Biographie etwas nicht in Ordnung war. Erst die Erzählung durch Franz machte mir deutlich, dass  der Mann an einem Geheimnis litt. So verschied Schorsch.
Mama Langthaler oder mein Studienkollege Walter

Er zog aus dem Studentenheim aus, bevor er sein Lehramtsstudium abgeschlossen hatte, was ihn nicht hinderte, immer wieder Gast im Studentenheim zu sein. Was mir gar nicht gefiel war, dass er einer der Anführer war, wenn es darum ging, unseren Mitschüler Karl durch hinterhältige Vorschläge und Anfeuerungen, in peinliche Situationen zu bringen. So zum Beispiel galt es als eine sichere Einlage bei Studentenpartys, dass Schulkollege Walter den Karl solange bearbeitete, bis dieser glaubte nicht mehr auskommen zu können, dem Ansinnen, das Walter vorbrachte, zu entsprechen, es handelte sich meist um eine Tanzeinlage, erwartet wurde, dass Karl zu einer besonders schnell gespielten Rockmusik einen Solopart hinlegte, manchmal gelang es ihm auch eine Partnerin zur Seite zu stellen, die den Schabernack mitmachte. Hauptfigur war ohne Zweifel Karl, der sich in die harten Rhythmen hineinzusteigern suchte und die Rhythmen durch spontane Körperverränkungen zu interpretieren. Da Karl alles andere als ein lockerer und sich seiner Spontaneität sich überlassender Tänzer war, sahen seine Verränkungen äußerst grotesk aus. Mir blieb immer das Lachen im Gesicht stecken, ich fühlte die Verarschung von Karl und hatte vor Augen, dass er benutzt wurde, durch seine tänzerische Ungeschicktheit für Unterhaltung zu sorgen. Ich selbst konnte meinen Lachreiz nicht immer vermeiden. Es sah zu komisch aus. Die Zuseherschaft, die Karl umgab, schien in ihrem Erleben gespalten zu sein, die einen fanden die Einlage zum Zerwurzeln lustig, die anderen lächelten verlegen, und wieder andere sahen gar nicht hin und fanden die Einlage geschmacklos. Walter war in großer Form, er feuerte Karl mit Klatschen und Zurufen an und versuchte den Unterhaltungswert immer noch zu steigern. Karl, so schien mir, erlebte den Auftritt selbst widersprüchlich. Er genoss es einmal im Mittelpunkt zu stehen und seinem krampfhaften Mimenspiel entnahm ich, dass er etwas von seiner Benutzung bemerkte. Dieses zwiespältige Erleben war mir vertraut, auch ich nahm lange in Kauf, dass ich zu Unterhaltungszwecken benutzt wurde, und als Lohn quasi einmal öffentliche Beachtung fand. Ein besondere Note gewann die Beziehung Walter Karl, nachdem ich bemerkt hatte, dass Walter selbst auf seine Art ein Muttersöhnchen war. Sein Vater war gestorben, als er noch klein war. Seine Mutter stürzte sich auf ihren einzigen Sohn und pflegte seine Schullaufbahn mit ihrer ganzen Energie. Seine Mutter war sichtlich stolz auf den Werdegang ihres Sohnes, etwas worin sich die Mütter von Walter und Karl unterscheiden dürften. Die Mutter von Karl dürfte ihre Erziehungsanstrengungen als gescheitert ansehen. Die Beziehung zwischen Walter und Karl hat für mich auch eine positive Seite. Zumindest ließ das Interesse von Walter an Karl lange an. Er regte Besuche bei Karl in seinem Pferdehof an, stellte sein Auto und damit die Kosten für die Besucherfahrt und organisierte die Mitbesucher. Karl schien die Besuche zu schätzen. Ich habe mich direkt nicht an ihnen beteiligt, hörte nur sehr interessiert, was sie mir über Karl erzählten. Nun aber zu Walter. Walter war ein guter Gastgeber. Er lud seine Freunde und gut Bekannten wiederholt zu ihm zu seinem mit seiner Mutter geteilten Nachhause ein. Es war dies ein alter Bauernhof im „finstersten“ Waldviertel, hoch im Nordwesten, bei Karlstift. Die Landwirtschaft war nach dem Tod seines Vaters zur Gänze an einen Nachbarbauern verpachtet worden. Der stattliche Bauernhof war in einem guten Zustand. Es gab eine Fülle von Zimmern. Die Unterkünfte der Knechte und Mägde waren gepflegt worden und standen uns für unsere Einquartierung zur Verfügung. Hie durften wir auch mal grollen, wenn wir zu viel dem Wein zu gesprochen hatten. Walter war in seinem Dorf katholischer Jungscharführer gewesen und nutzte seine Kontakte, auch junge Menschen vom Dorf für unsere Partys zu gewinnen. Ich staunte nicht schlecht, dass auch bildhübsche Mädchen zu mobilisieren waren, mit uns zu feiern. Wäre ich nicht so schüchtern gewesen, hätte ich meinen Impulsen mehr nachgegeben. Die Mutter von Walter kochte am darauf folgenden Tag immer großzügig für uns auf. Scheute weder Mühe noch Geld um uns gut zu bewirten. Ich bekam vielleicht etwas, was ich in meinem Zuhause sehr vermisst hatte. Ich fühlte mich wert geschätzt, bis... Eines Tages, als ich wieder einmal eine Einladung angenommen hatte, traf ich zwei niedliche Mädels bei Mutter Langthaler an. Sie hatte zwei Pflegekinder, zwei Mädchen von neun und elf Jahren bei sich aufgenommen. Die Hintergründe, wie es dazu kam weiß ich nicht. Mutter Langthaler war eine durch und durch energiegeladene Frau und Mutter, und ich kann mir gut vorstellen, dass sie sich unterfordert fühlte, nachdem ihr einziger Sohn sich aus ihrer Beziehung nach und nach löste. Ich fand die beiden sehr entzückend, sie waren etwas schüchtern – sie waren noch nicht lange in ihrer neuen Familie -, und ich war ganz bei ihnen, wenn es darum ging, dass es ihnen nunmehr gut gehen sollte. Als es wieder einmal zu einer üppigen Aufwartung bei einer fürstlichen Waldviertler Bauernmalzeit kam, saß ich visavi der beiden kleinen Gäste am feierlich gedeckten Mittagstisch, ich bekam alles mit, die Dialoge, das Mimenspiel der Akteure, etc. Was besonders in mir hängen blieb, was das ständig am Werk warende Erziehen der Mädchen von Seiten Mutter Langthaler, störend übertrieben empfand ich ihre Aufmerksamkeit auf ihre Erziehungsarbeit an den Mädchen. Sie wirkten so schon eingeschüchtert und noch unsicher in der neuen sozialen Umgebung. Ich dürfte mich mit ihnen identifiziert haben und phantasierte wie es ihnen wohl ergehen würde. Ich phantasierte, dass Mutter Langthaler ihnen die Aufnahme in die neue soziale Umgebung und Eingewöhnung in die neue Situation mit ihren aufdringlichen Erziehungsanstrengungen nur erschweren konnte. Ich phantasierte, dass die verschüchtert wirkenden Kinder jetzt etwas anderes bräuchten, liebevolle Zuwendung, eine kräftige Portion Vertrauensvorschuss in ihre menschlichen Potentiale,... Meine Eindrücke und Gedanken begannen in meinem Kopf zu tanzen. Ich sprach aber nicht darüber, ich fühlte mich als Gast dazu verpflichtet. Hier muss ich einfügen, dass ich damals im Zusammenhang mit meinem Studium an der Akademie mich um ein Thema für meine Diplomarbeit umsah, ich meinen Horizont auch an der Universität zu erweitern suchte, ich mich von der Studentenbewegung erfassen ließ und ich mit der kritischen Literatur und Strömungen in Kontakt kam, die einiges an der herkömmlichen Erziehung auszusetzen hatten. Grundsätzliches, was mir sehr entgegenkam. Stichwort „offene“ Psychiatrie eines norditalienischen experimentierfreudigen mit der herkömmlichen psychiatrischen Verwahrung und Behandlung aufräumenden Aufsässsigenund Ankämpfers. Auch an der Akademie verfolgte ich alle Spuren der kritischen Auseinandersetzung mit der herkömmlichen Pädagogik.  Ich nenne den für mich neuen Diskursansatz den Übergang von der „schwarzen“ Pädagogik, von der „pessimistischen“ Erziehungsauffassung zur optimistischen Pädagogik, vom Glauben an das Potential der Kinder und Zöglinge, vom Glauben an die Selbstheilungskräfte der Menschen und vom Glauben der sozialen Ursachen für das Nichtgelingen von Erziehung,... Ich verglich, was ich in den Büchern der damals als fortschrittlich angesehenen Eziehungsexperten vorfand mit der Erziehungsrealität, und befand mich schnurstracks in einem himmelsschreienden Widerspruch. Wer hat recht, wer hat eher recht, was ist wahr, was ist ideologisches Vorurteil, was ist gesellschaftlich bedingter Anpassungsdruck und soziale Gewalt gegen Kinder und Menschen, was ist von Religion und Interesse verzerrtes Menschenbild und was ist menschliche Natur. Ich muss hier nicht den Ausgang meiner mich beschäftigenden Fragen ausführen, so viel nur, damit ich einen Eindruck von meiner psychischen Situation wieder gebe. Ich sprach Walter bei der ersten Gelegenheit darauf an. Die Überraschung war groß. Er offenbarte mir, dass die Mädels bereits durch eine Reihe von Pflegeplätzen hindurch gingen und die Wechsel von dem Umstande ausgingen, dass die Pflegeeltern nicht mit den Mädels zurande kamen, sie wären aufsässig, aufbegehrend gewesen,...und so. Die Pflegeeltern schmissen das Handtuch und wollten sich die schwere Arbeit nicht antun. Er zitierte dabei die Auskunft des Jugendamtes. Das Jugendamt würde auch überlegen, die beiden notfalls zu trennen, um sie gefügiger zu machen, denn die beiden hielten zusammen wie Pech und Schwefel,...Das Jugendamt sähe allerdings auch etwas Positive im Zusammenhalt der beiden Geschwister, eine Restintimität, die sie sich bewahrt hätten, nachdem sie ihre Familie verloren hätten, die für die Entwicklung der Mädels sich positiv auswirken könnte. Na Pravo, dachte ich, das Jugendamt ist in diesem Fall vernünftiger als ihr Ruf, es muss dort Menschen mit Verstand geben! Seine Mutter würde sich, so Walter, der Herausforderung stellen und den beiden Mädchen noch eine Chance geben, dass sie beieinander bleiben könnten. Wenn das Experiment gut ausginge, dürften die Mädchen beisammen bleiben, sonst würde man sie trennen müssen. Oh Gott, diese Scheiß Experten, die sind doch zu Allem fähig, was Unglück über die Kinder bringt! Walter rechtfertigte die pädagogischen Maßnahmen der Mutter, die, soweit ich sie beobachten konnte, sich damals auf Benehmen bei Tisch bezogen. Sie saßen auch recht artig, Mutter Langthaler hatte soweit pädagogischen Erfolg. Walter weiter. Bei Mädchen muss man besonders auf Kontrolle achten, dass man sie über sie bewahrt, denn wenn man sie verliert, kämen sie ab vierzehn Jahren in Gefahr, dass sie sich auf sexuelle Abenteuer einließen, sie mit ledigen Kindern daher kämen und sich so ihre soziale und berufliche Zukunft verbauten, was ihre leibliche Mutter bereits vorgeführt hätte. Oh Gott, dachte ich, wo wohnst du Walter!? Im „finstersten“ sozial-kulturellen Waldviertel!? Ich fühlte eine gewaltige Kluft zwischen mir und meinem Kollegen Walter. Ich meinte. Dass Liebe, emotionale Wärmen und eine Art pädagogischer Partnerschaft trotz des Altersunterschieds und der unterschiedlichen Rollen im Erziehungsgeschäft das oberste Prinzip der Erziehung sein müsste, das bei aller Unsicherheit, was die Zukunft bringt, noch das Beste für alle Beteiligten wäre. Vor „Dummheit“ bewahrt noch immer am besten ein gesundes Selbstwertgefühl, ein Vertrauen zu sich selbst, dass man sein Leben schon irgendwie gut zu Wege bringt. Mir tauchte das Bild vor die Augen, die beiden Mädels müssten jetzt schon leiden, damit sie mit vierzehn und mehr Jahren nicht die „Dummheit“ ihres Lebens begingen. Es gäbe doch heute die Mittel der Aufklärung, für die noch viel Zeit bestünde, es ginge doch jetzt darum, die Kinder möglichst glücklich ihr noch kindliches Leben genießen zu lassen,... Kurzum, ich kam bei Walter nicht an. Meine Seele siedete. Ich schreib einen Brief an Mutter Langthaler und schüttete sowohl mein Herz als auch einen aufgerührten Verstand aus. Walter musste davon erfahren und er hat auch davon erfahren. Er neigte nicht zu körperlicher Gewalt, er hatte sie auch nicht nötig, er war wortgewaltig, und seine Wortgewalt war eindeutig, er wies meine Empfehlungen, meine pädagogischen Bedenken, meine pädagogische Orientierung, die ich mir auch erst jüngst erarbeitet hatte, mein Mitfühlen mit den Mädchen, meine Vermutungen, was sie nun vor allem bräuchten,... auf das Enschiedenste zurück, vor allem empörten ihn meine Einmischungsversuche, die er abstoßend und übergriffig empfand, ich litte an einem Größenwahn, wäre überklug und ich verletzte das Gastrecht seiner Mutter,... Ich war sehr betroffen, mir blieb die Spucke weg, ich resignierte, mich weiter zu erklären, es trat mindestens von meiner Seite seelische Eiseskälte zwischen uns. Es kam keine Wärme mehr auf, ich hatte das Gefühl von einer Illusion mich verabschieden zu müssen, von der Illusion einer emotionalen Nähe mit Walter und der Illusion, man würde mir zuhören, wenn ich meine Überzeugung nur klar genug und mit der emotionalen Hingabe meines Engagements rüber brächte. Nicht bei jedem komme ich damit an. Mutter Langthaler und ihr Sohn luden mich nie in das schöne Bauernhaus inmitten des schönen Waldviertels mehr ein. Ich mied ab nun den Kontakt mit Walter, auch weil er mich erwischt hatte, mich zu beschämen. Heute gelingt es mir besser zu mir und meinen Überzeugungen zu stehen, ... und siehe da, die Menschen nehmen mich und meine Gedanken mehr an,.

Das „Don Quichote Syndrom“ oder mein Schulkamerad Karl

Er repräsentiert für mich die erreichte Personstruktur, wohin mich die an mir vollstreckte Erziehung gerne hingebracht hätte: bar jeden sichtbaren Widerstands, sichtlich bemüht den Erwartungen seiner Erziehung zu entsprechen, unfähig geworden, die an ihn gestellten Ansprüche von außen zu überprüfen und zurückzuweisen, eine Person fast völlig von seinen eigenen Wurzeln gerissen, kernlos, den Ansprüchen von außen erlegen. Er repräsentiert für mich den fast völligen Erfolg der Erziehung in der bürgerlichen Gesellschaft. Er schluckte die äußerlichen Merkmale eines erfolgreichen männlichen Gesellschaftsmitglieds,, diese Merkmale waren für ihn unhinterfragter Auftrag, ihnen entsprechen zu müssen. Er machte sich zur Karikatur eines bürgerlichen jungen Mannes, der das beinahe vollständige Resultat der erzieherischen Bemühungen der anderes war, der anderen, das sind, davon gehe ich aus, seine Mutter, sein Vater, den er in seinem kleinkindlichen Alter bereits verloren hatte, die staatlich beauftragten Erzieher und Pädagogen, die Wirkung der bürgerlichen Medien und der unkritische Volksmund. Er war ein Einzelkind. Seine Mutter stürzte sich auf ihn mit ihren erzieherischen Bemühungen. Er war in den Fokus ihrer Lebensaufgabe gerückt, nach dem sie ihren Mann verloren hatte. Dieser Mann war entweder ein hoher Beamter, ein Bundesheeroffizier oder ein erfolgreicher Geschäftsmann, der der Witfrau eine gesicherte materielle Existenz hinterließ. Die Todesursache seines Vaters habe ich vergessen. Karl gehörte einer im Dorf angesehenen Familie an. Die hohe Stellung des Vaters ging irgendwie auf die Witweh über, setzte sich in die hoch angesehene Stellung der Restfamilie von Mutter mit Sohn auch nach dem Tod des Dorfhonoratiors fort. Die Mutter verfolgte mit großer Aufmerksamkeit die schulische Laufbahn ihres Sohnes. Sie kontrollierte ihr Kind, dass es gute Noten nach Hause brachte, scheute keine Mühe, dass sich für sie und ihr Kind die guten Schulergebnisse einstellten. Sie kontrollierte die Lehrer und den Direktor, ob sie denn auch gerecht oder vielleicht auch etwas mehr, sprich standesgerecht, ihren Sohn behandelten und seine schulischen Leistungen benoteten. Die Lehrer behandelten Karl wie ein rohes Ei, um Ärger mit seiner Mutter zu vermeiden, die bei jedem Verdacht in der Schule vorstellig wurde oder gar übergeordnete Behördenstellen aufforderte, aktiv zu werden. So machte Karl die Matura. Seine Mitschüler fanden ihn komisch, Karl blieb in der Schule isoliert, man verarschte ihn mit großer Vorsicht und Schlauheit, um weder die Mutter noch die Schulleitung auf den Plan zu rufen. Er war sehr bedürftig nach Anerkennung, Anschluss und Akzeptanz durch die Mitschüler. Man trieb seine Spielchen mit seinem Bedürfnis, aber nahm ihn nicht ernst. Man bediente sich gelegentlich seiner Dienstbefließenheit, was Karl den glauben ließ, er hätte Anschluss an die Gleichaltrigen. Hinter seinem Rücken lachte man über seine Naivität und Tollpatschigkeit, wenn er wieder einmal delikate Aufträge zu erfüllen suchte. Bei den Mädchen kam er überhaupt nicht an. Sie mieden ihn. Er war so sehr von seinem Kontakt zu sich selbst und seiner Wahrnehmung abgeschnitten, dass er die abweisenden Windungen der von ihm angebratenen Mädchen in Schüchternheiten und in nicht ihm zugestandene Avancen umdeutete. Er löste Verstörung aus und machte sich lächerlich. Als er das Provinzgymnasium und den Einflussbereich der Mutter verlassen hatte, zog vieles nicht mehr, was bisher seine Mutter planiert hatte. Das Umfeld wurde härter. Die Lehrer der Akademie pfiffen sich nichts mehr um die Einflüsterungen oder Drohungen seiner Mutter. Er bekam die Etikette eines Sonderlings, eines seelisch äußerst gestörten jungen Mannes verpasst. Die Lehrer an der Akademie ließen sich von seinen schulischen Leistungen, die in Sachen Theorie und Wiedergabe des Gelehrten noch immer recht passabel waren, nicht täuschen. Sie fanden, sie könnten es nicht verantworten, ihn Lehrer werden zu lassen, was er bzw. seine Mutter anstrebte. Wenn ein Lehrer der Akademie in der Klasse war, funktionierte der Unterricht des Karl recht gut, er trug den Stoff vor er wandte die gelernte Didaktik bei der Vermittlung an, und man konnte glauben, alles wäre in Butter. Sobald der Schulungslehrer die Klasse verließ, geriet die Klasse in Aufruhr, jede Disziplin brach zusammen, die Schüler machten nur Unfug, sie sabotierten den Lehrerschüler Karl, der Unterricht brach ab, die Schüler taten was sie wollten, ignorierten den Lehrer oder begegneten im aggressiv. Karl konnte tun und lassen was er wollte, er konnte seinen Unterricht nicht mehr fortsetzen. Ich lernte Karl im Internat kennen, ich war damals sein Mitschüler oder Mitstudent. Er war für mich sehr bald eine tragische Gestalt. Ich beobachtete ihn, mied aber seinen Kontakt, der mir sehr unangenehm war. Er hatte Geld genug, genug, um einen sichtlich gepflegten und gehobenen Lebensstil zu führen. Gut bürgerlich gekleidet. Er trug weiße Schals, was einen etwas versnobten Eindruck auf mich machte, aber lächerlich wirkte. Er stank geradezu nach Anpassung und Mühe nach Entsprechung nach einem nicht näher definierten „Comme il faut“ als Merkmal der gut bürgerlichen Gesellschaft. Er fuhr ein für ihn viel zu großes Auto, einen BMW älteren Baujahres, dessen Motor er aufheulen ließ, wenn es ihm gelang, uns in seinen Augen als seine ihn bewundernden Statisten  bei zu ziehen. Der PS-starke Polide hinterließ dann eine schwarz rauchende nach verbrannten Gummi stinkene Wolke, das Heck schwenkte mehrmals von rechts nach links und umgekehrt, die Antriebsräder hinterließen eine nachrauchende Gummispur auf dem Asphalt. So verschwand er unnütz beschleunigend und das Auto malträdierend  in der Ferne. Für mich ein Greuel. Hoffentlich kommt der Karl wieder zur Besinnung und baut keinen Unfall! Aber seltsamerweise baute er keinen. Wenn niemand hinsah, bleib er scheinbar „normal“. Mich irritierte vor allem sein maskenhaftes immer aufgesetzt wirkendes Lächeln, sein Mund wurde dabei viel zu breit und seine von einem an ihm gut verdienenden Zahnarzt gestylten Zähne traten aufdringlich hervor, was auf mich keineswegs einen freundlichen Eindruck machte, sondern vielmehr bei mir einen hinter der lächelnden Fassade versteckten aggrissiven, beißbereiten Gesichtsausdruck hinterließ. Es lief mir jedesmal kalt den Rücken hinunter, wenn er mir so gegenüber stand, ich muss zugeben, ich habe mich gefürchtet. Ich muss ferner zugeben, dass auch meine Mutter Anflüge eines solchen Gesichtsausdrucks annahm, wenn sie sich in der Öffentlichkeit bewegte. In der Familie nahm sie diesen Zug nicht an. Da war ihr Gesicht „ehrlich“. Selten traurig, oft wütend und zornig. Meine Mutter hatte wenig Humor, ihr Lächeln wirkte immer etwas gequält auf mich. Soviel also zur Parallele zu meiner Mutter.  Seine Gesprächsbeiträge waren alles andere als originell. Immer klang für für mich das vermeintlich gesellschaftliche Comme il faut mit, seine Aussagen strotzten nur so von Gemeinplätzen, Clischees und Modeimitationen, das mir übel werden konnte, wenn ich mir das zu lange gab. Kurzum: er flog, nachdem auch das Internat gut an ihn verdient hatte, von der Schule. Seine Mutter konnte nichts dagegen ausrichten. Dann verlor sich seine Spur für mich. Jahre später erfuhr ich, dass er Pferdeknecht in einem Reithof im Weinviertel geworden war. Meine Fantasie war: gar nicht so schlecht. Vielleicht hat er mit den Pferden mehr Glück als mit den Menschen. Auch für mich waren als Kind die Tiere als Bezugs“personen“ unter Umständen wichtiger als die Menschen. Noch heute genieße ich den Kontakt mit den Tieren sehr. Während mich der Kontakt mit Menschen sehr leicht anstrengen kann, erlebe ich Tiere, da besonders die Katzen als sehr erholsam. Ich wünsche Karl viel Glück mit den Pferden. Keine Frage. Ich habe auch erfahren, dass er den sozialen Status des Rossknechtes „selbstbewusst“ erhöht hat, er bezeichnete sich anlässlich eines Besuches von ehedem Schulkameraden als Turnierreiter, Pferdeeinreiter, er wäre zuständig die Pferde bei Gesundheit zu halten und sie wieder ins Lot zu bringen, wenn die Anfänger sie verpatzten. In Wahrheit mistete er ihre Ställe aus, schaffte er ihr Futter herbei, schrubbte er ihnen den Schlamm von den Beinen, wenn die „Anfänger“ sie durch den Morast galoppieren ließen. Ich kann nur hoffen, dass ihm seine Don Quichoterie Lebenssinn und Lebensfreude vermittelt und ihn über seine Lebensrealität gut hinweghilft. Vielleicht hat Karl seine Berufung gefunden, was weiß ich schon. Ich habe seine Spur verloren, aber auch nicht wirklich wert darauf gelegt, sie nachhaltig zu verfolgen. Karl war für mich sich seiner selbst entfremdet, ein Opfer seiner an ihn verbrochenen erfolgreichen Erziehung. Mir ist Karl ein Spiegel, wie ich hätte werden können, wenn mir die Widerstandskraft gefehlt hätte, den Erziehungsanstrengungen meiner von der Gesellschaft beauftragten Pädagogen zu trotzen. Ich ging in meiner Dienstbefließenheit, mit der ich Anerkennung, Zugehörigkeit,.. erringen wollte, bis an meine Grenze, an die Grenze des Verrücktwerdens, dass ich psychisch meinen Schaden abgekriegt habe, keine Frage, nur konnte ich noch umkehren, den Kontakt mit mir und den Menschen wieder suchen, und als Lebensaufgabe begriffen ihn nach und nach wieder finden. So gesehen bin ich meiner Widerstandsfähigkeit gegenüber den pädagogischen Verbrechen dankbar.

Meine Mama würde mich nie schlagen

Eines Tages ging ich ganz naiv in die Schule. Für mich war es ein Tag wie viele andere. Am Abend des Vortags hatte meine Mutter wieder einmal ein Hühnchen mit mir zu rupfen. Den Anlass dafür habe ich vergessen. Auf alle Fälle fing ich ein paar ordentliche Watschen ab. Ich sah mich kaum einmal in einen Spiegel, entweder stand er wieder einmal für mich unerreichbar hoch, oder ich hatte einfach kein Verlangen hinein zu schauen. Ich sah mich damals nicht gerne im Spiegel. Ich ging also wie üblich in die Schule, meine Geschwister bemerkten auch nichts Auffälliges an mir. In der Pause zeigte ein Kind mit seinem Finger auf mein Gesicht und sagte: Was hast du denn da? Na, was soll ich schon haben?!  Mein Klassenkamerad sagte zu mir, du hast eine Beule, du hast einen blutunterlaufenen Fleck oder du hast einen Kratzer im Gesicht? Ich weiß es nicht mehr wörtlich, was er bemerkt haben wollte.  Mein auf mich zeigender Schulkamerad und meine wahrscheinlich etwas heftige Antwort auf seine Fragen erregten die Aufmerksamkeit vieler Schüler. Im Nu standen sie um mich herum und bestaunten den blau durchlaufenen Fleck,... und ah und ah, was ist denn das, was hast du denn da, was ist dir denn passiert, hast du geblutet,...? bis ein Kind sagte, bist du geschlagen worden? Ich dachte, der Klassenkamerad hat mich durchschaut, er erkennt an der Art der Verletzung, was geschehen sein musste, lügen ist zwecklos, da mach ich mich nur lächerlich, und ich sagte: Ja. Große Betretenheit, Schweigen – ach hätten nur die Kinder gesprochen, die sich auskennen und womöglich auch geschlagen werden – aber von denen kam nichts. Meine Anspannung wuchs... da sagte ein dem Eindrucke nach wohl behütetes Mädchen: Meine Mama würde mich nie schlagen. Alle Blicke wanderten auf das gesprochen habende Mädchen. In mir stieg eine mir nicht erklärbare Wut hoch, ich hätte das geputzte junge Fräulein würgen können. Ich fühlte, dass sie sich über mich stellte. Sie gehörte einer Familie an, die besser ist als meine, die sich des Schlagens von Kindern nicht bedient, wenn es einmal Konflikte gab. Ich gehöre einer Familie an, die primitiv ist, die schlechter ist als die ihre, Familien, in denen geschlagen wird, sind minderwertige Familien. Ich dachte bei mir, das hast du wieder einmal not gehabt, hast den anderen Gelegenheit gegeben, dich runter zu machen. Ich schwor mir, ferner hin nicht mehr so dumm zu sein. Ich litt unter der Aussage des Mädchens, ich fühlte mich minderwertig, einer schlagenden Familie anzugehören. Ich wollte in Hinkunft in der Öffentlichkeit nicht mehr sagen, dass ich geschlagen werde. Heute ist mir klar, dass ich damit meinen bedrohten Selbstwert retten wollte. Es ist mir eh'  nicht gelungen. Ich fühlte mich schlecht in Bezug auf die Kinder die nicht geschlagen wurden und ich fühlte mich schlecht in Bezug auf meine Herkunft. Aber es sollte zumindest niemand merken. Ich wollte eine zweite Identität haben, eine öffentliche, mit der ich gut dastehen wollte, als ein Angehöriger einer ganz normalen Familie. Aber vor mir selbst konnte ich nichts verstecken. Ich wusste darum, dass die Identität in der Öffentlichkeit auf einer Vermeidung, Verheimlichung oder gar Lüge beruhte. Und die Wahrheit, vor der ich mich nicht drücken konnte, war doch, dass ich das Kind einer schlagenden Familie war. Für mich teilten sich schon damals die Menschen des Dorfes in zwei unterschiedliche Kategorien von Dorfbewohnern. Die einen schlugen ihre Kinder nicht, ihre Kinder wurden nicht nur nicht geschlagen, sondern auch vor Schlägen geschützt, sie würden respektvoll behandelt oder vielleicht sogar geliebt. Die anderen schlagen, schelten, beschimpfen ihre Kinder, fluchen auf ihre Kinder und behandeln sie respektlos. Ich fühlte mich zur zweiten Kategorie zugehörig. Ich muss gestehen, dass ich in meiner kindlichen Verfassung das auch irgendwie so in Ordnung fand. Aufbegehren dagegen ja, aber sehr unartikuliert und von mir selber – sicher über einen Lernprozess -  unterdrückt und nieder gehalten. Ich war schlechter als die Kinder die nicht geschlagen wurden, mein „Aufstieg“ zu den nicht geschlagenen Kindern war durch Verschweigen und Lügen erschwindelt, was meinen Selbstwert nicht wirklich rettete. Ich war schlechter, schlimmer, minderwertiger als die anderen Kinder, die nicht geschlagen wurden, und ich verdiente schon irgendwie die schlechtere Behandlung. Ich suchte meine Freunde im verstärkten Maße unter den Kindern, die geschlagen wurden. Mir blieb diess Fakt nicht verborgen. Die nicht geschlagenen Kinder waren mir suspekt, ich fürchtete von ihnen beim Lügen erwischt und bloß gestellt zu werden, ich hob sie von meinem Lebensumkreis ab und in die Höhe, ich könnte nicht mit ihnen sein. Ich hatte das Gefühl nicht zu ihnen zu gehören und nicht zu ihnen gehören zu dürfen und sie wollten mich nicht in ihre Gemeinschaft aufnehmen und darin akzeptieren, zunehmend verstärkt, als ich in Richtung Pubertät unterwegs war. Ich hatte die Zugehörigkeit zur dörflichen Unterklasse gelernt. Das wortlaute Mädchen hat mich möglicherweise nicht abwerten wollen. Ich bin mir da heute gar nicht mehr so sicher. Ich halte es für möglich, dass sie im Moment nur froh war, keine schlagende Mutter zu haben. Ich weiß es nicht. Vielleicht gab es im Dorf bereits zwei verschiedene Kulturen, die sich so weit auseinander entwickelt hatten, dass zumindest die Kinder in ihrer Naivität einander nicht mehr verstanden. Gewissermaßen einander vorbei redeten.  Ich fühlte mich durch die Äußerung des Mädchens abgewertet, in die dörfliche Unterklasse verwiesen. Ich sehe das heute so: ich war bereit für diese Zuweisung in die Unterklasse. Warum auch immer. Wie hätte ich nicht bereit sein sollen!? Wenn das Mädchen in der Kategorie der sozialen Überlegenheit und Unterlegenheit dachte und sprach, so hatte sie sie von den Erwachsenen gelernt, und wenn wir uns im Denken in diesen Kategorien begegnet sind, dann habe auch ich das Denken in diesen Kategorien gelernt und sie mir zu eigen gemacht. Ich denke, ich war nicht dumm, ich habe die soziale Realität in meiner Wahrnehmung abgebildet. Ich litt an den Problemen der Erwachsenen, aber die hatten offensichtlich keine. So mussten es v. a. die Kinder der Unterklasse austragen. Was die Beziehung zu dem Mädchen betrifft, bin ich heute eher traurig als wütend über diese Entwicklung, die schon uns Kinder in der Schulklasse gespalten hatte.

Der Ahnltag

Für die im oberösterreichischem Dialekt nicht bewanderten so viel: Ahnl dürfte was mit Ahn wie in der Ahnfrau z.B. bei Grillparzter zu tun haben, könnte aber auch mit Enkel und daher Enkeltag in Verbindung gebracht werden. Letzteres ist aber eher  unwahrscheinlich. Mit Ahn ist  hier der Großvater gemeint. Mit Großvatertag kommt man der Realität am nächsten. Es gab ihn jedes Jahr, den Ahnltag. Er wurde immer an einem Sonntag gefeiert, an dem dem Geburtstag des Großvaters am nächsten gelegenen Sonntag. Klar, die Bauern haben außerhalb des Sonntags keine Zeit zum Feiern. Er lief ab wie der Fahrplan der Bahn. Ab dem vierten oder fünften Lebensjahr wurde ich verpflichtet, dem Großvater bei seinem Ahnltag ein „Gedicht“ aufzusagen. Es war mehr ein Spruch als ein Gedicht. Ich verstand nicht was ich da sagen sollte. Wenn mir die Mutter den Spruch vorsagte, hörte ich Wörter, die ich bisher noch nie gehört hatte. Gratulieren, Jubilar,... kamen drin vor. Wörter, die im Alltag des Sprachgebrauchs noch nie jemand benutzt hatte. Ich dachte, ah, dass wird wohl die Sprache wie in der Kirche sein, die verstand ich auch nicht. Meine Mutter begann einige Tage vor dem Ahnltag ein Trainigsprogramm. Sie sagte mir den Spruch vor, ich hatte ihn nach zu sagen. Die Worte waren für mich ohne Sinn und daher schwer nachzusagen. Ich hatte große Angst vor der Trainigs“stunde“. Meine Mutter war sehr ungeduldig, ein Fehler, ein Stocken und schon rastete sie aus und beschimpfte mich: Blödian, das kann doch nicht wahr sein, einem Drottel was zu lernen ist ein Kunststück, bist so teppert oder stellst du dich so teppert, merk dir das oder du kriegst gleich eine,... Ich war so aufgeregt, so voller Angst, dass ich erstens nur stotterte und alles vergaß was sie mir mehr vorschrie als vorsprach. Ich vergaß was ich schon gesagt und was ich noch zu sagen hatte. Wo war ich stehen geblieben? Ich wiederholte was ich schon gesagt hatte. Meine Mutter wurde immer rasender vor Wut. Sie riss mich auch schon mal bei den Haaren und versetzte mir eine. Mit einem Fluch auf mich, aber Du entkommst mir nicht, glaub ja nicht, dass ich dir das erspar, du sagst das Gedicht auf, das schwör ich dir,...So du Esel, üb alleine weiter, morgen prüf ich dich und wehe du stotterst! Glaub nicht, dass ich so viel Zeit vertu mit dir,.. Das ging so weiter, bis ich den Spruch aufsagen konnte, trotz allem. Früh wurde ich aus dem Bett geholt. Ich musste mich waschen und anziehen. Meine Mutter rupfte noch ein wenig an meinen Kleidern herum, zog mir mit dem Lauskamm durch die Haare und dann noch einmal das Gedicht. Ich betete zu Gott, bitte Gott lass mich nicht stottern. Ich schlürfte eine Tasse Cao Cao hinunter, die wie immer viel zu heiß war, aber keine Zeit war sie abkühlen zu lassen. Dann die Instruktion des Tages: Du gehst jetzt in die Messe. Nach der Messe gehst du gleich zum Großvater. Hast du verstanden, du kommst nicht mehr nach Hause. Du hast jede Menge Zeit. Um rund zwei Uhr am Nachmittag beginnt die Feier. Wir werden nach kommen. Also dass du auch wirklich um zwei Uhr dort bist. Mit wir waren alle anderen Familienmitglieder gemeint. Auch sie gingen in die Kirche, gingen aber danach wieder heim, sie aßen zusammen Mittag, dann machten sie sich fertig für den Ahnltag. Am Ahnltag  war meine Familie nobel. Es wurde das Jukkerwagl aus der Garage geholt, ein Zweisitzer auf vier Rädern, ein beqeuemes Wagerl, leider mit wenig Platz, nur eine einzige Sitzbank, Hinter der Sitzbank ein schmaler Kofferraum. Nur Schultaschen hatten darin leicht Platz, leider benutzten wir das Wagerl nie für den Schulweg. Vor der Bank war eine Fußmulde, die an der Vorderfront mit einer stabilen Holzwand abschloss. An der Wand Innenseite montierte unser Vater ein Sitzbrett, die Kinder saßen darauf mit dem Rücken in Fahrtrichtung, die Beine zwischen den Beinen von Mutter und Vater. Vater steuerte den Braunen, Mutter saß daneben, auf jedem ihrer Schenkel ein Kleinkind.  Rosi, Franz und Alois auf dem Brett in der Fußmulde, Seppl und Traudi auf dem Schoß der Mutter. Florian war schon unterwegs auf der Landstraße, das muss auch einmal gesagt sein, meine Eltern verstanden was vom Organisieren! Ich marschierte derweil den vorgezeichneten Weg, in unsere Pfarrgemeinde in die Messe, vier Kilometer, von da in das Dorf des Großvaters, rund sechs Kilometer. Gottseidank, ich hatte Zeit! Zur Zeit des Ahnltages war meistens schönes Wetter, es musste Mai oder Juni gewesen sein. Ich sah mir die Landschaft an, machte ein paar Schritte von der Straße, um Sauerampfer zu essen, pflückte die eine oder andere Blume, die ich den Halbkousinen mitbringen würde,... Ich befand mich in fremdem Land. Fahrradfahrer fielen fast vom Rad, so durchdringlich musterten sie mich, ein Jukkerwaglfahrer hielt sogar einmal neben mir an und fragte mich, wer ich denn sei, woher ich käme und wohin ich denn ginge. Nachdem das ausgedeutscht war, lud er mich ein, auf sein Wagerl, neben ihm auf dem Kutschbock, zu sitzen. Feine Sache! Der Mann kannte meinen Vater von Kindesbeinen an. Ich hatte viel Zeit gewonnen, als wir die Gabelung der Straße erreichten, wo sich unsere Wege trennten. Noch rund einen Kilometer eine Talmulde hinein, dann würde ich rechts abbiegen und zirka 100 Meter aufwärts marschieren und werde da sein. Bevor ich eintrat, verspürte ich Herzklopfen. Die Haustür stand offen schon wegen der erwarteten Gäste. Als meine Schritte auf dem Pflaster des Vorhauses widerhallten, stand sobald eine meiner Halbkusinen vor mir (nicht blutsverwandte Cousinen, durch die Liaison meines Onkels Schorsch mit der Dirn in die Verwandtschaft gekommen). Ein lautes Gerufe brach aus. Der Flor ist da, hallo hört's. der Flor ist da! Mir kommen noch immer die Tränen, wenn ich mich an das Freudengeschrei erinnere. Selten, dass ich so herzlich begrüßt wurde. Kaum auszuhalten! Hundert Fragen noch ehe ich allen die Hand geschüttelt hatte. Ich erzählte von der Einladung auf den „Kutschbock“. Man rätselte, wer das wohl gewesen sein könnte und wurde bald schlüssig. Bald saß ich auf einem Stuhl, mir wurden die staubigen Schuhe  ausgezogen, die ich später wieder geputzt bekommen sollte. Ich bekam Tee. Ich saß eine Weile am Küchentisch, erzählte und ruhte mich in den Sprechpausen ein Bisschen von den Strapazen auf der Landstraße aus. Dann begann ich das Haus und die Umgebung zu erkunden.  Onkel Schorsch liebte Bankerl und Tische im Freien. Es gab ihrer mehrere um das Haus. Auf einem solchen setze ich mich hin und blickte in die Richtung der zum Haus verlaufenden Straße. Ich wollte meine Familie kommen sehen. Habe ich geschlafen oder nur geträumt. Pferdehufengeklapper. Der Braune in weiter Ferne. Meinem Vater gelang es tatsächlich, den Braunen zum Traben zu bringen. Eine Staubwolke ringelte sich hinter dem Jukkerwagerl. Meine Eltern, meine Geschwister waren da. Nach und nach trafen alle meine Onkel ein, die Tanten waren nicht so zahlreich, Kinder in mäßiger Zahl. Es war mehr ein Erwachsenenfest, einige Kousins und Kousinen lernte ich hier kennen, die mir z.T. allerdings wieder abhanden kamen. Der Braune bekam einen Stehplatz im Pferdestall, einen Ballen Heu und  einen Eimer Wasser. Onkel Schorsch sah immer wieder nach dem Rechten, wenn aus dem Stall dumpfe Schläge und lautes Wiehern zu hören war. Pferde sind keine guten Gastgeber. Nicht im eigenen Stall. Die Stube hatte sich gefüllt. Der Großvater saß auf der Ofenbank, fein herausgeputzt. Nachdem einige Kousinen und Kousins vor mir dran waren mit oder ohne Sprüchlein, kam mein Auftritt. Ich hatte die Choreographie mehrmals mit meiner Mutter eingeübt: Vor den Großvater hintreten, das Sprücherl aufsagen, dem Großvater die Hand geben. Wenn nur die Mutter nicht hier wäre! Ich war sehr aufgeregt. Die Lippen bewegten sich, wie von einer Uhrfeder aufgezogen spulte ich die Wörter herunter. Ich stotterte nicht. Der Tag war gerettet. Der Großvater schien gelangweilt. Jedes Jahr dasselbe, jedes Jahr dieselbe Prozedur. Seine roten Augen wurden jedes Jahr noch röter, der Speichel an seiner Unterlippe sammelte sich immer schneller. Eine meiner Halbkousinen trocknete ihn mit einer Kinderwindel ab. Dann wurde gefressen. Ein Essen mit mehreren Gängen. Bauern können ganz schön schlemmern. Aber alles aus der eigenen Produktion. Den besten Most aus dem Keller, Cremige Suppen mit Fleischstückchen und Knödel, gefüllten Schweinebraten mit Kruste, Säfte natürlich selbst gemacht aus Früchten aus dem Garten oder dem nahen Wald, Kompotte, Salate, und alles schmeckte frisch und war knackig. Den Abschluss bildete eine Torte mit heißem Cao Cao. Der Onkel führte uns dann noch in seine Vorratskammer, wo es noch einmal den einen oder anderen Leckerbissen gab. Z.B. Dörrobst, Nüsse,.. Nach der Schlemmerei ging es ans Entdecken, das Haus wurde abgesucht nach Spielgelegenheiten. Der Traktor, die Scheune usw. Irgendeinmal schrie die Mutter nach mir: Flor, du musst dich anziehen, du musst auf den Weg, dass du heute noch nach Hause kommst! Oh, Scheiße, wenn ich jetzt nur mit dem Braunen nach Hause fahren könnte! Den ganzen Weg noch einmal! Murren bringt höchstens Watschen. Verabschiedung. Allen Onkeln und Tanten die Hand, die kaum auf mich herunter blickten, der Großvater schlief bereits auf der Ofenbank, die Halbkousinen wieder sehr herzlich mit Wünschen und Winken. Das war der Ahnltag. Der Ahnl starb, als ich rund vierzehn Jahre alt war. Meine Familie hatte mich bestimmt, zu seinem Begräbnis zu gehen. Es war ein kalter Novembertag. Beim Totenmahl saß ich inmitten meiner Onkel. Ich fühlte mich ganz komisch. Mein Vater war nicht da. Er ging nicht auf das Begräbnis seines Vaters. Er ließ sich unausgesprochen durch mich vertreten. Es war ein Werktag, er wollte zu Hause  keinen Werktag versäumen. Wenn ich meine Familie mit einem Wolfsrudel vergliche, dann schickte sie das Omegatier zum Begräbnis des Großvaters.   


Meine erste Lehrerin und ich

Es begann mit einer Krise. Ich hatte keine, weil ich davon nicht viel mitbekommen habe. Aber meine Lehrerin musste eine gehabt haben. Sie war hin und her gerissen, wusste lange nicht wie sie mit mir verfahren sollte. Ich war in der Schule irgendwie da und nicht da. Ich habe keine Erinnerungen an den Alltag in der Schule, der in der Hauptsache doch sicher der Unterricht war. Ich erinnere mich nicht an den Unterricht. Was hat die Lehrerin vorgetragen, was hat das mit mir gemacht? Ich erinnere nichts. Ich weiß nicht mehr, wie ich das Alphabet, wie ich die Grundrechnungsarten gelernt habe. Ich habe es gelernt, aber es hinterließ keine Erinnerungsspuren. Wo waren meine Emotionen, es gibt es doch nicht, dass ich keine gehabt habe. Aber ich erinnere mich an etwas anderes.
Meine erste Lehrerin war eine für meine damaligen Begriffe alte Lehrerin, eine erfahrene Lehrerin, heute sage ich: Gott sei Dank. Ich war äußerst teilnahmslos gegenüber der Schule,  gegenüber dem, was sich dort tat. Meine Lehrerin konnte mich mit ihren Angeboten sicher nicht erreichen. Ich kümmerte mich nicht was ich in der Schultasche hatte. Es war immer dasselbe drin. Was ich irgend einmal hinein gekriegt und vielleicht auch selber ohne Eifer und innerer Beteiligung einmal hinein gegeben habe, das hatte ich dann für lange Zeit drin und ich trug es dann mit mir herum, von zu Hause zur Schule und umgekehrt. Eine zeitlang wollte meine Lehrerin daran was ändern. Sie schrieb Briefe an meine Eltern, die sie meiner Schwester Rosi mit auf den Weg gab. Sie ging damals bereits in die fünfte Klasse. Meine Schwester Rosi war sehr verantwortungsvoll, eine zuverlässige Briefträgerin. Was in den Briefen geschrieben stand, muss ich durch meine Fantasie ergänzen. Wissen tu ich gar nichts. Auf alle Fälle nahm  mich meine Mutter eines Tages her. Meinen Vater schien das alles gar nichts anzugehen. Zu meiner großen Überraschung interessierte sie sich für mich und die Schule, meine Schule, soweit sie mich etwas anging und ich es ignorierte. Sie meinte, sie müsste mir mir die Hausaufgabe machen. Ich machte nie Hausaufgaben. Ich wusste kaum, was für eine Hausaufgabe ich machen sollte. Hätte mich die Mutter gefragt, was hast du als Hausaufgabe auf gekriegt, ich wüsste es nicht, nicht genau, mit der Genauigkeit wie wir sollten etwas schreiben, vielleicht Buchstabe in so und so vielen Zeilen üben und in Rechnen, na ja da ist schon was, aber was, weiß ich  nicht genau. Das machte meine Mutter rasend. Sie nahm die Schultasche zur Hand, fetzte die Hefte heraus und schmiss sie auf den Tisch,  auch die Schulbücher, um sie nach Hinweisen zu untersuchen. Ich sah eine Gewitter sich über meinem Kopf zusammen ziehen, ich wurde immer steifer und gelähmter. Da würde es bald Fotzen geben. Heute komme ich dran, es gibt kein Entkommen. Sie wurde fündig, es stand auf einmal irgendwo geschrieben: Hausaufgabe : In ungeschickter Malschrift dies und das. Ich hatte es von der Tafel abgemalt, aber ohne jede innere Beteiligung. Meine Mutter war eine gute Schülerin gewesen. Sie ging nur bis zum 12. Lebensjahr in die Schule. Man brauchte sie zur Arbeit auf dem Hof. Sie las wirklich gut, sie konnte schnell lesen. Im Gegensatz zu meinem Vater. Sie rechnete auch gut und alles im Kopf. „Gut“, heute war Rechnen angesagt. Es muss etwas im Brief gestanden sein so in der Art: Ihr Sohn kommt regelmäßig ohne gemachte Hausaufgaben in die Schule, er ist nicht dumm, aber er kümmert sich überhaupt nicht um das zu Lernende. Wenn das so weiter geht, wird ihr Kind bald zurück bleiben und dem Unterricht überhaupt nicht mehr folgen können. Bitte kümmern sie sich darum, dass ihr Sohn wenigstens die Hausaufgaben ordentlich macht. Es wäre schade um ihn. Wir wollen doch alle nicht, dass er sitzen bleiben muss. Ich hatte keine einzige Zeile mit meiner Mutter an meiner Seite zustande gebracht. Mir zitterte die Hand. Ihre Stimme war schrill. Sie befahl. so schreib! … Ich malte die Ziffern mit wackeliger Hand, ich versuchte scheller zu malen, denn meine Mutter wirkte ungeduldig. Es sah sicher nicht gut aus, was ich auf das Papier kritzelte. Sie wurde böse. Dann noch die Rechnung. Wieviel ist das? Ich wusste es nicht. Nein, ich rechnete gar nicht. Ich rüstete mich, die erste Watsche abzufangen. Ich erstarrte zur sprichwörtlichen Salzsäule. Schimpfkanonaden. Esel, Trottel. Was machst du eigentlich in der Schule! Sie steigerte sich hinein. Was glaubst du eigentlich wer du bist, glaubst du wirklich, ich lass mich von dir verarschen. Ich weiß nicht wie mir der Kopf steht vor lauter Arbeit und dann das noch, dann soll man mit dir lernen, weil du zu faul bist, deine Hausaufgaben zu machen, weil der gnäh' Herr meint, in der Schule nicht aufpassen zu müssen, weil er meint, ihm könne es wurst sein, was die Leherin will und ich solle es ausbaden. Da kommst du mir aber gerade recht. Täusch dich nicht, dieses Spiel spielst du nicht mit mir! Sie kochte vor Wut. Ich spürte sie mich am Haarschopf zu fassen und dann drückte sie ruckartig meinen Kopf auf das Schreibheft. Zwei, drei Mal riss sie meinen Kopf in die Höh und schleuderte meinen Kopf auf das Papier. Meine Nase brannte auf und es begann warm aus meiner Nase zu rinnen. Ich schrie mit verbissener Stimme und heulte, ich fühlte mich wie vor meiner Hinrichtung. Sie musste sich als gescheitert vorgekommen sein. Sie riss das Heft unter meinem Kopf weg. Sie sah, dass das Heft seiner Zerstörung entgegen ging. Das Blut, die Tränen verteilten sich auf dem aufgeschlagenen Heft. Sie unternahm etwas um das Heft zu retten. Ich nehme an, sie riss die nassen Seiten heraus. Sie wirkte resigniert. Du bist absolut zu nichts zu gebrauchen. Du Nichtsnutz! Du lernst nicht, du arbeitest nicht, wenn man nicht ständig hinter dir her ist. Ach leck mich doch am Arsch, mach deinen Scheiß alleine, ich geh wieder zu meiner Arbeit! Glaub nicht, dass ich mich mit deiner Faulheit, deiner Drückebergerei zufrieden gebe. Wanst blöd bleim wüst, na guat, deine Sache! Bei der Arbeit lass ich dir das nicht durchgehen! Ich würde mich nicht wundern, wenn sie mir noch gedroht hätte, welche Arbeiten ich bis am Abend zu verrichten hätte, und wehe mir, wenn sie nicht verrichtet wären. Ich hörte stampfende Schritte Richtung Tür, sie riss sie auf, schlug sie hinter sich wieder zu. Ich geriet in Panik über die Blutspuren aus dem Tisch, auf meiner Hose, dann rann ich in die Küche, zu einem Wassereimer, dort wusch ich mich, solange bis das Bluten ein Ende hatte. Meine Mutter ignorierte ab nun die Briefe meiner Lehrerin. Meine Schwester kam in die Bredouille. Sie bekam immer weiter Briefe in die Hand, die sie meinen Eltern bringen musste. Ich weiß nicht was vorgefallen war, auf alle Fälle lief sich das Briefe senden tot. Irgend einmal schrieb meine Lehrerin keine Briefe mehr. Das bekam ich mit. Ich war erleichtert. Meine Schwester sagte mir später einmal, sie hatte es gelernt, die Unterschrift unserer Mutter nach zu ahmen. Wie gut das gelungen ist, ist eine andere Frage. Es kann sein, meine Lehrerin hat die Schummelei durchschaut und hat daraus keinen Skandal machen wollen. Ich halte es für möglich, dass sie Mitleid hatte, sowohl mit meiner Schwester Rosi als auch mit mir. Es war aber nicht die letzte Prüfung, derer ich meine Lehrerin unterzog. Ich kam regelmäßig eine halbe bis eine Stunde zu spät in die Schule. Das kam so. Meine Schwester Rosi war dafür verantwortlich gemacht worden, dass ich rechtzeitig in die Schule kam. Meine Schwester keifte daher immer schrecklich mit mir auf dem Schulweg, dass ich zu langsam ginge. Schneller, schneller, beweg deine Beine! Mir ging das Gekreische immer mehr auf die Nerven. Ich blieb immer weiter zurück, um das Geschimpfe meiner Schwester nicht mehr zu hören. Es wird schwer gewesen sein, meinen älteren Geschwistern zu folgen, Sie waren um einiges älter. Und solange ich mich erinnern kann, ging es immer am Morgen hektisch zu an einem Schultag.  Die Abwesenheit meiner Eltern als Helfer für einen raschen und pünktlichen Aufbruch, der lange Schulweg, das Wetter, es war immer problematisch, die Schule pünktlich zu erreichen. Meine Schwester ertrug es nicht zu spät zu kommen. Sie hatte den Ärger mit den Lehrern satt, die Vorwürfe ließen sie nicht kalt. Ich war völlig unmotiviert in die Schule zu gehen. Das musste sich spießen. Meine Lehrerin ging mit meinem regelmäßigen Zuspätkommen so um: Sie ließ mich zur Strafe in der Ecke stehen. In voller Montur, also mit allenfalls Mantel und immer Schultasche auf meinen Schultern. In der Neunuhrpause, eine Fünfminutenpause, durfte ich dann auf meinen Platz gehen. Die erste Schulstunde versäumte ich so regelmäßig. Ich war meiner Lehrerin überhaupt nicht böse für diese Strafe. Ich fand sie sehr milde. Sie muss mich ja strafen, das ist ja ihre Pflicht. Sie muss durchsetzen, dass die Kinder pünktlich in die Schule kommen. So verständnisvoll war ich gegenüber meiner Lehrerin. Vor nicht zu langer Zeit, beim Begräbnis meines Bruders Franz, begegnete ich meinem damaligen Schulfreund Robert. Er sagte mir, ich hätte ohne ein Wort von der Lehrerin mich immer automatisch in die Ecke gestellt, sobald ich in die Klasse gekommen war. Das hatte sich bei mir wirklich zu einer automatischen Handlung entwickelt, dazu passt, dass ich es vollkommen vergessen habe. Gerade noch flackert in mir auf ein Gefühl der Hemmung und Peinlichkeit, das Klassenzimmer zu betreten. Der Druck auf die Türklinke fiel mir schwer. Erst auf die Erinnerung durch meinen Freund Robert hin dämmerte mir mein freiwilliger Gang in das Winkerl.  Es hätte eine Bloßstellungsaktion sein, die ihre Wirkung auf mich haben sollte. Ich nahm sie in Kauf. Wenn im Unterricht einmal die Familie, Familiensituationen in den Mittelpunkt des Gesprächs kamen, redeten fast immer die selben Kinder mit und erzählten von schönen Erlebnissen. Ich fühlte mich dann sehr ausgeschlossen. Und ging es einmal gar nicht anders, dass auch ich über meine Erlebnisse in der Familie etwas sagen musste, dann hatten mich meine Eltern sehr lieb und bescherten mir ebenso schöne Erlebnisse, wie auch die erzählfreudigen Kinder sie erlebt hatten. Ich wusste, dass ich log. Meine Lüge beschämte mich. Pack schlägt sich! Ich wollte nicht zum Pack gehören. Es durfte nicht öffentlich werden, dass ich ein Kind des Pack war.. Mit den Worten von  heute würde ich sagen, ich fühlte mich von einer Reihe von Bedrohungen eingekreist. Meine Eltern durften nichts zu Ohren kriegen, was sie provozieren könnte, so dass sie mich nicht nur verurteilen, sondern auch watschen würden; dass ich log, damit ich dazu gehörte. Die Wahrheit über meine Familie und wie ich mich darin fühlte, würde mich zum Außenseiter machen und mich abwerten, weil ich aus dem Pack komme. Ich wäre ein Verräter meiner Familie, wenn ich nach außen trüge, was ihrem Ansehen schadete. Ich würde mich selbst mit abwerten. In der Auseinandersetzung in der Klasse und am Schulhof war ich ein wehrloser Watschenbaum, da meine Waffen mich diskreditierten. Sie waren schlagen und zurückschlagen. Die Lehrer würden das nicht dulden. Die Eltern könnten benachrichtigt werden und mich verprügeln. Meine verbalen Waffen waren äußerst unterentwickelt. Ich war darin sehr unsicher. So war ich verstummt.
Ich mochte meine Lehrerin, ich war ihr dankbar, dass sie mich in Ruhe ließ, dass sie aufhörte meine Eltern mit Briefen zu alarmieren, dass sie aufhörte, von mir die Hausaufgaben einzufordern, dass sie aufhörte, mit Moralpredigten und Ermahnungen meine Schwester zu traktieren, ... Es kommt mir heute wie ein Wunder vor, wie meine erste Lehrerin sich mit mir arrangiert hatte. Sicher keine einfache Sache. Ich spreche ihr große Reife zu. Und ich hatte großes Glück mit ihr gehabt. Nur ein paar Jahre später, und ich wäre mindestens dem Schulpsychologen vorgeführt worden. Ich lernte später ein „verhaltensauffälliges“, um 10 Jahre jüngeres Kind kennen, dass ab der ersten Klasse Psychopharmaka schlucken musste, weil es so vom Psychiater verordnet und dessen Einnahme von der Mutter kontrolliert worden war. Meine Lehrerin kam bei jedem Wetter mit einem Regenschirm in die Schule. Ich redete mit meiner Lehrerin nie ein Wort, wenn sie mich nicht um etwas gefragt hatte. Ich hatte mit ihr einen gemeinsamen Schulweg von ein paar hundert Metern.  Ohne Worte griff  ich am Ende des Unterrichts nach ihrem Schirm und trug ihn hinter ihr her. Ich wollte ihr einfach zeigen, wie froh ich bin, dass sie mich in Ruhe lässt. Wenn ich es damals auch nicht sprachlich ausdrücken konnte, fühlte ich doch, dass sie mich akzeptierte. Sollte es ihn geben, schicke ich ihr einen rückwirkenden Dank!

Als der Ehrenbürger G. mich ums Ohr haute

Beim Kaufmann G. kaufte unsere Familie seit Menschengedenken ein. Wir waren eine Stammkundschaft. Meine Mutter am Sonntag durch den Hintereingang, meine ältere Schwester Rosi, wenn sie Kaufaufträge auf den Schulweg mitbekam,.. und nun ich, der einen Kaufauftrag bekam, kaufte beim Kaufmann G. ein. Nach der Schule ging ich ins Geschäft, legte den Einkaufszettel auf den Tresen. Alles war Routine. Ich guckte im Geschäft ein wenig herum, da gab es ja immer was zu sehen, während der Kaufmann  inzwischen die sieben Sachen zusammen suchte, dann schrieb er die Rechnung, ich zahlte, dann half er noch beim Einpacken in die Einkaufstasche und ich machte mich auf den Nachhauseweg. Ich blieb nicht stehen, die Tasche hatte kein Loch, es konnte nichts herausgefallen sein. Als ich zu Hause angekommen war, leerte die Mutter die Einkaufstasche. He, sagte sie, da fehlen ja die Tiefkühlsackerl, hast du die Tiefkühlsackerl nicht gekauft? Oh doch, sagte ich, ich legte den Einkaufszettel auf den Tresen, der Kaufmann G. suchte die Sachen zusammen und steckte sie mir in die Tasche. Er sagte nicht, dass er keine Teilfkühlsackerl hätte. Die Mutter blickte auf die Rechnung. Sie stehen auf der Rechnung. Sapperlott, hast du sie vielleicht verloren? Hast du die Tasche irgendwo abgestellt, ist sie vielleicht umgefallen? Nein, sagte ich, ich ging schnurstraks nach Hause. Ich habe die Tasche nicht abgestellt, sie ist nicht umgefallen. Es kann nichts herausgefallen sein. Na gut, wenn du nichts verloren hast, dann hat sie der Kaufmann G. nicht hinein gegeben. Du gehst jetzt sofort noch einmal ins Dorf zu Kaufmann G. Und sagst ihm, er muss die Tiefkühlsackerl hineinzugeben vergessen haben, sie stehen allerdings auf der Rechnung, und komm mir ja mit den Sackerln nach Hause, ich brauche sie noch heute! Also los. Oh Gott, wenn das nur gut ausgeht, dachte ich. Ich muss noch einmal gehen. Ich habe keine andere Wahl. Beim Kaufmann G. angekommen trug ich, was ich zu sagen hatte, vor. Der Kaufmann beteuerte, alles in die Tasche gegeben zu haben, er wäre sich da ganz sicher. Ich müsste die Sackerl am Nachhauseweg verloren haben. Nein, sagte ich, ganz sicher nicht. Ich hielt die Tasche ständig in der einen oder anderen Hand und ging ohne Pause schnurstraks nach Hause. Meine Mutter nahm mir die Tasche ab und untersuchte sie sofort nach dem Inhalt. Alles sei da gewesen nur die Tiefkühlsackerl nicht. Der Kaufmann blieb bei seiner Version. Er hätte sie hinein gegeben. Vielleicht sind sie der Mutter aus der Hand geglitten und sie sind irgendwo hineingerutscht, hinter ein Küchenmöbel!? Der Kaufmann blieb unbeeindruckt. Ich verließ das Geschäft und machte mich sehr betrübt auf den Nachhauseweg. Zu Hause angekommen erwartete ich gleich einmal ein paar saftige Watschen, wenn ich berichtete, was der Kaufmann sagte. Meine Mutter wurde laut, sie schrie mich an, du gehst noch einmal hin und du bringst mir die bezahlten Sackerl, ist dir das klar?! Ich huschte aus dem Haus und ging den langen Weg noch einmal. Vollkommen verzweifelt, aber was sollte ich tun. Ich sah keine andere Wahl. Ich kam wieder beim Kaufmann an und sagte ihm, er müsse sich geirrt haben, die Sackerl waren bestimmt nicht in der Einkaufstasche, meiner Mutter sind sie nicht aus der Hand geglitten, sie konnten beim Auspacken nicht verloren gegangen sein. Der Kaufmann bestand abermals auf seiner Version, er habe sie gewiss eingepackt, ich wäre vielleicht unterwegs aufs Clo gegangen und hätte die Einkaufstasche abgestellt, sie wäre umgefallen, die Sackerl herausgeglitten. Nein, sagte ich, gewiss nicht, ich war nicht am Clo, … Durch die laute Debatte zwischen mir und dem Kaufmann war die Tochter des Kaufmann angelockt worden. Sie betrat den Laden hörte eine Weile lang zu. Dann sagte sie „Stopp, Vater, sag ehrlich, hast du die Tielfkühlsackerl wirklich in die Einkaufstasche gegeben, prüfe noch einmal dein Gewissen!“ Er: „Da gibt es nichts zu überprüfen, es ist so wie ich es sage, frag doch den Jungen – ich war damals um die acht oder neun Jahre alt – der war ja dabei, der hat doch gesehen, wie ich alles in die Einkaufstasche gestopft habe. Auch die Tiefkühlsackerl. Er sah mich streng an. Seine Tochter, die ich von der Bank her kannte, sie saß dort hinter dem Schalter, führte die Sparbücher, wir hatten alle die Schulkinder von der Bank Sparbücher bekommen. Mit einem Schillig Einlage von der Bank gratis. Das Geschenk sollte uns zum Sparen anregen und uns wohl auch zu Bankkunden machen. Sie war eine mir recht sympathische Frau, sie verwahrte mir das Sparbuch auf der Bank. Zur treuen Hand, weil sie wusste wie leicht so ein Sparbuch in Kinderhand verloren gehen konnte. Diese nette Frau wandte sich mir zu und fragte mich eindringlich: Hast du gesehen wie Herr Papa die Tiefkühlsackerl in die Einkaufstasche steckte?“ Ich geriet in eine Art innere Panik. Die Wahrheit war, ich habe es nicht gesehen. Wenn ich aber jetzt sage, ich habe es nicht gesehen, dann lügt der Kaufmann und ich habe ihn der Lüge überführt. Er wird sich das nicht gefallen lassen, er wird um seinen Ruf besorgt sein, er wird fürchten, dass er zum Gegenstand des Dorfgespräches werden würde. Ich würde womöglich von den Gendarmen befragt werden,... die Sache wurde plötzlich gefährlich für mich. Der Herr G. gehörte zur Dorfprominenz, er war Ehrenbürger der Gemeinde und saß in der Kirch in der ersten Reihe neben dem Bürgermeister, dem Gemeindesekretär, neben dem Bankdirektor, neben dem Apotheker und anderen erlauchten Herrn. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Man würde mir nicht glauben. Was würde dann mit mir geschehen? Was würden die Eltern mit mir machen, wenn ich den Ruf eines Ehrenbürgers ruiniert hätte? Ich sagte ganz gegen mein Wissen zu der Frau Tochter: Ja, ich habe es gesehen, der Herr Kaufmann hat die Sackerl in die Einkaufstasche gesteckt. Ich half dem Kaufmann aus dem Schneider und brachte mich in die Bredouille. Die Tochter war bereit gewesen, mir zu helfen, aber ich konnte ihre Hilfe nicht annehmen. Sie hätte mich zur Seite nehmen müssen, unter vier Augen hätte ich die Wahrheit, meine Wahrheit, sagen können, scheint es mir heute. Die Sache war entschieden, sie schickte mich aus dem Krämerladen. Ich war buchstäblich fertig, ich hatte für den Kaufmann gelogen, ich hatte keine Tiefkühlsackerl, die Mutter würde mich prügeln,… ich war verzweifelt. Ich ging nach Hause. Die Mutter erwarte mich schon. Wo sind die Tiefkühlsackerl?! Ich habe sie nicht. Der Kaufmann hat sie mir nicht gegeben. Von meiner Lüge zu seinen Gunsten sagte ich nichts. Ich schämte mich schrecklich dafür. Ich beschimpfte mich selbst, wie kannst du nur so deppert sein!? Ich verstand mich selber nicht. Es fehlt mir noch immer schwer, mich zu verstehen. Es muss wohl so sein, es kam mir das geringere Übel vor, von der Mutter verprügelt zu werden als im Dorf als der Rufmörder eines Ehrenbürgers zu gelten, denn man würde mir nicht glauben. Ich glaube hier eine soziale Dimension einfließen lassen zu müssen. Die Gesellschaft der Guten glaubt den Schmuddelkindern nicht, und ich hielt mich für ein Schmuddelkind. Ich machte in der Schule die Erfahrung, dass Aussage nicht Aussage ist. Die Kinder niederer Herkunft hatten es bei Leibe schwerer, dass man ihnen glaubte, als die Kinder höherer Herkunft. Auch in der Familie stieß ich immer wieder auf taube Ohren, wenn ich meine Wahrheit darlegte. Ich hatte kaum eine Chance, meine Wahrheit vorzubringen und dass sie mir auch abgenommen wurde. Du hast schon öfter gelogen, warum solltest du gerade jetzt die Wahrheit sagen. Jeder hat doch schon mal gelogen, oder? Ich war ein ganz normales Kind, ich habe mich dort und da raus zu lügen versucht, um den Watschen, den Beschimpfungen zu entgehen. Das war alles. Sage ich heute. In der Schule war es nicht viel anders, ich war ein Schmuddelkind, ich glaubte nicht, dass man mir glaubt, und ich glaubte nicht, dass meine Eltern hinter mir stünden, wenn ich sie brauchte. Honoratioren. Was ist das? Unser Dorf hatte Honoratioren. Sie waren alle männlich. Damals noch. Sie saßen in der Kirche in der ersten Bank. Unter ihnen befand sich der Herr Bürgermeister, der Herr Apotheker, ein Heeresoffizier, über den ich mich wunderte, dass er nur einen etwas anders geschnittenen Steireranzug als meiner an hatte. Mit Goldschmuck auf den Schultern. Ein Steireranzug galt damals für mich nicht als vornehm. Sonderbar erschien mir seine Kappe; die Bauern trugen alle Hut; Kappe trugen wir nur zu Hause bei der Arbeit; und mir fiel auch auf, dass seine Kappe eine besondere Steife hatte; unsere Kappen fielen immer in sich zusammen, wenn wir sie ablegten; seine stand, und er dürfte seine Kappe gerne tragen, denn er hatte sie viel mehr auf dem Kopf als die Bauern ihre Hüte, in der Kirche lag sie für alle sichtbar demonstrativ vor ihm auf der Bank mit der Vorderseite auf sich selbst gerichtet. Die Bauern legten ihre Hüte anders ab. Die Vorderseiten sahen in verschiedene Richtungen. Manche Bauern hatten ihre Hüte einfach auf ihren Schoß gelegt. Neben diesen höheren Personen saß ein Herr Nationalrat, auf den wir sehr stolz sein dürften, wie einmal der Herr Direktor bei Gelegenheit einer Ansprache uns anempfahl. Daneben saß der Herr Postenkommandant, der ebenfalls auf seine Kappe große Aufmerksamkeit verwandte, daneben der Herr Schuldirektor und etwas abgerückt der Herr Gemeindesekretär und Ehrengäste u.a. Herr Kaufmann G.  Am Fronleichnamstag waren sie immer vollständig vertreten, und der Herr Pfarrer sprach sie an diesem Tag feierlichen mit „Meine Herrn!“ an, wenn er die Predigt eröffnete. Aus seiner Kopfbewegung war zu entnehmen, dass unmissverständlich die Herrn der ersten Bank die Angesprochenen waren und nicht die namenlose Besucherhälfte des gleichen Geschlechts an der rechten Kirchenhälfte. „Meine Frauen“ hörte ich ihn nie sagen. Hätten die Frauen ihn wörtlich genommen, hätten sie eigentlich das Kirchenschiff verlassen müssen, wär da nicht der Herr der Herren gewesen, der angeblich diese soziale Gliederung für gut und richtig hielt. Für den Rest  hatte er ein in einer Tonlage tiefer gesprochenes „versammelte Gemeinde, gläubige Gemeinde, verehrte Trauergemeinde“,… je nach Anlassfall übrig. Diese steife Gesellschaft und ihr demonstrativ gezeigter Stolz hatte immer schon etwas Bedrohliches für mich, aber es fiel mir schwer, dieses mein Gefühl in Worte zu fassen und bei den Erwachsenen meines Umfelds konnte ich keine Hilfe erwarten. Oder hatte Angst und Misstrauen mich isoliert? Vor der ersten Bank befand sich die „Katzenbank“. Die Bank eins vor der richtigen Bank eins, quasi die Bank minus eins. Sie sah einer Heurigenbank ohne Lehne gleich. Sie war für die Schulkinder vorgesehen. Zu Fronleichnam wurden wir Kinder dicht an dicht hier aufgereiht. Die Buben rechts, die Mädchen links. Ich fühlte mich wie unter Gottes Auge platziert und bewacht. Gott sieht alles, aber ich sehe ihn nicht. So thronte der Herr Direktor über mir, genau über meinem Genick. Und wenn die Messe eineinhalb Stunden dauerte, ich wagte nicht mich umzudrehen oder nur den Kopf zu auffällig vom Geschehen am Altar zu weit abzuwenden. Bewegungen nur auf Geheiß des Zeremonienmeisters. Alle Kinder standen diese Tour des Forces nicht ohne Kalamitäten durch. Immer wieder kippte ein Kind nach vorne um, am öftesten von den Mädchen eines. Dann gab es kurz Unruhe. Eine Mutter wurde gesucht. Dann durfte die Tortur weiter gehen. Das war nur ein Ort, aber vielleicht der feierlichste, wo ich und vor wem ich Respekt zu haben lernte. Später lernte ich in der Wehrdiener-Grundschulung, die Einnahme der Höhenrücken sei ein strategisches Muss und bei der Neugewinnung von Gelände unbedingt anzustreben, sie könne siegesentscheidend sein. Ein Vorgriff gewiss, ein assoziativer Ausritt, der offenbar zu weit führt.
Meine Eltern lebten mir auch nicht gerade Zivilcourage vor. Sie waren nach außen feige, nur nach innen gegenüber ihren Kindern waren sie mutig. Als der Nachbar ihre nicht billigen Erlen jenseits seiner Grundgrenze gefällt hatte, um sie zu stehlen, hatten sie nicht den Mut, den Nachbarn auf frischer Tat zu stellen. Mein Vater holte mit den Pferden die Erlenstämme erst in der Dämmerung weg, als der Nachbar sich vom Tatort bereits entfernt hatte. Mit dem üblen Krämer, der vor allem mir aber auch meiner Mutter übel mitgespielt hatte, pflegten sie weiter die seit Generationen gewachsenen Geschäftsbeziehungen. Als wäre nichts passiert. Ich musste weiter zu diesem Arschloch einkaufen gehen. Die Mutter nannte mich mehrfach einen Trottel, dem man nicht einmal einkaufen schicken könnte, zu allem zu blöd, wie sie gerne sagte, aber dem Arschloch von einem Ehrenbürger reichte sie am Sonntag wieder und wieder die Hand. Ich begann heimlich meine mir aufgetragenen Einkaüfe beim Konkurrenzkaufmann zu erledigen. Mit einem murmeligen Gefühl im Bauch, denn ich fürchtete der Arschlochkaufmann ist es am Ende noch im Stande, sich bei meinen Eltern zu beschweren, ich würde bei der Konkurrenz einkaufen. Wie ich später einmal in Erfahrung brachte, stand der Kaufmann G. unter vorgehaltener Hand im Rufe,  Kinder und demente Kunden zu bescheißen. Nur mir hat man davon nichts gesagt, als ich es hätte gut brauchen können. Die Dorfgemeinschaft benahm sich echt scheiße mir gegenüber, sie war nicht solidarisch mit mir. Es empört mich noch heute. Obwohl so viele Jahre inzwischen vergangen sind, steckt mir diese Erfahrung noch immer in den Knochen. Ein Trauma, das lange nachwirken sollte. Ich erlebte in kritischen Momenten noch öfter, wie ich in die hündische Unterwürfigkeit ging, um mich vor „Schlimmeren“ zu“ retten“. Und wenn es mich beschämt, so ist es dennoch so.

Mein „Rausschmiss“ aus der Familie, in der ich gar nie richtig drin war.
Als ich fünfzehn Jahre als geworden war, fanden mich meine Eltern unbrauchbar. Das kam so. Ich  hatte damals vollkommen undramatische Nebenwirkungen meiner Pubertät. Kurze vorüber gehende Herzinsuffizenz. Auf Grund des raschen Wachstums und der schonungslosen Arbeitszumutung litt ich an Herzstolpern, Herzrasen und Schwindel, begleitet mit vorübergehender Bleichheit. Ich selbst war darüber erschrocken, es fühlte sich bedrohlich an. War es aber nicht. Ein bisschen Schonung. Und alles wäre gut vorüber gegangen. Zum Arzt gegangen meinte dieser, ich wäre nichts für die Landwirtschaft. Ich wäre von der Statur her viel zu schwach für die harte Arbeit. Ich bräuchte leichte Arbeit, wenn ich mich gesund entwickeln sollte. Das ging meinen Eltern unter die Haut. Sie überlegten, wie sie mich los werden konnten, ohne mit mir nur ein Wort darüber zu verlieren. Meine Mutter hatte einen guten Draht zu dem Kloster K., da sie die Nichte des dortigen Prälaten war. Sie vereinbarten, ich sollte im Kloster K. Diener werden. Die Arbeit wäre leicht. Diese Bestimmung reichte vollständig aus. Mich fragte niemand. Eines Tages eröffnete man mir, wir würden am nächsten Sonntag nach K. fahren, und ich würde dort bleiben und eine Stelle antreten. Die Arbeit würde mir entsprechen, da sie leicht wäre. Mich traf die Nachricht wie ein Blitz. Hier muss ich einfügen, dass ich nach der Ausschulung von der Volksschule meine Mutter ansprach, eine Lehre machen zu wollen. Da es im Dorf keine große Auswahl gab, wollte ich alles annehmen was sich anbot, obwohl ich eine eindeutige Neigung verspürte. Ich fragte selber einige Handwerkmeister, aber sie wollten darüber mit mir nicht einmal reden. Sie schauten mich mit großen Augen an und fragten, hast du überhaupt schon mit deinem Vater darüber gesprochen? Ich gab klein bei. Nein. Das wär doch das Erste oder? Sprich erst einmal mit deinem Vater darüber!  Ich vermute, sie wollten, wenn schon, dann nur mit meinen Vater reden. Mit meinem Vater konnte ich aber nicht reden. Ich spürte, dass er das nicht wollte. Ich hätte ihn in Verlegenheit gebracht. Das konnte ihn sehr böse machen. Ich fürchtete seine Beschimpfung oder gar seine flache Hand. Ich redete meine Mutter an. Sie sagte, sie müsste den Vater fragen. Sie hatte ihn gefragt. Seine Antwort war: Das täte mir so passen, zu Hause fressen und anderswo arbeiten. Wenn er hier frisst, soll er auch hier arbeiten. Ich sollte doch schauen, dass ich zu was komm, wenn es dafür an der Zeit ist. Er hätte auch sich um was schauen müssen. Mit um was schauen meinte er, ich sollte mir eine Frau suchen mit Hof. Er hätte es auch tun müssen. Das wollte ich nicht so halten. Eine Frau suchen mit Hof. Sie zur Frau nehmen, weil sie einen Hof hat. Das war mir peinlich und ich fand es demütigend.  Die Tage, die ich noch Zeit hatte, die Nachricht zu verdauen, habe ich ununterbrochen geweint. Achtend darauf, dass man mich nicht dabei sah. Aber es war mir nicht gelungen, meinen Tränenfluss auf Dauer zu verbergen. Sie, die übrigen Familienmitglieder, bemerkten meine Weinerlichkeit. Was hast du denn? Um Gottes willen, das auch noch, jetzt soll ich mich auch noch eröffnen! Intuitiv wusste ich, ich kann unmöglich die Wahrheit, meine Wahrheit, sagen. Sie wäre gewesen: Ich bin unendlich traurig darüber wie ihr, die Eltern, mit mir umgeht. Ich zog Bilanz über mein bisheriges Leben mit ihnen. Ich spürte schon immer, dass ich nicht richtig zu ihnen gehörte, dass sie mich nie richtig bei ihnen aufgenommen hatten, dass sie irgendwie nicht damit einverstanden waren, wie ich wirklich war und dass ich bei ihnen war wie ich war. Sie waren doch immer mit mir unzufrieden. Dass sie sich freuen, dass ich da bin, habe ich doch nie spüren können. Ich habe es so gewünscht, aber es war nicht so und es ist nie so gekommen. Diese Erkenntnis brach jetzt über mich herein. Ich wurde endgültig der Tatsache gewahr, dass sie mich fort wünschten, ohne dass ich jemals richtig bei ihnen angekommen war. Ich konnte ihnen die Antwort nicht geben, die meiner Wahrheit entsprochen hätte. Ohne es artikulieren zu können wusste ich, dass sie nicht bereit waren, meine Wahrheit zu hören. Ich würde sie mit meiner Wahrheit provozieren, zu tiefst treffen, vielleicht bei ihrem schlechten Gewissen, vielleicht bei ihrem verdrängtem Wissen, dass ich recht hätte, aber so meine Vermutung, sie würden sich diesem Wissen nicht stellen wollen und sie würden mich dafür sehr bestrafen. Ich fühlte mich nicht in der Lage, diese Strafe auszuhalten, sie wäre  Beschimpfungen  vielleicht sogar Schläge. Und ich spürte, ich würde sie nicht umstimmen können. Ich hatte bereits resigniert, aber ich hoffte noch immer, ich würde es erleben können, dass sie mich annehmen wie ich war.  Ich  log. Ich fütterte sie mit einer Lüge, die sie verstanden und mich darauf hin in Ruhe ließen. Ich sagte, ich würde kein Heiratsgut bekommen. Es war mir ein wenig peinlich, dass ich einen so materiellen Grund hätte. Er war aber auch nicht ganz falsch. Das Heiratsgut ist die Verkörperung der elterlichen Anerkennung für das arbeitsreiche Dasein eines Bauernkindes. Die Vorenthaltung des Heiratsgutes ist der materielle Ausdruck der Unzufriedenheit und der ausbleibenden Wertschätzung des Elternhauses gegenüber einem vielleicht erwachsen gewordenen Bauernkind am Tage des Abschieds. Das Heiratsgut ist die  Wahrheitsansage über die Wertschätzung im Elternhaus, die einem Bauernkind letzte Gewissheit darüber gibt. Ich bekam den Pflichtteil. Der Pflichtteil ist das Synonym für meinen emotionalen Wert in meiner Herkunftsfamilie. Mein Bruder Franz gestand mir später einmal, er wäre dagegen gewesen, dass ich ins Kloster K. Diener werde, aber er fühlte sich nicht stark genug für mich zu kämpfen. Er war damals gerade einmal neunzehn Jahre alt.Ich bin heute damit versöhnt. Damals noch nicht. Ich ging einen langen Weg. Ich darf mich freuen, solange gelebt zu haben, es noch erleben zu dürfen.

Was meine erste größere Traktorfahrt, meine Mutter und der beinahe Stillstand  des Herzens meines Vaters miteinander zu tun haben

An den Sonntagvormittagen ging es in meiner Herkunftsfamilie immer sehr hektisch  zu.
Mein Vater  ersparte sich den sonntäglichen Trubel im Haus, er ging in die Frühmesse. Sie fand um acht Uhr statt. Zwischen sieben und halb acht Uhr morgens je nachdem ob er mit dem Fahrrad oder zu Fuß sich auf den Weg machte, verließ früher das Haus. Meine älteren Geschwister machten es ebenso. Mein Vater ging nach der Messe ins Wirtshaus. Ob er es als Luxus empfand, dorthin zu gehen, ich glaube, es war dies nicht so sehr der Grund. Er holte sich dort vielmehr für den Landwirtschaftsbetrieb wichtige Informationen. Er konnte dort die anderen Bauern fragen, wie denn so die Preise für die Schweine, die Kälber,..usw. liegen. Du hast Mastschweine verkauft, wie viel hast denn kriegt? Oft ging er noch in ein weiteres Wirtshaus in der Hoffnung den einen oder anderen Bauern, den einen oder anderen Handwerker,.. zu treffen. Er sparte sehr im Gasthaus. Man musste schließlich etwas konsumieren. Er beließ es meistens bei einem paar Würstel und ein Bier. Dabei saß er dann Stunden, bis er die von ihm gesuchten Personen und Informationen beieinander hatte. Meine älteren Geschwister kamen um rund  zehn Uhr nach Hause. Meine Schwester begann zu kochen, meine Brüder machten sich im Stall zu schaffen, um die in der früh abgebrochenen Arbeiten zu Ende zu führen. Franz riss manchmal aus. Er traf sich mit Freunden, was immer  Debatten und Nörgeleien nach sich zog. Meine Mutter riss sich gegen halb neun von der Arbeit im Stall usw. los, um die jüngeren Kinder zu wecken, zu waschen und anzuziehen. Ich war unter ihnen bereits der Große. Ich hatte bereits fixe Aufgaben zu erfüllen und machte mich, wenn nichts dazwischen kam, für den Kirchgang fertig. So auch an jenem Sonntag. Meine Mutter war immer sehr gestresst, sie schrie herum, trieb an,... und hatte immer den Eindruck, dass wir alle spät dran wären. Für gewöhnlich schickte sie mich mir meinem jüngeren Bruder und der jüngeren Schwester  los  - in die Zehn-Uhr-Messe. Meistens kam ich zu spät in die Messe. Ich schlich mich durch den Hintereingang in die Kirche und kam dann im dichten Gedränge der Zuspätgekommenen zum Stehen. Für die kleineren Kinder rückten die erwachsenen Kirchgänger soweit zusammen, dass ein Kind noch zum Sitzen kam. Für mich rückten sie nicht mehr. Heute sollte der Kirchgang anders verlaufen. Der Traktor war faktisch noch wie neu. Franz fuhr ihn ganz alleine. Ich sah ihm neugierig dabei zu. Gelegentlich setzte ich mich auf den Traktor und probierte die Handgriffe. Auf was kommt es an, um diese Maschine zu beherrschen. Wenn niemand in der Nähe war, der mich hätte verraten können, machte ich Startversuche. Es gelang mir immer besser, ihn anzuwerfen, ein paar Meter zurück, ein paar nach vorne, Leergang, Handbremse, den Motor abstellen. Alles ging bestens. Wenn Franz nicht im Hause war, durfte ich mit meinem Vater auf dem Nebensitz die eine oder andere kleine Zugarbeit ausführen. Das war's dann auch schon, mehr hatte ich mit dem Traktor bis dahin nicht zu bieten. Ich weiß nicht, wer auf die Idee kam, an dem nämlichen Sonntag mit dem Traktor in die Kirche zu fahren. Ich glaube, ich war der Übeltäter. Ich machte meiner Mutter schmackhaft, mit dem Traktor in die Kirche zu fahren. Er hatte über den Kotflügeln zwei Sitzflächen, auf denen meine Mutter mit einem Kind auf dem Schoß auf dem einen und mein jüngerer Bruder auf der anderen Seite bequem Platz fanden. Meine Mutter stieg auf meinen Vorschlag ein. Es war ein langer steiler Berg zu meistern, vor dem hatte sie und ich zu großen Respekt. Wir nahmen einen großen Umweg. Mir war klar, auf dem Berg darf ich niemals schalten müssen, dazu war ich zu wenig geübt. Ich musste vor dem Berg den richtigen Gang einlegen, mit dem ich den Berg durchfahren könnte, ohne schalten zu müssen, dann gäbe es nicht die Gefahr, dass ich die Kontrolle über den Traktor verlöre. So hielt ich's dann auch. Mit dem dritten Gang hinunter, mit dem dritten Gang hinauf. Meine Mutter staunte nicht schlecht über meine Expertise. Sie setzte sich auf und wir fuhren los. Ich glaube, wir hatten keine Zeit gespart. Ich fuhr sehr vorsichtig, nur kein Risiko eingehen! Meine Mutter war bester Laune. Ich auch. Die Kinder quaselten vergnügt. Ich war glücklich, eine so wichtige Rolle einzunehmen. Wir stellten am Ortsbeginn den Traktor im Lagerhaus ab. Hier war er gut getarnt, denn am Lagerhaus standen immer Traktoren herum, meist rund um die Werkstatt. Dort stellten wir ihn dazu. Motor ab, Handbremse an. Dann gingen wir in die Kirche, nach der Kirche kaufte meine Mutter besonders viel ein. Denn heute müssen wir nichts nach Hause schleppen. Meine Mutter war so übermütig, dass sie sogar auf dem Nachhauseweg einen Besuch einschieben wollte. Meine Mutter staunte nicht schlecht, wie viel Zeit wir gespart hatten. Da war nur ein Problem. Das Haus stand gegenüber der Straße erhöht auf einem Hang. Nur nicht schalten müssen. Also dritten Gang noch auf der Hauptstraße, dann die Zufahrt hinauf. Oben angekommen war es etwas flacher. Wir blieben genau vor der Haustüre stehen. Leergang, Handbremse, Motor abstellen. Die Familie empfing uns sehr herzlich. Keiner ahnte, dass ich ein Anfänger war. Ich war damals etwa 14 Jahre alt. Für gewöhnlich handhaben die Bauernjungen in diesem Alter die Traktoren schon recht gut. Ich war eine Ausnahme, aber meine Anfängerschaft viel ihnen nicht auf. Sie plauderten und hatten keine Sorge, dass ich meine Mutter und meine Geschwister gut nach Haus brächte. Und so kam es auch. Wir kamen gut zu Hause an. Ich stellt den Traktor in die Garage, stellten den Motor ab. Nach wie vor mit guter Laune schritten wir hinein. Mein Vater war noch nicht da. Meine ältere Schwester und mein älterer Bruder wirkten angespannt. Es ist alles gut gegangen, gewiss, aber was wird Vater dazu sagen? Oh, ab jetzt ging es mir nicht mehr gut. Ich begriff erst jetzt, was wir eigentlich angestellt hatten. Wir hatten nicht mit dem Vater gerechnet, dass es er erfahren müsste und er keineswegs erfreut sein würde. So kam es dann auch. Meine Mutter hatte gewartet, bis er sich hingesetzt hatte. Dann sagte sie es ihm. Wir sind heute mit dem Traktor in der Kirche gewesen. Franz war nicht zur Stelle. Aber Flor hat mir erklärt, dass er mit dem Traktor  schon recht gut fahren könnte. Die Versuchung war halt doch zu groß, es nicht zu tun. Und er ist wirklich gut gefahren. Mein Vater wurde kreidebleich. Ich dachte, stirbt er jetzt, steht sein Herz still, ich werde ihn doch jetzt nicht umgebracht haben. Er schwieg und er schwieg. Meine Mutter zu ihm: Was ist los mit dir, geht’s dir nicht gut, komm wach auf, du tust ja als ob wir alle tot wären! Da fing er wieder zu sprechen an: Seid ihr alle wahnsinnig geworden, seid ihr von allen guten Geistern verlassen, was fiel euch da nur ein, was hätte da nicht alles passieren können, der Flor, der fährt ja mit dem Traktor nicht viel besser wie ein Fünfjähriger mit dem Fahrrad, ihr hattet Kopf und Kragen riskiert, ein Fahrfehler und ihr könntet tot sein, so ein Traktor ist eine todbringende Maschine, wenn man sie nicht beherrscht, Flor ist vierzehn Jahre alt, keinen Führerschein, ihr hättet mich ins Kriminal bringen können, ihr seid total verrückt! ... Ich dachte, er würde bald wieder zu Kräften kommen und mich fotzen, dass mir hören und sehen vergeht. Aber nichts von all dem. Er wurde wieder still,.. nach einer Zeit fing er wieder an: Macht das nie mehr wieder, ich bitte euch, macht das nie mehr wieder, ein zweites Mal überleb'  ich das nicht! Wenn du, er sah meine Mutter an, mit dem Traktor fahren willst, dann musst du dir dazu den Franz nehmen. Aber der Franz war ja gerade das Problem. Er kommt unzuverlässig nach Hause. Ich empfand große Betroffenheit über Vaters „Herzstillstand“, ich war froh, dass er wieder sprach, dass er mich nicht hergefasst hatte, und ich hatte auch keine Lust, meinem Vater jemals wieder einen solchen Schrecken einzujagen. Wenn uns die Gendarmerie erwischt hätte,  hätte das eine Schlagzeile in der Lokalpresse abgegeben. Ich war mir sicher, ich würde meine Familie, mich und den Traktor wieder gut nach Hause bringen, von dieser Überzeugung habe ich mich verleiten lassen, aber ich habe wirklich gedacht wie eine Maus. Der Diesel hatte gereicht, ich hatte ihn nicht überprüft. Meine Mutter, wusste sie von dem Risiko? Sie brauchte eine Erleichterung. Gewiss. Oder war noch einmal das Kind in ihr durch gebrochen. Sie ging ein Stück weit mit meinem Abenteuertum mit. Mich überraschte sie nicht schlecht! Wir fuhren noch öfters mit dem Traktor in die Kirche, aber immer mit Franz auf dem Fahrersitz, ich auf dem Beifahrersitz. 

Das Pferd

Ich war noch sehr klein,  kaum zum Denken fähig, da bekamen wir ein neues, junges Pferd. War es Herbst oder Frühjahr? Wenn wir ein junges Pferd bekamen, musste ein altes gehen. Wir wollen hoffen, nicht zum Pferdefleischhauer. Man nannte die Jungen Jahrlinge. Meist männlich, kastriert oder unkastriert. Wenn nicht kastriert, kam eines Tages der Roßschneider, oder man ging zu ihm - mit dem Jahrling. Gut, dass ich noch zu jung war, um dieses Schneidemassaker voll mitzukriegen. Die Jahrlinge waren billiger als die bereits erzogenen zwei bis dreijährigen. Wir bekamen also ein braunes lebhaftes Pferd, einen Noriker, wie man auch sagte. Sie waren stämmig, belastbar und nach einer guten, sprich strengen, Erziehung galten als ruhige besonnene gutmütig Zugtiere. Mein Vater hatte ihn abgerichtet. Mit der Peitsche in der Hand. Er wurde erst einmal dazu gespannt.werden, also es lernen als Beigeher des Gespanns die Hälfte der Zugaufgabe zu übernehmen. Er musste sich angeschirren lassen, sich beinah an allen Körperstellen anfassen lassen, die Füße nach einander heben lassen, nicht erschrecken, wenn man von hinten kam. Bis das ein junges Pferd, das alles kann, das dauert. Daher war diese Erziehungsarbeit eine Winterarbeit. Es wurde mehr mit der Peitsche erzogen als mit der Karotte oder Rübe. War der Erzieher oder das Zögling erschöpft wurde Pause gemacht. Der Vater erzählte dann stolz, was sein Zögling nicht schon alles kann, wie elegant er den fliegenden Hufen ausgewichen wäre und wie er es ihm dann gegeben hätte. Eigentlich schrecklich! Als Kleinkind war das alles irgendwie Alltag. Der Schrecken darüber fuhr mir erst später in die Knochen. Auf alle Fälle, das Pferd wurde ein braves Pferd. Er rückte sehr bald zum Leitzugpferd auf, er bekam den Namen Hans. Hans, das ist ein Name für ein gutmütiges Pferd. Er war kräftig und gehorsam. Wenn Vater in seine Nähe kam immer etwas nervös, er legte die Ohren an und beobachtete ihn genau. Mein Vater dann zu ihm: Naon du! Mitunter begann der Braune, wie er auch genannt wurde, zu zepperln, rasch das Gewicht von einem Bein auf das andere zu verlagern. Aber diese Symptome nahmen mehr und mehr ab. Alle waren sehr zufrieden. Er machte Karriere. Er steig auf zum Schulungspferd. Der Beizug wurde öfter gewechselt, unser Hauptzug nie. Der Hans konnte mit jedem anderen Pferd, er erzog ihn zum ruhigen Gang, zur Konzentration, wenn es einmal hart auf hart ging, er kannte die Felder, die Wege, die regelmäßigen Wiederholungen und die Tücken, wo man aufpassen musste, wo es gute Äpfel für einen schellen Happen für zwischendurch oder eine baldige Rast nach einer anstrengenden Leistung gab. Eines Tages bekamen wir ein ausgedientes Reitpferd, es war gesund aber nicht an den Zug gewöhnt, sein Vorteil, es war billig, es hat nicht viel gekostet. Na so eine Gelegenheit, vielleicht klappt's. Mit dem Hans könnte es gehen. Der Hans hat ihn erzogen. Es klappte. Mein Vater hatte sichtlich seine Freude mit seinem Hans und er war stolz auf sein Erziehungswerk. Mein Vater war irgend einmal mit dem Pferd oder das Pferd mit dem Vater verschmolzen. Mein Vater wurde geduldig mit dem Pferd. Keine Peitsche mehr, keine Flüche mehr, als hätte er verstanden, dass das Pferd das alles, wie er glauben mochte, nicht mehr brauchte und das alles konterproduktiv geworden war. Das Pferd brachte seine Höchstleistung bei ruhigem Zureden, gelegentlichem Tätscheln und Zeit für Konzentration. Bei schwerem Fuhrwerk und heiklen Aufgaben übernahm immer mein Vater das Kommando über die Pferde. Holztransporte, Dreschmaschinen über den Berg bringen,.. Mein Vater verwuchs vor allem mit dem Hans. Er war wirklich stolz auf sein Zugtier. Mein Vater wurde krank. Ein Traktor kam. Das Pferd verlor seine Wichtigkeit. An allen Höfen verschwanden die Pferde. Bei uns blieb das Pferd, der Hans. Er bekam das Gnadenbrot, weil niemand das Herz hatte, den Hans an den Roßfleischhauer zu verkaufen. Eine andere Lösung war nicht in Sicht. Erst der Erbe des Hofes verkaufte das betagte Tier, das nie ernstlich krank geworden war
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Der Braune und ich

Mit dem Braunen hatte ich früh zu tun. Gib ihm zu trinken, halte ihn mal, führe ihn in der Furche, usw! Er war mein Freund geworden. Ich war zehn oder  etwa so. Ich wurde übermütig. Ich wollte partout auf ihn reiten. Hans war kein Reittier, aber er ertrug es widerwillig. Gelegentlich schnappte er nach meinen Beinen, aber er erwischte mich nicht. Höchstens die Hose. In schweren Zeiten, bei großer Verzweiflung und Traurigkeit ging ich zu Hans in den Stall. Ich schmiegte mich an seinen Hals und weinte. Ich weiß nicht, ob er etwas verstand, er ertrug es, wackelte mit den Ohren, er fühlte sich warm an – und im Moment war er die einzige Quelle, die mich ein bißchen beruhigen konnte. Als ich 14 Jahre als geworden war -  ich hatte mich schon darauf eingestellt, denn mit meinen älteren Brüdern geschah es ebenso – nach dem Schulaustritt also sagte mein Vater zu mir: Du weißt schon, ab jetzt bist du verantwortlich für die Pferde. Ich wusste was das war. Morgens früh die Frühfütterung. Im Winter nur Heu und Wasser. Gelegentlicher Ausgang in den Schnee, wenn der Boden gefroren war, auch auf die umliegenden Wiesen und Felder. Es genügte die Riemen   zu lösen und die Stalltür zu öffnen. Mit einem Gestobe sausten sie ins Freie. Sie kamen von alleine zurück. Meist turstig und erhitzt. Stalltüre zu. Vielleicht eine Decke über die Rücken. Futter, Tränke, ein frisches Strohlager. Meine Job als Roßknecht war mittlerweile stark abgewertet. Durch den anwesenden Traktor. Er machte mit meinem Bruder auf dem Fahrersitz die schwere Arbeit. Die Wagen wurden nicht mehr repariert. Sie wurden immer weniger. Der Traktor riss sie entwei.  Es gab eine Reihe leichter Arbeiten, für die wir noch keine Maschinen hatten, dass der Traktor sie erledigen könnte. Bei großer Bodennässe konnte man nur mit dem Pferd auf die Wiese. Das Heuen ging noch nicht ohne das Pferd ab. Das Heu wenden, rechen, wieder wenden. Schwer in meiner Erinnerung liegt mir noch eine Szene. Unsere größte Wiese war gemäht, das Heu trocknete vor sich hin. Das Wetter sollte umschlagen. So das Radio. Nervosität brach aus. Die ganze Wiese, diese große Heumenge musste vor dem Verderben gerettet werden. Den ganzen lieben Tag wurde geschuftet. In Reihen rechen, auf Hüfeln aufhängen,... Am Abend, späten Abend verzogen sich die Menschen, meine Mutter machte den Anfang, sie musste zu den Kühen, es wurde dunkel, mein Vater war noch allein mit mir da. Du, sagt er zu mir, rechst noch mit dem Braunen den Rest des Heues zu sauberen Reihen, mehr können wir heute nicht mehr für das Heu tun. Werden wir sehen, wie's morgen ist. Und er verschwand auch. Ich alleine zurück. Und der Hans im Rechen, Ich setzte mich auf den Sitz des Rechens. Ich war verzweifelt, schrecklich verzweifelt, erschöpft, jede Energie war aus mir ausgeflossen, ich fühlte mich einsam, zurückgelassen, es dämmerte bereits, ich hatte Hunger. Ich dachte, wie die anderen jetzt ein paar Bissen Brot nahmen und die letzten Handgriffe in Haus und Stall zumindest einander sehend verrichteten in der Hoffnung sich bald ausruhen zu können. Was mutet man mir da zu! Ich war auch erschöpft, hatte auch ein Recht auf Ruhe und vor allem auf Beistand bei meiner Arbeit in der Dämmerung auf der Wiese. Wut mischte sich in meine Verzweiflung. Der Braune marschierte nur mehr widerwillig vor dem Rechen her. Bei jeder Wendung nahm er Kurs in Richtung Stall. Nur mit Mühe ließ er sich in die vorgegebene Richtung lenken. Ich wusste, ich muss die Arbeit zu Ende bringen. Das gab es keinen Pardon. Mein Vater war zu allem fähig. Zu Orgien von Flüchen und Prügeln. Und wenn es Mitternacht würde, ich musste die Arbeit fertig machen, denn das Heu, es musste Schaden von ihm abgewendet werden. Es tut mir bis heute weh, es tut mir bis heute leid, ich brüllte auf das Pferd ein, ich schrie mit dem Pferd , ich schlug es. Wie das der Braune überstanden hat, ohne durchzugehen, mich vom Rechen zu werfen und ab in den Stall zu flüchten, ich weiß es nicht. Der Braune war im Moment der gescheitere. Er stellte den Schwanz auf. Eine gefährliche Drohgebärde, jetzt reicht es mir, wenn du nicht sofort den Ton wechselst, reißt mir die Geduld und ich breche los. Ich kam wieder zu Sinnen. Ich bekam Angst, ich stellte mir vor wie er losziehen würde, ich die Kontrolle über ihn verlieren würde, ich vom Rechen fallen würde, er mit dem Rechen durch das Scheunentor flitzen würde, daran hängen bleiben würde, den Rechen entzweirisse, das Zaumzeug zerfetzen würde und vielleicht sogar er zu Schaden käme. Welch eine Katastrophe! Der Vater würde mich umbringen. Ich änderte schnell meinen Ton, sprach wieder normal mit dem Brauen, resigniert und unter Tränen gab ich die Kommandi, der Braune führte sie aus als verstünde er, es musste sein,  und wir hielten durch bis zum Ende.

Mein Onkel Josef

Keiner sagte so, wenn von ihm die Rede war. Er war einfach der Wirt. Und tatsächlich. Er war Dorfwirt. Der einzige. Obwohl er kaum was zu tun hatte mit der Wirtswirschaft. Die betrieben nämlch die Frauen. Die Tante, sie hatte das Wirtshaus von ihren Eltern übernommen. Ihr erster Mann ging irgendwie verloren., Durch einen tödlichen Unfall oder durch Krankheit? Es war ein tragischer Abgang, der ihn wegraffte. Soviel ist mir in Erinnerung. Aus erster Ehe gab es zwei Töchter. Ich habe sie in guter Erinnerung. Damals als ich sie hin und wieder sah, waren sie bereits im heiratsfähigen Alter, wie man damals zu sagen pflegte. Es schwirrten immer irgend welche Männer um sie herum. Sie heirateten bald und verschwanden aus meinem Gesichtsfeld. Etwas mehr zu „tun“ hatte ich mit der Familie, soweit ich also blutsverwandt mit ihr war.  Mein Onkel und seine Frau, die Wirtin, bekamen noch viele Kinder.  Vor allem folgten Söhne, den Kindern aus erster Ehe nach. Vier Söhne. Und noch zwei Töchter. Die Töchter stiegen voll in das Wirtsgeschäft ein. Meine Tante schauckelte die Küche. Sie war eine ausgezeichnete Köchin. Solange ich mich erinnern kann, stand sie in der Küche, so sagte man, wenn man ihre Rolle bezeichnen wollte. Der Onkel nahm sich der Landwirtschaft an, die nicht unerheblich war. Die Tante brachte auch einen großen Bauernhof in die Ehe mit. Das war sein Revier. Es gab schon früh einen Traktor. Lanz Bulldog. Ein Auto war auch da. Vorkriegsmodell. Mit der Familie meines Onkels hatte ich immer nur einmal im Jahr zu tun. Am Godntag. Immer am Weißen Sonntag, das ist der erste Sonntag nach Ostern. Im Haus der Godn. Zum Glück war dieses Bauernhaus in der Nähe von unserem Haus. Zu Fuß zu erreichen. Die Godn war eine, die einzige Schwester meines Vaters bzw. des Onkel Josef, der Wirt.  Unsere Godn war auch die Godn der Wirtskinder. Das war ein riesen Auflauf. Wir waren sieben Kinder, freilich mit großen Altersunterschieden, so daß die Teilnahmeam Godntag für die einzelnen Kinder recht unterschiedlich ausfiel. Die Kleinst schlief die ganze Zeit in irgend einem Bettchen oder auf der Ofenbank, die anderen waren schon zu gemeinsamen Unternehmungen fähig. Die Wirtskinder waren also einmal im Jahr unsere Spielgefährten. Die Godn war am Godntag großzügig. Nicht nur bei dem was sie uns zum Essen anbot, sondern auch gegenüber unserem Forscherdrang und Spielhunger. Wir eroberten uns das ganze Haus. Die Godn hatte selbst viele Kinder, aber die waren schon etwas zu reif für unsere Spiele. Sie halfen kräftig mit bei der vielen Arbeit, die wir machten. Nun wieder zum Wirt. Die Männer der Runde saßen, wie könnte es anders sein, am Haupttisch in der Stuben. In der Mehrzahl meine Onkeln. Der Wirt nahm den Vorsitz ein. Nicht, dass ein solcher örtlich auszumachen gewesen wäre. Mein Onkel nahm ihn physisch und psychisch ein. Er war sehr dick, sein Brust oder besser Bauchumfang drückte aus ihm die Stimme heraus. Immer etwas angehoben und sehr laut. Er was ein Mann, den keine Selbstzweifel plagten. So schien es wenigstens. Ein rund ums sich orientierter Mensch, der immer wusste wo's lang geht. Er war lange Zeit Bürgermeister in seinem Dorf, Jäger, selbstverständlich Jagdobmann,.. Durch seine Söhne zog sich ein Riß. Die einen, stark in der Minderheit, wirkten selbstsicher und tatkräftig. Einer von ihnen wurde mein Firmgöd. Die anderen schüchtern, sie redeten wenig, und wenn dann leise und nur unter sich. Nur beim Spielen legten sie manchmal ihre Schüchternheit ab. Sie heirateten „klein“. Sie wurden Kleinlandwirte und Nebenerwerbsbauern. Einer, als Kind kam er uns sehr witzig vor, bleib unverheiratet und am Hof, er starb unlängst an Alkoholvergiftung. Also dieser Onkel. Ich hörte ihn bei der Godn am Hauptisch einmal sagen, nachdem ich einige Wortfetzen gehört hatte: Na da habe ich ihm aber gegeben, ein paar ordentliche Tätschn, damit er Bescheid weiß, wo's lang geht. Die Rede war von einem seiner Söhne, einem schüchternen, der angeblich aufgemuckt hat, vielleicht widersprochen hat oder sich sonst irgendwie zu viel heraus nahm. Seine Brüder rings um ihn. Sie nicken mit dem Kopf. Der eine sagt was, aber so leise, dass ich nicht verstehen kann. Mein Vater, natürlich schau ich auf meinen Vater, Kopfnicken. Dann im für mich nicht vernehmbaren Ton ein paar Sätze über seine Erziehung seiner Söhne. Wie durch den Bruder, der sein ältester war, ermuntert, vernahm ich, wie er völlig überraschend mit Energie sprach, man muss es ihnen zeigen, wer der Herr im Haus ist, man darf nicht sie sich über den Kopf wachsen lassen.  Das ist wie mit den Pferden, hat man sich sie einmal richtig abgerichtet, hat man ein leben lang Ruh. Sie müssen gehorchen lernen, sonst tut man ihnen nichts Gutes. Sie werden sich schwer tun im Leben, überall ecken  sie an und sie kommen auf schlechte Gedanken. Das hat er nicht nur gesagt, das hat er auch gelebt. Er hatte diese Erziehungsbille wohl auch selbst gefressen. Er muss  Schrechkliches erlebt haben, aber er hat nie etwas davon erzählt.

Geld das verletzt

Meine Tante Anna, die einzige Schwester meiner Mutter, war Fabrikarbeiterin in Linz geworden. Schichtarbeiterin, damit sie besser verdiene, wie sie sagte. Sie hatte zwei Kinder, „ledige“ Kinder. Sie litt darunter , dass sie es nicht wie ihre Schwester geschafft hatte, eine richtige Familie zu begründen. Für mich als Kind eine ganz nebensächliche Angelegenheit. Ich freute mich jedes Mal, wenn sie mit ihren Kindern zu uns kam. Sie kam regelmäßig zu Weihnachten. Ohne Tante Anna und vor allem ihre Tochter Elfi wäre Weihnachten ein fades Fest geworden. Tante Anna brachte Farbe in das Fest. Sie brachte immer trotz ihrer relativen Armut Geschenke für uns Kinder mit. Cousine Elfi verstand es prächtig, die Schnulzen der Zeit, wie sie täglich im Radio zu hören waren, zum Besten zu geben. Von sich aus fing sie nicht zu singen an, nur wenn ihre Mutter, die narrisch stolz auf ihre Tochter war, sie dazu aufforderte, begann sie zu singen. Die Mutter warf ihr die Titel zu und Elfi begann sang die Schlager, von der ersten bis zur letzten Strophe. Echt beachtlich. Ein Stolz, der ihre Tochter nicht schlecht motiviert haben durfte. Sie sang ohne Ende. Und alles auswendig. Ohne Noten, ohne Textvorlagen. Es klang gut. Ich bewunderte sie nicht schlecht. Es lag auch immer etwas Konkurrenz zwischen meiner Mutter und ihrer Schwester Anna in der Luft. Es fühlte sich unangenehm an. Die Hauptzeit, die sie bei uns war, war allerdings der Sommer. Die Tante kam regelmäßig ihren Urlaub auf dem Bauernhof zu verbringen. Sie hatte nur zwei Wochen Urlaub. Und den ganzen Urlaub verbrachte sie damit, unserer Familie bei der Ernte zu helfen. Sie stellte immer ihren Urlaub darauf ein, dass sie zur Getreideernte bei uns war, wenn wir sie besonders gut brauchen konnten. Cousine Elfi, die nur zwei Jahre jünger als ich war, wurde mir wie eine Schwester, sie wurde meine liebste Spielgefährtin. Wenn die Erwachsenen nicht dabei waren, legte sich auch mein Gefühl der Konkurrenz von wegen ihrer Begabungen in Sachen singen. Wir fanden uns gut zusammen im Spiel. Toni, ihr Bruder, der mir sowieso zu jung war, Toni nahm meine Tante immer nach dem Urlaub wieder mit nach Linz. Elfi blieb zu meiner Freude bei uns auf dem Bauernhof. Sie erleichterte mit ihrer Mithilfe die mir aufgetragenen Arbeitern  zu erledigen. Wir waren ein Herz und eine Seele. So kam es wieder einmal, dass Tante Anna den Urlaub bei uns auf dem Bauernhof mit viel Arbeit zugebracht hatte. Es ging darum, nach Linz und in die Arbeit zurückzukehren. Sie packte ein. Sie wünschte sich Eier, Speck, ... bis die Tasche bis auf den letzten Fleck gefüllt war. Dann fragte sie höflichkeitshalber: Was bin ich schuldig. Natürlich würde ihre Schwester oder ihr Schwager sagen: Natürlich nichts. Du hast das längst abgearbeitet, was du da mitnimmst. Diesmal was es anders. Warum nur. Mein Vater war nicht zugegen. Ich muss sagen er kannte seine Frau schlecht, sonst wäre er dabei gewesen. Meine Mutter hatte die Unverschämtheit, von ihrer Schwester für die eingepackten Lebensmittel eine Rechnung zu stellen.  Die Tante zahlte. Und ging. Zu Fuß zur Bahn. Rund vier Kilometer. Nach geraumer Zeit kam mein Vater in die Küche. Hatte er die Tante versäumt, von ihr Abschied zu nehmen, war die Tante beleidigt, entsetzt, dass sie ihren Schwager nicht mehr suchte, um von ihn Abschied zu nehmen? Auf alle Fälle erfuhr er erst jetzt, dass die Tante weg ist und er erfuhr auch, dass Mutter kassiert hatte. Er reimte sich zusammen, dass die Tante sich vielleicht deshalb nicht bei ihm verabschiedet hatte, er war erbost, entsetzt, über Mutters Handlung. Bist du von allen guten Geistern verlassen, was fällt dir da ein, wie kannst du nur Geld für die Eier und den Speck verlangen, ich kann dich nicht verstehen, du bist von Sinnen, wie tickst du, dass du Geld von der Anna verlangen kannst? Die hat ganze vierzehn Tage uns bei der Getreideernte geholfen, rechne mal, was das Wert ist, wenn wir eine Hilfskraft bezahlen hätten müssen, und außerdem sie ist deine Schwester, man lässt sich doch nicht von einer Schwester jedes Ei bezahlen, das man ihr gibt. Sie tut's ja auch nicht! Wie lange ist die Tante nun schon weg, eine viertel eine halbe Stunde? Das geht sich noch aus, ich muss sie vor der Bahn noch erreichen. Er schwang sich auf das Fahrrad, er trat in die Pedale so schnell er nur konnte, er erreichte sie, er gab ihr das Geld zurück. Es muss ein berührender Moment gewesen sein. Leider war ich nicht dabei. Vater hat vielleicht die Beziehung zu meiner Tante und zu meiner Cousine gerettet. Dafür dank ich ihm. Es ist einer der wenigen Momente, wo mir mein Vater wirklich gefällt. Er war weniger geizig als meine Mutter. Er wusste mitunter, wo der Anstand eine Grenze zieht. Pravo Vater! Ich merke, dass ich ein gespaltenes Verhältnis zum Geld habe. Mir ist bewusst, dass man mit Geld, auch Geld geben, verletzen kann. Ich wurde Diener, Taxifahrer,...ich hatte immer Probleme, Trinkgeld entgegen zu nehmen. Es hatte etwas Verletzendes an sich, Trinkgeld zu geben und zu nehmen. Bis heute bring ich dieses Erleben nicht aus mir heraus. Ein ordentlicher Lohn für gute Arbeit, ja, das gefällt mir, ein schlechter Lohn mit Taschengeld für eine von mir entrichtete Arbeit eine Verletzung. Eine schlecht verrichtete Arbeit und dafür gutes Geld verlangen eine tiefe Verletzung. Ich habe mitunter die größten Probleme, jemanden Geld zu geben, weil ich fürchte zu verletzen. Ich bin mir nicht sicher, ist es ein Geschenk, Das ich nicht gut mit Geld quittieren kann. Eine Naturalie gebe ich immer gern und scheint mir unverfänglich. Ich bin für eine Welt ohne Geld.

Unglaublich! –  der Jesus sollte zwei Väter haben?

Der Herr Katechet, ein durch und durch gutmütiger Mann, ich mochte ihn und ich fühlte mich wohl in seiner Religionsstunde. Er schien mir ungefährlich. Ich saß in der Bank und lauschte mal mehr mal weniger, was er zum Besten gab, bis … Ich hoffte, es würde immer so weiter gehen, ich achtete nicht darauf, dass er die Kinder mitunter auch prüfte. Die Prüfungen waren immer recht unspektakulär. Die Kinder wussten im Allgemeinen seine Fragen zu beantworten, und wenn es Probleme gab, half er immer etwas nach, bis die Antwort geboren war. Kein Kind war beschämt worden oder musste glauben, dass es dumm war. Der Herr Katechet legte es immer so an, dass die Kinder gut ausstiegen. Ich fühlte mich sicher, mir würde es auch gut gehen, wenn er mich einmal prüfen würde. Eines Tages war es soweit. Er rief mich zu sich hinaus. Und da stand ich nun vor ihm, vor dem Katheter. Für dich habe ich auch eine leichte Frage, fing er die Prüfung an.  Wer ist der Vater von Jesus? Wirklich leicht, dachte ich. Josef, der Zimmermann, sagte ich. Er stutzte, sah mich durchdringend an. Na, was hat er denn, dachte ich, was ist denn daran falsch? Ich wurde unsicher. Er. Ja, stimmt schon, er ist der Nährvater, aber wer ist sein richtiger Vater, von wem stammt er ab? Ich war verblüfft. Ich sagte wieder. Josef ist sein Vater. Von Josef stammt er ab. Nein, sagt er, von Josef stammt er nicht ab. Von wem stammt er also ab? Ich wurde immer verwirrter. Scherzt der Herr Katechet mit mir, was will er, will er mich testen?  Halblaut, sagte ich noch einmal, Josef ist sein Vater. Was soll sonst sein. Ein Kind kann doch nicht zwei Väter haben. Ich habe ja auch nur einen Vater. Der Herr Katechet lässt nicht locker. Er versucht mir eine Hilfestellung zu geben. Ich kapiere nichts. Ich werde immer unsicherer, es ist mir peinlich, dass er mir helfen will, und ich mit seiner Hilfe nichts anzufangen weiß, ich bekomme es mit der Angst zu tun, doch als der Blöde dazustehen, ich fürchtete den Vorwurf, nicht aufgepasst zu haben, ein Vorwurf, der zu recht bestünde, denn ich träumte mich immer wieder weg, ich würde jetzt entlarvt und gescholten werden, ich hielt die Spannung nicht mehr aus und ich begann zu weinen. Na, sagt er, da musst du nicht gleich weinen, so schlimm ist das auch wieder nicht, ich schlage vor, wir fragen die Kinder und du wählst dir ein Kind aus, von dem du es gerne hören möchtest, ist es gut so? Ja, nickte ich. Ich hatte große Mühe mich umzudrehen und in die Klasse zu sehen. Ganz verschwommen sah ich meine Mitschüler. Der Herr Katechet: Na, wer weiß wer der Vater von Jesus ist? Wer will es dem Florian sagen? Schlagartig sausen ein paar Hände in die Höhe.  Florian, wer soll es dir sagen? Ich wählte ein Kind aus der ersten Reihe, denn nur diese konnte ich klar sehen. Es war ein mir vertrautes Kind. Der Heilige Geist, hörte ich es sagen. Pravo, sagte der Katechet. Na, Florian, weißt du es nun, wer ist der Vater von Jesus? Ich flüsterte. Der Heilige Geist. Ich konnte mir allerdings nicht vorstellen, wer das sein könnte. Der war doch ein Geist, wie soll der der Vater von Jesus sein. Im Herbst kamen immer Frauen mit Ziegen zu uns zu Besuch. Mutter, warum kommen die Frauen mit den Ziegen? Sie kommen nicht zu uns, sie kommen zu unserem Bock. Die Ziegen können keine Zicklein kriegen, wenn die Ziegenmütter nicht beim Bock waren. Und richtig. Die Frauen mit den Ziegen standen um den Stall des Bockes herum und warteten, bis der Bock endlich aufgeritten war. Das zu sehen, war ihnen sehr wichtig. Erst dann überreichten sie meiner Mutter einen Geldschein und verschwanden zufrieden mit der Geis. Meine ganze augenscheinliche Erfahrung war: Ohne Stier keine Kälber, ohne Saubären keine Ferkel. Ohne Hahn keine Küken,… und auch die Menschen leben paarweise zusammen und haben gemeinsam Kinder. Immer können nur männliche und weibliche Wesen gemeinsam Kinder haben.  Welcher  Mann trug das Seine dazu bei, dass Maria ein Kind bekommen konnte? Wer war also dieser Heilige Geist, neben dem, von dem zu Pfingsten die Rede ist, der ja nur ein Geist ist, es muss ein Namensvetter sein, der mit Maria das Jesuskind gezeugt hat, in der Bibel gibt es sehr viele Personen mit gleichem Namen, so muss es wohl gewesen sein, ich habe wahrscheinlich schlecht aufgepasst. Aber warum ist der nicht bei Maria und seinem Kind. Die heilige Familie, eine ziemlich unordentliche Familie!? Kann das sein. Nein, das kann doch nicht sein. Ich schwieg, ich fürchtete noch dümmer da zu stehen, wenn ich redete. Eigentlich war es mir wurst, wer der Vater von Jesus wirklich war, es soll ja schon zweitausend Jahre her sein, dass Jesus gelebt hatte.  Die Maria kann man nicht mehr fragen. Wie sollte man da genau wissen können, wer wirklich der Vater war, der Josef oder der Heilige Geist? Zwei Väter, nein, das wollte mir nicht in den Kopf. Die Hauptsache ist jetzt, ich komme aus der verdrießlichen Situation wieder heraus. Er ließ mich setzen. Es war überstanden.

Die Hose

Durch meine Eltern vermittelt trat  ich mit ca. 16 Jahren im Kloster K. meinen ersten Arbeitsplatz an. Ich war dort Klosterdiener geworden.  Meine Eltern hatten mich neu eingekleidet. Ein „schönes Gewandt“ für den Sonntag und andere etwas gehobenere Anlässe. Und Arbeitskleidung für den Anfang. Auf Lohn musste ich erst einmal warten. Aber Geld war für mein Arbeitsleben im Kloster nicht wichtig. Das Kloster hatte eine Infrastruktur. Für Notbehelfe im inneren Kreis, und als Klosterdiener gehörte ich zum inneren Kreis, war die „Türnitz“ zuständig, eine Art Caritasabteilung im Kloster selbst. Umtriebige Chefin war die sogenannte Türnitzmiasl. Sie wurde mir bald nach meiner Anstellung als die in Nöten zuständige Anlaufstelle genannt. Hilfsbereite gebefreudige Menschen trugen halbe Verlassenschaften hin, zu klein gewordene Kinderkleidung, zu weit gewordene Altenkleidung, Schuhe,Geschirr, Uhren, ...Die Türnitzmiasl verwaltete diesen Trödel. Sie hatte eine Parterresuit von rund einem Dutzend Räumen zur Verfügung, Sie wohnte auch inmitten dieses Krams. Ein Krankenzimmer war auch dabei für den Fall, dass jemand aus dem inneren Kreis schwer krank wurde und “fachliche“ Beobachtung brauchte. Ich empfand bald einmal eine Unterversorgung mit Arbeitskleidung. Die Türnitzmiasl wusste hoch motiviert Abhilfe, als sähe sie es gerne, ihren Vorratshaufen etwas abzubauen . Diese abgetragene und vom langen Lagern etwas morsch gewordene Wäsche war anfällig für überraschendes Diensteversagen und raschen Verschleiß. So kam es, dass ich eines Tages einen Hosenknopf verlor. Beim Hosentürl. Kein Problem. Es gibt ja die Türnitz. Die Einladung war überzeugend, dass ich mit jedem Problem dort hingehen könnte. Ich ging also mit der von mir notdürftig gereinigten Hose in die Türnitz. Am besten an einem Werktag am Vormittag, da  war immer ein Arbeitstrupp, gebildet aus alten Frauen, die dort freiwillig Dienst taten, anzutreffen. Sie saßen in der Hauptstube im Kreis, flickten, strickten, bereiteten vor und bereiteten nach und – redeten, vor allem redeten sie. Mitunter konnte man sie beten oder gar singen hören. In diesen gemütliche Kreis brach ich ein – mit meinem Hosenproblem. Alle sahen auf mich auf. Die Türnitzmiasl saß vor einer Nähmaschine, dessen Platte gleichzeitig ihr Tresen war. Ich musste also da ran. Was ist das Problem? Mich überkam plötzlich eine große Schüchternheit. Ich beugte mich etwa zu ihr hinab und sagte: Ein Knopf ist abgegangen – und noch etwas leiser – beim Hosentürl. Die Miasl, die etwas schwerhörig geworden war., laut und auffordernd. Was hast gsagt? Ich wurde feuerrot und wiederholte.  Ich brauch einen neuen Knopf. Ja wo denn. Beim Hosentürl, fügte ich mit gepresster Stimme hinzu. Ja, freilich, warum sagst das net glei. Ein Gelächter ging durch den Raum. Ich muss noch röter oder bereits blass geworden sein. Ich verließ wie von Spießen getrieben den Raum. Die Türe hinter mir geschlossen lachte es noch einmal auf.. Ich dachte im Moment, in die Türnitz kann ich nicht mehr so schnell wieder gehen, man würde sich erinnern, und die Beschämung würde sich wiederholen. Aber es war vergessen. Nichts mehr kam nach. Ich war über meine Gefühlsreaktion völlig verstört, ich war beschämt übe meine Beschämung, Selbstzweifel quälten mich, was bin ich doch für ein komischer Mensch, wie leicht machst du dich lächerlich

Mein erster Schultag mit Bruder Franz

Das erste Foto, auf dem ich gemeinsam mit meinem Bruder Franz abgebildet bin, er war auf ihm doppelt so hoch wie ich, sonst war vieles gleich, zumindest die Kleidung. Kurze Lederhose, kariertes kurzes Hemd, Socken, Halbschuhe. Man sieht nur undeutlich, dass sie stark abgetragen sind. Meine Tante. Sie war Fabriksarbeiterin in Linz. Sie wohnte für gewöhlich auch dort, aber im Urlaub war sie immer da. Sie hatte einen Fotoapparat. Und am Sonntag lief sie uns nach, um Fotos von uns zu machen. Hin und wieder gelang es ihr, uns vor die Linse zu bekommen. Ich bin ja nicht dafür angezogen! Macht nichts, sagte sie, sieht man eh nicht auf dem Foto. So also existiert heute dieses Foto. Mein Bruder mag mich, es ist für ihn ok., dass ich neben ihm stehe. Auf dem Foto. Davor, also als ich noch jünger war, habe ich meinen Bruder in Erinnerung bei Spielen, an denen ich nur entfernt beteiligt war. Als Zuseher, als ein in die Ecke gesetzter Knirps, der sich nicht vom Platz rühren durfte und zum Trost oder zur Unterhaltung eine Menge Trödel in die Hand gedrückt bekam. Meine älteren Geschwister befanden sich in einem Spielrausch, in einer Orgie von Spielen, der Fassboden wurde als Wohnstätte umgebaut und ausgestaltet. Gut, dass meine Eltern verhindert waren auf uns aufzupassen. Die Hektik bei den Spielen meiner älteren Geschwister mag wohl daher rühren, dass sie bereits eine Ahnung hatten, dass ihre Kindheit schnell vorbei sein würde. Mein erster Schultag. Ich wollte nicht in die Schule gehen. Ich fürchtete mich vor der Schule. Die Mutter drohte mir hin und wieder mit der Schule. Da wäre das Strawanzen, das Faulenzen,…und was sie alles noch für unnützen Zeitvertreib hielten, endlich vorbei. Also nicht in die Schule, auch wenn sie unabwendbar war. Meine älteren Geschwister nahmen mich fest bei den Händen und schleiften mich mehr, als dass ich ginge – in die Schule. Ohne den festen Griff an meinen Händen machte ich keinen Schritt vorwärts, auch noch nicht im Schulgebäude, das mir sowieso seltsam vorkam. Schönbrunnergelb, wie man heute fachsimpelt, für mich sah diese Farbe grauenhaft aus. So würden Gefängnisse, Polizeistuben oder vielleicht noch Amtsgebäude aussehen, wo gestrenge Herrn ihres Amtes walten! In diese Kategorie reihte ich die Schule ein. Ich konnte nicht zurück. Wohin denn auch! Mich würden die Eltern niemals freundlich empfangen, wenn ich heim liefe. Sie würden brüllen oder vielleicht sogar zuschlagen. Sind sie erst gar nicht mit mir zur Schule gegangen, um keine Zeit zu verlieren, würden sie jetzt ausrasten vor Wut, dass sie mich doch zur Schule bringen müssten. Schreien durfte ich auch nicht. Nicht mehr. Was draußen noch ging, hier war die Stimmung ernst, wer hier schreit fällt auf, alarmiert die Schulbehörde. Der Herr Direktor würde auftauchen, er würde mir drohen,..  Meine Schwester und mein Bruder von der älteren Sorte zerrten und schoben mich bis vor die Klassentür, die sie kannten. Ich nicht. Dann stand ich da. Tränen flossen über die Wangen, lautes Schluchzen Ich öffnete nicht die Tür, ich stand da als hätte ich Klebstoff auf den Schuhsohlen. Hilfe suchend sah ich auf zu meinem Bruder. Wohl wie ein winselnder Hund. Meinen Bruder packte die Rührung. Er nahm mich bei der Hand. Ich widerstrebte nicht mehr so wie das Schachtvieh, das keinen Ausweg mehr sah, das nur den mitfühlenden Blick erkannte, das ihm den letzten Gang erleichtert. Er öffnete die Tür, er zog mich leicht hinter sich her, ich war im Klassenzimmer. Viele Mütter, die Kinder trösteten, Erwachsenenstimmen, Kinderschluchzen. Mein Bruder blieb stehen, er sah sich um. Ah, da. Die Lehrerin kam auf uns zu. Mein Bruder ein paar Worte. Viel zu leise. Er war wohl selbst etwas betreten. Peinlich, mein Bruder macht keinen Schritt allein. Die Lehrerin beugte sich auf mich herunter. Irgendwie unaufgeregt, als wäre nichts Besonderes los. Sie redete auf mich ein. Ich hörte nur Worte, verstand aber nichts. Mein Bruder, ich spürte noch seine Hand auf meiner Schulter und er verschwand. Ich sackte zusammen, ein Tränenfluss ergoss sich aus meinen geschwollenen Augen. Die Lehrerin war nicht so übel. Nicht so übel wie ich sie mir ausdachte. Sie nahm mich bei der Hand. Sie war warm und weich. Sie führte mich zu einem Platz. Ganz vorne. Zweite Reihe. Sie redete mit mir. Ich verstand sie nun besser. Ich nahm die Schultasche ab, schob sie ins Fach. Ich folgte der Stimme wie ein Automat. Dann saß ich. Endlich. Ich nahm nur viel Geräusch war. Ab und zu trat die Lehrerin hervor. Erinnerte die Mütter zum Abschied nehmen. Das gelang nach und nach immer mehr Müttern. Bis es ganz still wurde in der Klasse. Ab und zu ein Schluchzer, ein Seufzer. Die letzte Mutter verließ den Raum. Die Lehrerin wurde geschäftig….

Kinderjahre im Dorf - vom unehelichen Kind zum Waisenkind und Pflegekind
 von Silvia B.

Meine Mutter war dreißig Jahre alt, als sie sich in einen Mann verliebt hatte. Dieser Mann sollte mein Vater werden. Ich möchte ihn Herrn A. nennen. Die beiden waren übereingekommen heiraten zu wollen. Das ist auch der Grund, warum sich meine Mutter auf eine Intimität mit ihm eingelassen hatte. Meine Mutter war guter Dinge, dass die Beziehung mit ihm einen guten Lauf nimmt. Es stellte sich heraus, dass er nicht nur in meine Mutter sich verschaute, sondern sehr wohl noch für die Attraktivität anderer Frauen etwas übrig hatte. Während ich bereits unterwegs war, fing er sich mit einer anderen Frau etwas an und zeugte mit ihr ein weiteres Kind. Dieses Kind ist nicht einmal ein Jahr jünger als ich. Es gab im Dorf damals noch keine Verhütungsmittel. Wenn man sich als Frau zu sexuellen Kontakten eingelassen hatte, gab es nur eine Sicherheit für sich und eventuell für ein entstandenes Kind: das Vertrauen zueinander. Das Vertrauen, dass der Mann, der mein Vater werden würde,  die versprochene Treue halten würde, und einen beistehen würde das gemeinsame Kind aufzuziehen. Als mein Halbbruder auf die Welt gekommen war, erfuhr meine Mutter davon, sie war sehr enttäuscht, sie fühlte sich rein gelegt und sie schämte sich zu Tode. Ich habe mit der Mutter in ihrem Elternhaus gelebt bis zu meinem dritten Lebensjahr. Meine Mutter hat im Haushalt die Küche geführt. Sie hat Frühstück für meinen Halbonkel gekocht. Das Feuer wollte nicht recht brennen, das Holz war vielleicht nicht genügend getrocknet, sie half mit einem Schuss Petroleum nach, es gab eine Stichflamme aus dem Herd, die die Petroleumflasche erfasst hatte. Der entstandene Feuerball erwischte meine Mutter voll,  sie geriet rundum in Flammen und sie litt zwei Tage noch sehr an ihren Brandverletzungen, sie erholte sich nicht mehr und starb. Meine Tante hatte sie durch Überwerfen von Decken zu retten versucht, aber die Verletzungen waren zu groß. Meine tote Mutter wurde im Haus in ihrem Schlafzimmer aufgebahrt. Ich habe ganz deutliche Bilder in meinem Kopf.  Ich stand in meinem Gitterbett in der Stube, das gleichzeitig das Vorzimmer zum Aufbahrungszimmer war. Die Dorfbewohner kamen nach und nach um Abschied zu nehmen und um Weihwasser zu spritzen und gingen dabei an mir vorbei. Sie hielten kurz vor mir inne und sprachen zu mir: Ach, du armes Kind! Dann gingen sie weiter zu meiner toten Mutter und verschwanden wieder aus dem Haus. Ich sehe noch deutlich vor mir, wie die Mutter aufgebahrt war. Am Fußende standen links und rechts zwei buntfarbige Engel, der Weihwasserkessel in der Mitte und zwei brennende Kerzen, die den Raum erhellten. Was dann geschah, darüber habe ich ein Erinnerungsloch. Ich weiß nicht, ob mein Vater zu der Beerdigung gekommen war. Auf alle Fälle habe ich nichts gespürt, dass er irgendwie für mich da gewesen wäre.
Meine Tante war mit viel Liebe für mich da. Sie hat so gut sie konnte die Mutter zu ersetzen versucht und alles ihr Mögliche für mich getan. Meine Tante war damals ledig. Im Herbst !944 ist sie nach Deutschland gegangen, um Hopfen zu brocken. In der Familie, wo sie Hopfen gebrockt hatte, hat sie einen jungen Mann kennen und lieben gelernt. Dieser junge Mann hat uns später wiederholt zu Hause besucht. Reisen war damals schwer möglich. Man brauchte Reisegenehmigungen, was sich in der Erlangung eines Passierscheines ausdrückte. Ich durfte nach Deutschland nicht mitreisen. Als meine Tante A. für zwei bis drei Wochen nach Deutschland  in das Haus des jungen Mannes ging, kam ich zur von meiner Mutter für mich auserkorenen Firmpatin auf die Alm. Auf der Alm waren auch ihre beiden Eltern und ein Hirterbub von etwa sechzehn oder siebzehn Jahren aus der Verwandtschaft. Ich befand mich damals viel in Gesellschaft von Erwachsenen und ich freute mich besonders, endlich einen jüngeren Menschen um mich zu haben, zu dem ich obendrein noch verwandt war. Ich fühlte mich auf der Alm sehr wohl. Die Eltern und möglicherweise auch die von meiner Mutter für mich auserkorene Patin mussten ins Tal. Der Anlass war möglicherweise ein Begräbnis. Ich bin noch nicht in die Schule gegangen. Ich befand mich einen ganzen Tag unter der Obhut des Hirterbuben aus der Verwandtschaft. Man hatte mich ihm anvertraut. Ich erinnere mich noch, dass wir in einem großen Korb Abfälle wie Blech  und altes Glas zu einer Grube trugen, um den Kram dort zu entsorgen. Er hatte mich dort hart an der Hand gefasst, da plötzlich ein Hirsch auftauchte. Der junge Mann hatte mich dabei verletzt. Ich hatte Schmerzen an der Hand. Er hatte mich vorgegebenermaßen „verarztet“. Dann gingen wir den Hang wieder hinauf. Wir schliefen für gewöhnlich alle auf dem Heuboden. Das war allgemein so Sitte.  Dort waren Betten aus Heu gemacht und wir hatten Decken um uns zu zudecken. Er hatte mich dazu gebracht, die Leiter auf den Heuboden hinaufzusteigen, um mir, wie er sagte, etwas zu zeigen: Ich möchte dir zeigen wie man Kinder macht. Ich hatte keine Ahnung.  Er hatte mich sexuell berührt. Ich hatte es niemanden sagen dürfen. Ich fühlte, dass es etwas Verbotenes war und habe niemanden etwas davon bis zum heutigen Tag erzählt. Ich hatte auch nicht das Vertrauen, dass man mir Glauben schenkte, wenn ich einem Erwachsenen erzählte, wie es geschah. Der junge Mann war in einem angesehenen Beruf sehr erfolgreich und lebt bis heute zusammen mit seiner Frau als ehrenhafter Bürger im Dorf. Ich fühle mich allerdings von ihm missbraucht. Er hatte meine kindliche Naivität ausgenutzt. Der Aufenthalt auf der Alm war zu Ende und es hatte sich dann viel verändert. Meine Tante A. heiratete nach Deutschland. Die Eltern von der von meiner Mutter vorher ausgewählten Firmpatin gingen heim in ihr Haus. Ich konnte nicht mit ihnen gehen. Ich war inzwischen schulreif geworden. Es gab einen Halbbruder von der Tante A. Der Halbbruder meiner Tante A. hat am Sterbebett meiner Mutter versprochen, auf mich auf zu passen. Deswegen bin ich in die Wohnung dieses Halbbruders gekommen. Dieser Halbbruder hat eine Frau geheiratet, die von weit her kam. Sie war „couragiert“ und sehr bestimmend, er war hingegen ein sehr ruhiger und lieber Mensch. Ein weiterer Halbbruder hat auch geheiratet und bewohnte mit seiner Frau die andere Haushälfte. Die zuletzt genannte Frau, nennen wir sie Rosa, sollte für mich noch wichtig werden. Sie war lieb zu mir. Der Halbbruder, der am Sterbebett meiner Mutter das Versprechen abgegeben hatte, auf mich aufzupassen, war viel bei der Arbeit. Ich war viel allein mit seiner Frau, die nun meine Ziehmutter geworden war. Sie habe ich in keiner guten Erinnerung. Sie war grob zu mir und tat sich nicht schwer mir weh zu tun. Wenn der Onkel im Haus war, war sie in ihrer Aggression gebremst. Sie wollte mich immer wieder los habe. Wenn ihr Mann, der der Halbbruder meiner Mutter war und ihr das oben genannte Versprechen abgenommen hatte, von der Arbeit nach Hause kam, hatte seine Frau, die nunmehr meine Ziehmutter geworden war, mich immer weg geschickt, inem sie mir Arbeitern aufgetragen hatte. Z.B. hatte sie eine lange Dachschindel in den Leim getaucht und mich beauftragt, in den Rübenacker zu gehen – dieser lag ca. eine halbe Stunde entfernt - , um dort die Rübenreihen abzugehen, um mit dem geleimten Brett die Rübenflöhe zu fangen. Ich hatte da lange zu tun. Wenn sie voll sei, könnte ich nach Hause gehen und ich bekäme dann ein Butterbrot. Ich fühlte mich weggeschickt und dass ich nur im Weg wäre. Es erscheint mir heute eine Foltermethode, die an mir praktiziert wurde. Rosa war eine geschickte Frau. Sie machte mir für die Schule Stoffpatschen und hatte heimlich ein fürsorgliches Auge für mich. Der Herr Lehrer trug uns auf, über die Ferien unsere Schulutensilien, insbesondere unsere Schulpatschen zur Begutachtung nach Hause zu nehmen. Meine Schulpatschen waren reparaturbedürftig. Ich sagte meiner Ziehmutter, dass meine Schulpatschen repariert werden sollten. Meine Ziehmutter hatte eine Intrige gegen mich ein gefädelt. Auf dem Balkon, wo unter Umständen Speisen frisch gehalten wurden, befand sich ein Ablageregal, wo meistens gekochte Kartoffel, Butter, … aufbewahrt wurden. Bevor ich in die Schule ging, kam der Kaminkehrer, ihm wurde gerade weis gemacht, ich hätte die Butter gestohlen. Man würde ja noch meine Fußspuren sehen. Das hat der Kaminkehrer zu hören gekriegt. Ich habe die Anschuldigung, ich hätte die Butter gestohlen, dem Onkel, der mit Rosa verheiratet war, die die Patschen genäht hatte, erzählt. Die Frau von weit her, die meine Ziehmutter war, nennen wir sie ab nun Maria, hatte sich den Zynismus erlaubt, ich solle doch die reparierten Patschen dort hin bringen, wo ich die Butter hingebracht hätte. Auch dieses zynische Spiel erzählte ich Rosa und ihrem Mann, die in der anderen Haushälfte wohnten. Rosa und ihr Mann waren auf meiner Seite und stellten meine Ziehmutter zur Rede: Was führst du mit dem Kind auf, was hängst du ihr da an!? Die Wut der Ziehmutter steigerte sich immer mehr. Vor dem Haus war ein Brunnen mit ständig fließendem Wasser. Das Wasser floss zwischen Steinritzen in einen Abfluss. Jemand schüttete rohe Kartoffelschalen vermischt mit Wasser zwischen die Steine, die durch den herrschenden Frost an den Stein festgefroren waren. Meine Ziehmutter ließ mich die angefrorenen Schalen von den Steinen reißen, um den Abguss zu reinigen. Rosas Mann, mein Onkel, der für mich wiederholt eingetreten war, sah meine Arbeitsmühe und ließ sich von mir erklären, was ich da  in der Kälte täte. Er ist explodiert, es gab einen riesen Krach mit seiner Nachbarin, meiner Ziehmutter. Sie hatte ein Kind geboren, das durfte ich nie anrühren. Ich hatte Läuse bekommen, sie hatte mich kaum einmal gekämmt. Ein Ausdruck ihres Hasses auf mich war, mich in einen fensterlosen Käsekeller einzusperren. Wieder in der Schule konnte ich das Einmaleins nicht aufsagen. Ich musste nach dem Unterricht einmal nachsitzen, damit ich mit anderen Schülern nachlernte. Ich kam dadurch etwas später nach Hause. Meine Ziehmutter saß in der Küche an der Nähmaschine und hatte sich dort zu schaffen gemacht. Als ich den Raum betrat, stand sie sofort auf. An ihrem Blick erkannte ich, dass mir was blühte. Neben dem Herd stand ein Korb voll Scheiter, sie griff hinein, um mich zu verprügeln. Ich bin in Panik schreiend aus dem Haus  und durch die lange Gasse immer noch schreiend weg gelaufen, um im Haus meiner von meiner Mutter vorherbestimmten Firmpatin Schutz zu suchen. Dort habe ich meine Hausaufgabe gemacht. Es war meine Aufgabe den Tisch  mit dem Maßband abzumessen. Die Patin und ihre Eltern haben beratschlagt, wer mit mir am Abend nach Hause gehen würde. Die Mutter der Patin ging schließlich mit mir heimwärts. Sie hatte  für die Ziehmutter zum Geschenk und zur Beruhigung eine Kanne Milch mitgebracht. Mein Onkel, der meiner Mutter das Versprechen abgenommen hatte, hatte von den Schikanen, die von seiner Frau gegen mich ausgingen, nichts mitbekommen. Rosis Mann ist zum Jugendamt gegangen. Meine Ziehmutter lief fleißig zu meinem Lehrer und auch zum Herrn Pfarrer und erzählte wie sehr sie sich um mich kümmern würde und wie schwer sie es mit mir hätte, da ich schwer erziehbar wäre. Sie ließ auch keinen Kommunionempfang aus, um ihre Gläubigkeit zu demonstrieren. Auf Betreiben meiner Ziehmutter kam der Herr Pfarrer auf das theologische Urteil, dass ich für die Erstkommunion noch zu unreif wäre. Im folgenden Jahr wurde ich dann doch zugelassen. Meine zukünftige Firmpatin stattete mich mit einem weißen Kleid, mit Schuhen  und einer in der Mitte geknickten Erstkommunionkerze aus.  Mein Haar war verlaust. Man schor mir den Kopf vollständig. Entzündete und blutende Krusten kamen zu Tage, meine Kopfhaut wurde mit einer gelben Krem dick eingeschmiert, eine extra angefertigte runde Kappe wurde mir aufgesetzt, mit der ich auch in die Schule gehen musste. Zur Erstkommunion bekam ich von der Patin einen weißen Schleier und ein schönes Kränzchen. Inzwischen ist das Jugendamt aktiv geworden.  Ein Fräulein vom Jugendamt Bregenz hat mich abgeholt. Mit dem Zug sind wir  in einen Ort im Rheintal gefahren, wo ich bei einer pensionierten Lehrerin untergebracht wurde. Dort hatte ich es recht gut. Als ich etwa sechzehn Jahre alt war und bei meiner Tante Rosa zu Besuch war, sagte sie mir, im Dorf ginge das Gerücht um, von den „fünf  Problemkindern“, die es im Dorf gab, war ich eines davon, „das nicht recht tat“. So entstehen soziale Brandmale, die Kinder treffen können, mich hat es getroffen und tief verletzt, ich kam einfach dazu und mit keiner Mühe konnte ich mich davor schützen. Ich hatte kein Bedürfnis nach diesem Brandmal, aber es gab wohl im Dorf ein Bedürfnis, es mir aufzukleben. Es wurde mir zum Makel angelastet, dass ich keine Mutter und keinen zu mir stehenden Vater hatte und dass ich ein sogenanntes lediges Kind war. Dass außereheliche Kinder es um vieles schwerer hatten, soziale Akzeptanz und Wertschätzung zu bekommen, steht unbedingt in einem Zusammenhang mit der katholischen Moral, die damals noch recht unverfroren verkündet wurde, nach der unverheirateter Eltern in einem unehrenhaften Lebensverband leben und auch ihre Kinder unehrenhaft gezeugt und in die Welt gesetzt wurden. Selbst die Kinder sollen es büßen. Die Vertreter der Kirche haben das nicht verhindert, im Gegenteil sie waren die Schrittmacher dieses Unrechts an den Kindern. Während die Kirche heutzutage fein raus ist aus der Verantwortung für dieses soziale Unrecht an den betroffenen Menschen, machte sich der dumme Volksmund zum Agenten der katholischen Moral und begriff sie als Freibrief, Kinder zu tiefst zu verletzen. Eine Verletzung, die sich tief eingräbt in die Seele und dort als ohnmächtige Wut krank macht oder als mehr oder weniger schlecht gesteuerte Wut zwischenmenschlichen Beziehungsschaden anrichtet.
Begegnung am Bahnhof
Ich lebte damasl in Lustenau bei meinen Pflegeeltern, die Mutter war pensionierte Lehrerin, der Vater noch aktiver Bahnbeamter. Es war Sommer, da durfte ich in meine alte Heimat in den Bregenzer Wald zu meinen Onkeln und Tanten zu Besuch fahren. Ich habe mich bei meinen Verwandten sehr wohl, in der Wald- und Bergumgebung sehr zu Hause gefühlt und den Ausflug genossen.  Ich war damals neuneinhalb Jahre alt.  Nach meinem Besuch ging ich zu Fuß zur Bahnstation in das Dorf B. Der Weg war rund eine Stunde lang. Auf dem Bahnhof angekommen wartete ich auf das Wälderbähnle. Es kommt eine Wälderfrau mit Wälderzöpfen und mit einem hellblauen Dirndl bekleidet auf mich zu und fing an, mich unschön zu beschimpfen. Ich hatte die Frau bis dahin nicht gekannt. Sie sprach mich an mit: Was machst denn du da, du lediger Balg!“ Ein Bub, der neben ihr stand, hatte seine Hände in die Hüfte gestemmt und zu der beleidigenden Ansage hämisch gelacht. Er genoss scheinbar die Schmähung, die mir seine Mutter zufügte. Später stellte sich für mich heraus, dass die Frau, die mich beschimpft und beleidigt hatte, die Ehefrau meines leiblichen Vaters und das Büble mein leiblicher Halbbruder war. Jahre später habe ich diese Erfahrung meiner Halbschwester, sie war die Tochter meines leiblichen Vaters, erzählt, und sie hat dies ihrer Mutter erzählt. Die nämliche Frau sprach mich nach Jahren, ich war inzwischen erwachsen geworden, auf diese Sache an: „Behalt es für dich und bewahre mich vor schlechter Nachrede. Früher war es halt so, dass ledige Kinder nicht geschätzt wurden.“ Obwohl es keine Entschuldigung, sondern eher eine Selbstentschuldigung war, empfand ich es als positiv, dass sie den Vorfall so erläutert hatte. Ich war nicht gerade mit ihr versöhnt aber ich konnte damit leben. Sowohl ich als auch die Ehefrau meines leiblichen Vaters taten ab nun, als ob nichts vorgefallen war. Ich sah sie noch hin und wieder, weil ich meine Halbschwester besuchte.

Einer von den fünf Kindern im Dorf, „die“ nach dem Volksmund „nicht recht tun“.
Von Silvia B.

Der Bub, von dem hier die Rede ist, war etwa acht Jahre alt, er hatte Eltern und lebte auch bei diesen. Eines Abends traute er sich nicht nach Hause. Er musste große Angst gehabt haben. Er verkroch sich im Betriebsgebäude der Holzverarbeitungsfirma des Dorfes im Sägemehl – die Nächte konnten mitunter im Bregenzer Wald sehr kalt sein -  um dort die Nacht zu verbringen. Ich weiß nicht wie die Geschichte ausgegangen ist, weil ich nur davon hörte und nicht mehr dort lebte. Aber das Schicksal dieses Jungen hat mich sehr beschäftigt. Der Volksmund zählte ihn zu jenen Kindern des Dorfs, „die nicht recht tun“.  Diesen schlechten Ruf hat mir der Volksmund auch angehängt. Es war sehr verletzend. Wie ich zu diesem schlechten Ruf kam, weiß ich nicht. Es muss davon ausgegangen sein, dass ich ein sogenanntes lediges Kind war. Ich empfand mich als ein unauffälliges, eher schüchternes Kind.

Bei meiner Pflegefamilie im Rheintal
Von Silvia B.

Nach einer Anzeige, dass mich meine „Stiefmutter“, die Frau des Halbbruders meiner leiblichen Mutter,  der seiner im Sterben liegenden Halbschwester das Versprechen abgenommen hatte, auf mich aufzupassen, mich misshandelte kam ich  durch das Jugendamt als Pflegekind zu einer lieben pensionierten Lehrerin. Ihr Mann war noch aktiver Bahnbediensteter. Das Ehepaar hatte keine eigenen Kinder. Diese Pflegeeltern hatten vor mir bereits ein Pflegekind bei sich aufgenommen. Das ein wenig ältere Mädchen wurde meine Spielgefährtin. Ich erinnere mich an Spiele mit einem gutmütigen Schäferhund. Hinter dem Haus floss ein ca. zwei Meter  breiter Bach vorbei. Darin wuchsen Seerosen. Im Frühling gab es ein wahnsinnig lautes Froschkonzert. Ringsum flaches Land und keine Berge mehr. Der Grund um das Haus war unser Spielplatz. Dort standen auch zwei große Zwetschkenbäume, die wir bei Befall täglich von den Maikäfern befreiten. Ich bekam von der neuen Mutter dieselben Kleider wie die ihrer etwas größeren Pflegetochter Gerda. Bald waren die Ferien vorbei und auch ich ging in eine große Schule im Rheintal. Ich stieg in die dritte Klasse ein. Am Anfang tat ich mich schwer mit der Verständigung. Die Sprache meiner Lehrer und Mitschüler hatten einen sonderbaren Schweizer Klang. Die Mutter war sehr verständnisvoll und liebevoll mit mir umgegangen. Ich erinnere mich, dass jeden Sonntag früh sie schon einen Hefegugelhupf zum Aufgehen auf den Ofen stehen hatte. Da merkte ich, dass sie extra für mich Milchreis und Kompott gemacht hatte. Im Sommer sind wir gerne im Alten Rhein baden gegangen. Ich konnte noch nicht schwimmen. Einmal wäre ich fast ertrunken. Schulfreunde von meiner Schwester Gerda haben mich gerettet. Sie zogen mich auf die Wiese, sie trommelten mir auf den Rücken, um den Wasserfluss aus meiner Lungen zu befördern. Ab nun bin ich nicht mehr zum Baden mitgegangen. Man hat mir damals nie nachgesagt, dass ich ein Problemkind oder schwer erziehbar wäre. Noch im Sommer – es war ein Fest – gingen Gerda und ich auf den Rummelplatz. Wir wollten unbedingt mit einer Schiffsschaukel schwingen, möglichst hoch hinauf. Als das Schiff gestoppt wurde, konnten wir uns nicht auf den Beinen halten, und wir sind vor Schwindel eine Zeit lang im Rasen liegen geblieben. Ein Leben lang hat mich nicht mehr nach einer Schaukel gedurstet. Bei meinen Pflegeeltern war ich ein glückliches Kind. Dieses Glück fand ein jähes Ende, da der Pflegevater von einem Tag auf den anderen gestorben ist. Die Pflegemutter fühlte sich überfordert. Sie gab mich ab. Gerda durfte bleiben. Ich kam zu einer neuen Familie

Überstellung zu einer Bauernfamilie auf dem „Bildstock“
Von Silvia B.

Ich war damals elf Jahre alt, als ich zu einer Bauernfamilie umziehen musste. Das Ehepaar hatte keine leiblichen Kinder. Am ersten Tag schon hatte man mir gezeigt, wie man mit der Heugabel umgeht. Wie es anfing, so blieb es. Wenn man mich besuchte, hätte man mich immer bei der Arbeit gesehen.  Ich wurde ständig zur Arbeit angehalten. Beim Essen hörte ich des Öfteren: Tu fest essen, du musst dann auch fest arbeiten! Du sollst die Arbeit ja auch aushalten. Die Arbeit hatte ich bereits bei meinen Verwandten in meiner alten Heimat kennen gelernt. Ich war an die Arbeit gewöhnt. Mit dem Vieh zu tun zu haben war mir das Liebste. In meiner alten Heimat im Bregenzen Wald – erinnere ich mich -  führten die Bauern auf ein Hornsignal des Gemeindehirten ihre Ziegen auf die Hauptstraße. Der Hirte nahm sie alle in einer großen Herde mit auf die Bergwiese. Am Abend kamen die Ziegen zurück, die Ziegen wussten, wo sie wohnten, es wurde ihnen der Stall geöffnet, sie strömten hinein, dann wurden sie noch gemolken. Es war meine Arbeit die Ziege auf die Straße zu führen und sie von dort wieder abzuholen. Meine neue Pflegefamilie wohnte in einem Bauernhaus, das neunhundert Meter über dem Bodensee lag, bei Schönwetter hatten wir eine gute Aussicht über den See und ins Rheintal, bei Schlechtwetter konnte man mitunter auf ein Wolkenmeer wie aus einem Flugzeug von oben runter schauen. Das war sehr spektakulär.  Unsere Schule war auf einer Erhöhung am Waldesrand. Man nannte sie auch die Waldschule. Das Schulhaus stand ganz alleine. Im Sommer waren etwa zweiundzwanzig Schüler an der Schule. Alle in einer Klasse. Im Winter nur etwa achtzehn Kinder. Unser Lehrer war noch sehr jung. Er war sehr lieb. Er war bei einer entfernten Verwandten von mir einquartiert, er bekam dort auch die Kost. Die Turnstunde verbrachten wir auf einer schräg abfallenden Wiese, auf der wir oft Völkerball spielten. Die Besonderheit dieses Platzes war, dass uns oft der Ball verloren ging, er rolle den Hang hinunter. Viel Zeit ging drauf, ihn wieder zu holen. Schön war, dass ich damals drei Freundinnen hatte, mit denen ich viel lachen konnte. Sie sind mir bis heute treu geblieben. Nach der Ausschulung lebte ich noch bei dieser Pflegefamilie, Das Pflegeelternpaar machte zwar oft Kinder, aber Kinder bekamen sie keine. In der Küche habe ich das Geschirr gewaschen. In der Küche befand sich ein Sofa. Es handelte sich um eine Wohnküche. Mein Pflegevater begann neben mir mit sexuellen Handlungen mit seiner Partnerin. Zum Beispiel, wenn sie sich bückte, um Holz in den Herd zuschieben, bekam er Lust auf Sex. Sie sagte dann: Net August, net August! Und schon war „er“ drin. Dazu muss ich anführen, dass die Bäuerinnen und vielleicht nicht nur sie, damals zumindest an Werktagen keine Unterhose trugen, aber viele Röcke übereinander, ganz nach Jahreszeit und Außentemperatur. Strümpfe galten als Luxus, den man sich kaum leisten konnte. Wahrscheinlich war es ihr nicht einerlei, dass er zu sexuellen Handlungen schritt in meiner Gegenwart. Ich bin mit meinem Lavour und dem zu reinigenden Geschirr vor das Haus gegangen, um nicht zusehen zu müssen. Heute kommt mir diese Handlungsweise mir gegenüber sehr respektlos vor. Sie  machten immer wieder Sex in meiner Gegenwart, was mich sehr abstieß. Ich fürchtete auch, er könnte eines Tages auch über mich in gleicher Weise herfallen, sobald ich eine Frau geworden war. Das tat er allerdings nicht. So korrekt war er dann doch. Über diese Belästigung mit ihrem Sex in meiner Gegenwart konnte ich leider mit niemanden sprechen.  Die Pflegeeltern galten im Dorf und beim Jugendamt als gute Pflegeeltern. Ich hatte zu keinem Erwachsenen das Vertrauen darüber zu sprechen, und ich fürchtete, wenn ich es täte, man würde mir nicht glauben und ich müsste vielleicht weg gehen und ich würde zu einer anderen Pflegestelle geschickt, wo es mir vielleicht noch schlechter erginge. Zu der Verteidigung meiner Pflegeeltern könnte ich anführen, dass  die Wohnverhältnisse schon sehr beengt waren. Im Winter wurde nur ein Raum geheizt, die Wohnküche. Damit das elterliche Schlafzimmer etwas mitgeheizt wurde, ließ man die Tür etwas geöffnet, was wiederrum die Wirkung hatte, dass ich bei ihrem Sex mithören musste.  Aber auf der Heuwiese beim Heuen machten die beiden es nicht anders, da hätten sie Gelegenheit gehabt, etwas mehr Rücksicht auf mich zu nehmen. Mit meiner Pflegemutter kam ich gut zu recht, mich in die Arbeiten einzuschulen machte sie mit einem gewissen Geschick dazu. Sie hielt mich zur Sauberkeit an. Ich habe der Pflegemutter keine Schwierigkeiten gemacht, ich war folgsam und arbeitsam. Sie schien zufrieden zu sein, aber eine besondere Herzlichkeit hat sich zwischen uns nicht entwickelt. Sie wollte mit Sie angesprochen werden. Im Dorf sagte man ihr nach, sie hätte mich zu ihrer Magd gemacht. Solange ich ihr Verlangen ihr gegenüber gefügig zu sein akzeptierte, solange kam sie mit mir gut zu recht. Ich durfte mich mittlerweile daran gewöhnt haben, dass kaum jemand an mir interessiert war, sondern daran, was ich den anderen bringe. Mit vierzehn Jahren habe ich meiner Pflegemutter irgend etwas zurück geredet, was es war, erinnere ich mich leider nicht mehr. Ich war gerade dabei einen zirka fünf Meter langen Teppich aus zu schütteln,  kaum gesprochen versetzte sie mir einen Schlag und  ich flog samt dem Teppich bis zur gegenüber liegenden Wand. Seit dieser gewalttätigen Begebenheit habe ich immer zuerst überlegt, was ich sage.  Man hat mir öfters mit der Einweisung nach „Jagdberg“ gedroht. Jagdberg galt als Inbegriff von Strenge und Grausamkeit (siehe Seite 100, 187 und 198 des Buches Tatort Kinderheim von Hans Weiss). Eine andere Bauernfamilie auf dem Bildstock hielt sich ebenfalls ein Pflegekind. Ein Mädchen in meinem Alter. Es war nicht leicht, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Sie war sehr still und wirkte sehr verschlossen. Es kam mir zu Ohren, dass sie sehr viel arbeiten musste. Es wurde geredet, dass sie sofort, wenn sie von der Schule heim kam, mit Arbeit bis spät in den Abend zugedeckt worden war. Die Familie hatte zwei leibliche Töchter, die in dieselbe Schule gingen, aber einige Schulstufen voraus waren. Wenn sie von der Schule heim kamen, durften sie die Hausaufgabe machen und sie wurden nicht angetrieben schnell dabei zu sein. Sie hatten neben der Arbeit immer noch Zeit zum Spielen. Das Pflegemädchen hingegen sah man nie spielen. Es musste z.B. die Kühe auf die Weide führen und mit ihnen auf der Weide bleiben bis es dämmerte. Erst am Abend bekam es Gelegenheit, seine Schulaufgabe zu machen. Obwohl dem Mädchen niemand half, lernte es gut. Der Lehrer lobte die Schülerin mitunter. Das war aber schon alles, was sie an Anerkennung bekam. Die Leute sagten, die Familie hätte das Pflegekind bloß zur Arbeit genommen, man ließ ihm gerade noch Zeit zum Beten. Die Pflegeeltern genossen einen guten Ruf, weil ihre Kinder, auch das Pflegekind, immer gewaschen waren. Scheinbar genügte das auch dem Jugendamt. Ich fand damals, das Pflegekind hätte es übel erwischt. Für eine Geste der Solidarität mit ihr hatte ich nicht die Kraft. Ich fürchtete mich zu sehr. Wenn meine Pflegeeltern nicht mit mir zufrieden wären, könnte ich zur Strafe zu strengeren und gröberen Pflegeeltern überstellt werden  Oder gar nach Jagdberg, Deswegen bemühte ich mich, es meinen Pflegeeltern so gut wie nur möglich recht zu machen. Eines Tages ist ein Reisender zu meinen Pflegeeltern auf den Bauernhof gekommen und hat Stoffe verkauft. Die Pflegemutter hat bei dieser Gelegenheit Stoff für einen Mantel und einen Stoff für ein Sommerkleid für mich gekauft. Ich musste zur Schneiderin gehen und Maß nehmen lassen. Ein Mal ging ich dann noch zur Schneiderin, um den Mantel und das Kleid anzuprobieren. Eine Woche später durfte ich meinen neuen Mantel und mein neues Kleid freudig nach Hause holen. Ich habe meinen Mantel angezogen und der Pflegefamilie vorgeführt. Der Mantel hat uns allen gut gefallen. Die Pflegemutter hat auch mein neues  Kleid probiert. Das Kleid hat auch ihr gepasst, sie hat es als schön befunden und gleich für sich behalten. Das Kleid hätte auch mir gut gestanden, aber es wurde nichts damit. Ich machte nun auch mit ihr die Erfahrung, dass sie respektlos mit mir umging. Sie hat mich weder gefragt, ob ich ihr das Kleid abtreten wolle noch bat sie mich um Entschuldigung, dass das für mich angefertigte Kleid nun doch nicht mir, sondern ihr gehören sollte. Sie verlor darüber kein Wort. Eigentlich finanzierte ich ihr das Kleid, denn sie kassierte für mich vom Jugendamt. Mein leiblicher Vater zahlte Alimente ans Jugendamt. Außerdem leistete ich Heimarbeit ohne Bezahlung. Einmal war ein Zimmermann im Haus, der hatte fünf Kinder, aber seine Buben packten nicht so selbstständig an, wie er es bei mir erlebte. Ich würde wie ein Mann arbeiten, meinte er einmal zu mir gewandt. Das Jugendamt hat mich zwei Mal im Jahr zu sich bestellt und viel gefragt, wies es mir ginge, was ich arbeite, dabei kam zur Sprache, dass ich Heimarbeit für Gotteslohn im Namen der Pflegemutter verrichtete. Der Jugendamtsleiter kehrte mehr den Juristen hervor, ich hätte mehr Unterstützung gebraucht. Er rechnete nicht mit meiner Ängstlichkeit. Ich konnte deshalb die Gespräche für mich nicht nutzen. Der Chef vom Jugendamt vertrat die Meinung, dass mir die Heimarbeit bezahlt werden müsste. Es handelt sich schließlich um Erwerbsarbeit, für die die Bäuerin kassiert, als ob sie alles allein verrichtet hätte. Er meinte, ich sollte das gegenüber meinen Pflegeeltern beanspruchen. Ich wusste, das war eine heikle Angelegenheit. Da würde ich die beiden am  Nerv treffen. Er sprach nicht mit meinen Pflegeeltern. Ich fühlte mich nicht stark genug, die Bezahlung zu fordern, obwohl ich die Auffassung des Jugendamtsleiters teilte .Der Jugendamtsleiter sprach leider nicht mit meinen Pflegeeltern. Er hätte die Macht gehabt, etwas zu bewirken. Ich war zu eingeschüchtert um diesen Wunsch zu äußern. Ich hatte Angst, sie würden mich schikanieren und ich fände bei niemandem Unterstützung. Der Chef vom Jugendamt meinte dann auch, ich dürfte die Pflegeeltern verlasen, sobald es mir gefiele. Dann ergab es sich, dass eine mit den Pflegeeltern verwandte Mutter entbunden hatte. Die Familie schickte jemanden zu meinen Pflegeeltern um zu fragen, ob sie mich nicht haben könnte zur Betreuung der gerade entbundenen Mutter und den bereits fünf vorhandenen Kindern. Mir war wichtig, dass ich von den sexuellen Belästigungen durch unvermeidbares Zuschauen und Mithören  mich befreien konnte. Es tauchte ein junger Mann auf, dem ich gefallen habe. Er hatte ein Motorrad,  damals eine Besonderheit. Ich fuhr mit ihm ein paar Male mit, angreifen ließ ich mich nicht von ihm. Er schrieb mir einmal einen Brief. Auf einer Seite zählte ich siebzehn Fehler. Das war mir zu viel. Ich wollte einen gescheiteren Mann. Der junge Mann hat mir geholfen, dass ich von meinen Pflegeeltern weg kam, er hat mich zu meiner ersten bezahlten Arbeitsstelle vermittelt. Diese Arbeitsstelle war ein Restaurantbetrieb. Es gab dort viel Arbeit. Ich war dort Mädchen für alles. Dort lernte ich dann später meinen Mann kennen. Einer seiner Sätze zu mir war: Du arbeitest hier wie ein Vieh, du solltest von hier weg gehen, das macht dich noch kaputt. Ich wollte den „Fehler“ meiner Mutter nicht wiederholen. Mein Vater hatte meiner Mutter die Ehe versprochen, mich gezeugt und eine andere Frau geheiratet. So wurde aus meiner Mutter eine geprellte Frau und ich ein „lediges Kind“. Sexuelle Kontakte wollte ich erst zu lassen, nachdem wir geheiratet hatten. Mein Mann hatte dafür Verständnis und kam damit zu recht. Wir entwickelten daraus eine Beziehung, die lange hielt. Erst durch den Tod meines Mannes ging sie zu Ende. Mit vierzehn Jahren habe ich meiner Pflegemutter irgend etwas zurück geredet, was es war, erinnere ich mich leider nicht mehr. Ich war gerade dabei einen zirka fünf Meter langen Teppich aus zu schütteln,  kaum gesprochen versetzte sie mir einen gewaltigen Schlag und  ich flog samt dem Teppich bis zur gegenüber liegenden Wand. In meinem Umfeld sah ich niemanden, der mich vor Gewalt geschützt hätte. Seit dieser gewalttätigen Begebenheit habe ich immer zuerst überlegt, was ich sage.  An meiner Pflegestelle hat man mir öfters mit der Einweisung nach „Jagdberg“ gedroht. Jagdberg war ein Jugendheim, es galt als Inbegriff von Strenge und Grausamkeit. (siehe Seite 100, 187 und 198 des Buches Tatort Kinderheim von Hans Weiss).
Nachwort oder die MINUS Kinder
Als politische proletarische Gruppe können wir uns mit der Aufzeigung der Übelstände in den geistlich privaten und staatlich öffentlichen Kinder- und Jugendheimen nicht abfinden so nach dem Motto: So, gottseidank jetzt ist es endlich heraußen, jetzt ist Schluss mit dem Versteckspiel, Täter. Täterinstitutionen sind entlarvt, sie sind endlich gezwungen Stellung zu beziehen und sich zu rechtfertigen,  Auf was wir, GPR, verzichten können! Für uns  stellt sich die Frage: Und was nun? Für uns hat auch der späte Zeitpunkt der Enthüllungen politische Bedeutung. Frühere Enthüllungen durch  kritische Einzelpersonen und Gruppen, als der Skandal mit den Kindern und Jugendlichen noch im vollen Gange war, stießen auf taube Ohren sowohl in der öffentlichen Diskussion und erst recht bei den Vertretern aus Politik und Gesellschaft. Jetzt, nachdem nach dem geltenden Recht die Gewalttaten an den Kindern und Jugendlichen verjährt sind, die Zahl der den Eltern und Müttern weg genommen Kinder stark zurück geht, da die ungewollt geborenen Kinder stark abgenommen haben, da Alleinerziehen und Pageworkfamily anerkannte Formen kindlicher Aufzucht geworden sind, da die maschinell betriebene Landwirtschaft eher an überschüssigen als an mangelnden Händen leidet, jetzt ist plötzlich die Kinderfolter in den Heimen und bei der Jugend“wohl“fahrt ein Thema der öffentlichen Aufregung. Wir hegen den Verdacht, dass der Nutzen der Kinderschinderei für das Kapital der Quantität nach hierzulande obsolet geworden ist. Hans Weiss zitiert in seinem Buch Tatort Kinderheim den Historiker Michael John („Wegscheid“), der schätzt, dass zwischen 1945 und 1990 zirka 100 000 „ledige“ oder sonst aus einem Grund von der Jugendwohlfahrt den Müttern oder den Eltern abgenommene Kinder an die Landwirtschaft „verliehen“ wurden. Vor allem Pflegemädchen waren sehr gefährdet. Sie konnten von Glück reden, wenn sie nur als Arbeitssklavinnen ausgebeutet wurden. Viele von ihnen wurden auch als Sexsklavinnen benutzt – von Angehörigen der Pflegefamilie, Verwandten, Bekannten und Geistlichen. Die Missbrauchs- und Leidensgeschichte dieser Kinder ist überhaupt nicht erforscht. Die vom oberösterreichischem Landesrat an John in Auftrag gegebene Studie verschwand wirkungslos in der Schublade, „da der politische Widerstand“ gegen sie „zu stark“ war, so der zuständige Landesrat. Als politische Gruppe des Proletariats wollen wir den Kindern und Jugendlichen, an denen sich die bürgerliche Klassengewalt ausgetobt hatte, hier wenigstens ein bescheidenes  literarisches Denkmal setzen. Die Bauernwirtschaften profitierten doppelt , erstens durch die Zuweisung der kindlichen Arbeitskraft, ab zehn war es interessant, sie an die bäuerlichen Höfe zu überstellen, und zweitens durch die Überweisung der finanziellen Transferleistungen u.a. der Jugendwohlfahrt. Pflegegeld. Kinderbeihilfe. Die leiblichen Eltern wurden angehalten an die Jugendwohlfahrt für ihre Kinder zu zahlen, Geldsätze, die sich nach ihrem Einkommen richteten. Kein schlechtes Geschäft. Der Staat minimierte seine Erziehungskosten. Das Agrarkapital profitierte. Ein gutes Geschäft machten auch die geistlichen Orden mit den von ihnen getragenen Kinder- und Jugendheimen. Die meist proletarischen Eltern subventionierten mit den ihnen von Staats wegen abgenommenen Beiträgen Orden und Klöster. Was noch fehlte, „durfte“ der überwiegend proletarische Steuerzahler nachschießen. Orden hatten mit staatlicher Duldung noch die Frechheit, die ihnen von der öffentlichen Fürsorge zugespielten Kinder in ein Zwangsarbeitsjoch zu spannen. Z.B. Die Ordensfrauen vom guten Hirten in Wiener Neudorf betrieben u a, eine Lohnwäscherei, ließen die quasi inhaftierten Mädchen die Arbeit tun, kassierten die Kunden ab und reichten keinen Lohn an die Arbeiterinnen weiter. Das Innenministerium leistete zumindest nach einer noch vorhandenen Liste an den Orden monatlich fünf Tausend Schilling, die als Taschengelder an die angehaltenen „Erziehungsbedürftigen“ ab dem fünfzehnten Lebensjahr vorgesehen waren, nur der Orden verteilte nichts an die zwangsarbeitenden Mädchen. Keine Behörde fragte nach und überprüfte den Geldfluss. Die ausgebeuteten Mädchen hörte keiner an. Wenn sie einmal das Risiko eingingen, den Mund aufzumachen, wurde er ihnen bald wieder gestopft. Der Orden, der das Jungmädchenheim St. Martin in Tirol leitete, ließ die inhaftierten Mädchen die Soldatenuniformen der in Absam liegenden Kaserne waschen, kassierte die Honorare des Vereidigungsministeriums und ließ die Mädchen und jungen Frauen leer ausgehen. Für die Firma Swarowski wurde Zwangsarbeit erledigt. Swarowski und Land Tirol: Wir haben darüber keine Akten.Die Mädchen wurden auch nach außen als Haushaltskräfte verliehen. Ohne Lohn. Für sie. Die Kunden in Uniform ließen sich auch sexuell bedienen. Eine Erzieherin zwang die Mädchen zum Sex mit Offizieren (Seite 98, H. Weiss, Kinderheim).
„Unsere Beschützer von Frauen und Kindern“ sind so harmlos nicht. Wir Proletarier haben überhaupt keinen Grund sie zu wollen. Sie kosten uns und sie  bedrohen uns. Ihr umfassendes Recht Revolver und Munition bei sich zu tragen verwandelt sich im  Kriegs- und Bürgerkriegsfall zum sich betätigenden Urteils- und Exekutionsgericht gegen uns, wenn wir nicht genug gehorchen. Auch in den demokratischten Nationen.


Ihre Schwüre sind keine Freude für uns Proletarier. Sie kosten uns in letzter Konsequenz Leben.

Es wurden nicht nur keine Löhne gezahlt, es wurden auch keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt, der Staat sah zu, die ausgebeuteten jungen Frauen haben das Nachsehen - mit Folgen bis zu ihrem Lebensende. Dieser Unrechtszustand – so die Rechtsgelehrten – ist nicht mehr sanierbar, obwohl das zusammen “geraubte“(da der Staat zusah, war es kein Raub) Vermögen der Orden nach wie vor besteht, auf das man zurückgreifen könnte. Verjährung lautet das Totschlagargument. Übrigens, der Staat leitet jährlich Milliarden von dem dem Proletariat über die Massensteuern abgenommenen Finanzreichtum überwiegend an die katholische Kirche als Ausfluss des Konkordats weiter, das hier zitierte „Kleingeld“ darf man als Körberlgeld betrachten, das der Staat den Kirchen und ihren Orden über die Nutzung der Heimkinder zukommen hat lassen und lässt. Für uns sind auch die Kirchen und die Orden kapitalistische Betriebe, die obendrein noch besondere Ausbeutungsprivilegien von Staats wegen genießen. Der Staat überweist an den überwiegend (70%) proletarischen Steuerzahlern vorbei – weder der Staat noch die Kirchen veröffentlichen die Geldflüsse - an die Kirchen und Orden in Summe an die 4 Milliarden Euro jährliche Staatsleistungen, Krankenkassenleistungen, Personalkosten, Gebäudeerrichtungs-  und -erhaltungskosten,  Kulturförderung sowie Entschädigungen für in der Nazizeit erlittene Vermögensnachteile. Obwohl der Staat durch seine Leistungen faktisch die konfessionellen Schulen finanziert, dürfen sie bei den Eltern auch noch Schulgeld einheben. Die Kirchen sind ein rechtseigener Raum. Sie entscheiden selbst, worüber sie entschieden. Der Staat zahlt, die Kirchen schaffen an. Gegenüber ihrem Personal nach selbst bestimmten Gutdünken (YouTube, Carsten Frerk, Christian Oberhuber, Gott hilft wir zahlen). Die Medien schauen überwiegend weg, der demokratische Journalismus übt mit seltenen Ausnahmen seine von ihm vorgegebene Kontrollfunktion nicht aus. Genauso die Behindertenorganisationen. Hans Weiss streift das Thema an, dass die geistig Behinderten ganz besonders dem überwiegend kirchlichen Erziehungsterror ausgesetzt sind. Sie können nicht für sich sprechen. Das nützen ihre Ausbeuter aus. Das kommt einer Verurteilung zur bedingungslosen Auslieferung auf Lebenszeit gleich. Wo schauen ihre demokratischen Vertreter hin!? Nicht in das Innere der kirchlichen Einrichtungen. Die kirchlichen Einrichtungen beuten behinderte Arbeiterinnen und Arbeiter aus, die nach einer Einübungsphase von ausreichender Länge oft die volle Leistung erbringen, ohne dass sie tariflich entlohnt und für sie die Sozialbeiträge abgeführt werden. Der aus den Armen gezogene Gewinn wird hinter der Phrase von an ihnen geübter christlicher Nächstenliebe verbrämt. Wie überhaupt der monastische Erziehungsterror im Namen der Verteidigung der göttlichen Ordnung ausgeübt wird. Wir dürfen davon ausgehen, wer seine Ansprüche an uns religiös verkleidet, will Macht über uns. Wenn die katholische Kirchenführung unter die Bedrängnis der Kritik kommt, die ans Tageslicht gelangten Kindermissbrauchsfälle und deren Vertuschungen, die sklavenähnliche Heimkind- und Jugendhaltung, die politischen Hilfestellungen für die Faschismen, die kritischen Untersuchungen der Finanzflüsse in die Kassen der Kirchen, der beleidigende Umgang mit den Frauen, mit den Geschiedenen, die katholische Kirche als diskriminierender Arbeit“geber“ gegenüber den Un- oder Andersgläubigen, die Verweigerung von Transparenz in Vermögensfragen und von Partnerschaft mit den gläubigen Laien, der „Reformstau“ usw. bedrängen den Episkopat (Kirchenoberen). Was ist seine Antwort? Für uns nicht überraschend. Er wird immer frömmer. Von Wojtyla zu Ratzinger, gibt es noch eine Steigerung!? Der Episkopat antwortete mit einer spirituellen Offensive. Reevangelisierung. Das „spirituelle“ Zentrum Rom hat noch immer mit Spiritualität und Frömmigkeit seine Machtinteressen und -politik getarnt. Es ist seine Hauptwaffe gegen Kritik und Infragestellung seiner Macht. Transparenz ist unmöglich. Die Doppelmoral ist für den Episkopat konstitutiv. - Wir wollen Reform!- Der Episkopat schießt zurück. An die Unzufriedenheit äußernden internen Kirchenkritiker und Gläubigen: - Ihr interessiert euch zu sehr für das Profane, ihr hängt zu sehr am irdisch Nichtigen!- Wir sagten, der nächste Papst wird noch frömmer. Die Wahl des neuen Papstes bestätigt uns in unserer Analyse. Er ist ein Jesuit, die Jesuiten waren die Armee Gotts in der Gegenreformation und die war bekanntlich blutig. Er sagt, die Welt ist des Teufels, er schlüpft in die Gestalt Jesu, er ruft dazu auf, sich mit Jesus unter das Kreuz zu begeben. Er schlüpft in die Hülle des Hl. Franziskus, gibt es eine bessere Tarnung für die irdischen Interessen der Kirche? Er ist spirituell und fromm, er will der Papst der Armen sein, die Kirche, eine Kirche der Armen. Eines ist sicher, kein Dollar wird aus dem Geldsack der Kirche an die Armen gehen. Der Mann versteht sein politisches Handwerk. Ob aus politischem Kalkül oder aus politischem Instinkt kann uns wurst sein. Die Kirche der größte private Immobilienbesitzer der Welt, die Kirche, die Kirche der Armen! Wenn die reiche Kirche das sagt, frisst man es, wenn etwa GM das sagen würde, wäre es peinlich. Der Episkopat verwandelt den religiösen Mythos in Kapital. Er schwächt geschickt die Kritik an der Kirche und lenkt die Aufmerksamkeit von ihrem Reichtum, und wie sie ihn zusammenrafft, ab.- Die Kirche ist ein Ort der Spiritualität, die Fülle der christlichen Spiritualität erschließt sich nur dem, der betet und glaubt, es fehlt euch an Begabung für den Glauben! Fordert nicht, sondern betet und ihr werdet reich beschenkt mit der Gabe des Herrn! Das ist es, wozu wir euch einladen.- Ist ja gut, und wir wollen eine demokratische, transparente, menschenfreundliche Kirche!- Der „Dialog“ unterliegt einem Missverständnis. Dem Fischkopf der Kirche geht‘s um soziale Privilegien und Macht zu deren Absicherung. Der Basis um eine spirituelle Heimat. Franziskus I. spricht schon in seiner ersten Predigt die Unbeheimateten in dieser Welt an. Er bietet ihnen eine spirituelle Heimat an, die Heimat in der Kirche. Er sagt nicht, er wolle dafür kämpfen, dass die Unbeheimateten dieser Welt eine materielle  und eine soziale Behausung in einer menschengerechten Gesellschaft bekommen, nein, er antwortet auf die Sehnsucht der Menschen nach Geborgenheit in der Gesellschaft mit der Aussicht auf eine spirituelle Heimat in der Kirche und bei Gott, er bietet verstärkt Spiritualität und Frömmigkeit an und beschämt die im Irdischen Verhafteten. Die fordernde Basis soll mit den eigenen Waffen geschlagen werden… Die Religion überhaupt und der Kapitalismus scheint eine kongeniale Partnerschaft eingegangen zu sein. Schauen wir uns die Bauern an. Als sie sich aus der Umklammerung durch den Feudalismus lösten, gerieten sie in einen scharfen Gegensatz zu der katholischen Kirche. Die Transsubstantiation (Dogma von der Verwandlung der teigigen Hostie in den wahren Leib Christi) war die Klinge über die die Gegenreformation die Bauern hat springen lassen. Wer diesen den Verstand vergewaltigenden  Wahnsinn akzeptierte, durfte das Leben behalten, die übrigen mussten dran glauben. Die Akzeptanz der Transsubstantiation wurde zum Kriterium für die Anerkenntnis der Kapitulation, wer sie ablehnte verriet, dass er seinen Nacken nicht beugte, er büßte mit seinem Leben. Heute unterstützt das Christentum das Bauernkapital bei der Ausbeutung von sozial diskriminierten Kinderhänden.Das ist den Bauern wohl eine Messe wert.
Das Privileg der Berufung auf Gott hatten die weltlichen Erziehungstäter nicht, aber das brachte sie nicht wirklich in Verlegenheit. Es bestand bestes Einvernehmen zwischen den erziehenden Orden und der staatlichen Kinderverwaltung. Die Institutionen reichten ihre „schwierigen“ Kinder weiter in einer Straße der Eskalation des gegen sie ausgeübten Terrors, an dessen Ende die Psychiatrie,“die Kinderheilkunde“, standen, an denen neben allen bisherigen Foltermethoden noch pharmazeutische Zwangsbehandlung und Experimente an Heimkindern und Jugendlichen als Mittel der Medikamentenerprobung, Disziplinierung bis hin zur Persönlichkeitsbeschädigung angewendet wurden.

Wie schutzlos Kinder sein können, wenn…


 Massenvergewaltigungen, Demütigungen, Missbrauch und Gewalt waren in dem Kinderheim Schloss Wilhelminenberg Wien offenbar an der Tagesordnung



Ausgeburten der stalinistischen Konterrevolution: In  den Kinder- und Jugendwerkhöfen der DDR wurde mit denselben pädagogischen Kriterium wie im Westen erzogen: Anpassung und Unterordnung der eigenen Bedürfnisse bis zur Selbstaufgabe, seelische Kälte, Demütigung, Attacken auf den Selbstwert, Brechen des Widerstandes gegen die Ansprüche der Erziehung, statt Ausmerzung der „Sünde“ wider die Tugend Ausmerzung des Hasses auf den „Sozialismus“  Von San Franzisco bis San Franzisco rundum die Welt derselbe Erziehungsterror. Dem Proletariat muss es reichen, damit die Welt eine andere wird.
 
Wohl auch Geld vonseiten der Pharmaindustrie an die  Ärzte waren im Spiel. In den Behandlungs- und Umgangsformen der Ärztinnen und Ärzte der Kinderpsychiatrie darf man annehmen, dass die Klassenverachtung der sozial triumphierenden “Oberschicht“ gegen den schwächsten und ungeschütztesten Teile der sozial unterlegenen Klasse in den sadistischen Praktiken einen Ausdruck fand. Verwahrlosungsfolgen wie Bettnässen,…wurden mit Kaltwasserduschen „behandelt“. Verachtung auch für die gelebten Formen von Sexualität der inhaftierten, emotional unterversorten Kinder und Jugendlichen.  Onanie wurde als Krankheit gesehen, der man z.B. mit Hormonpräparaten aus der Tiermedizin (Epiphysan) und mit Elektroschocks an den Hoden begegnete. Hodenschrumpfung und Unfruchtbarkeit waren oft die Folge. Auch radioaktive Bestrahlung wurde angewandt. Besonders stechen die Psychiater Dr. Novak-Vogel in der Kinderbeobachtungsstation Innsbruck, Dr. Rett,  Dr. Spiel, Dr. Hoff, Dr. Asperger, Dr. Kryspin-Exner, Dr. Gross (SPÖ), Dr. Ringel, Dr. Wurst hervor (Seite 69 ff, H.Weiss, Kinderheim). Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken, gilt auch für die Psychiatrie. Auch das SOS-Kinderdorf spielte der Kinderbeobachtungsstelle Dr. Nowak-Vogl Opfer zu. Aufarbeitung? Schikanen! Lassen wir uns nicht täuschen, die Psychiatrie tat sich schon im I.WK als medizinisch verbrämtes bürgerliches Herrschaftsmittel hervor, mit deren Foltermethoden Rekruten und Soldaten mit „Symptomen“ an die Front getrieben wurden. Wenn wir es sachlich höflich formulieren, sagen wir, die bürgerliche Psychiatrie geht nicht von den Bedürfnissen der Hilfe erwartenden Menschen, sondern von den Bedürfnissen der bürgerlichen Gesellschaft aus.
Dass auch die Kinder der Mittelschicht Opfer von brutaler Erziehungsgewalt wurden und werden, beweisen die Foltermethoden gegen die Zöglinge der geistlichen Internate , die wir hier nicht übersehen wollen, z.B. in den Klöstern Mehrerau, Kremsmünster, Admont, im bayrischen Ettal,….

 Kloster Ettal "Der absolute Terror" –


Missbrauchsopfer klagt Mehrerau


Stift Kremsmünster,O.Ö.
Mittlerweile haben sich ca. 50 Opfer gemeldet, deren Vorwürfe sich gegen bislang 13 Personen aus dem Kloster richten (O.Ö.Nachrichten).
Stiftsleitung von Kremsmünster schützte pädophilen Mitbruder. Man sei schockiert, Konkretes habe man aber nicht gewusst: Die Verteidigungslinie des Stifts Kremsmünster ist klar definiert - Polizeiliche Akten belegen aber gezielte Vertuschung, Vergangene Woche war es wieder einmal Zeit für die bekannte Rechtfertigung. Der 1200 Seiten starke Gerichtsakt der Staatsanwaltschaft Steyr gelangte an die Öffentlichkeit und offenbart ein Bild des Schreckens. Bis in die 1990er-Jahre soll es im Internat des Stiftsgymnasiums Kremsmünster sexuellen Missbrauch und Gewalt gegeben haben (derStandard.at). Für den Kampf gegen die missbrauchten Zöglinge wurde der alte Abt durch einen neuen ersetzt, ein Wechsel vom Bedauernden zum Kämpferischen.


Im Konvikt des Stiftes Admont kam es zu sexuellen und gewalttätigen Übergriffen. Drei Jahre weigerte sich die Klasnic-Kommission, die Misshandlungen einzugestehen.

Groer missbrauchte sexuell Zöglinge und behielt die Kardinalswürde bis zu seinem Tod
Die geistlichen Internate in den Städten wurden von H. Weiss nicht untersucht, vom Hörensagen her kennen wir auch hier Beispiele von Misshandlungen und Missbrauch. Obwohl die Geheimhalteblase um die pädagogischen Foltermethoden, an denen die kirchennahen Institutionen eher überdurchschnittlich beteiligt waren, im Zuge der journalistischen Missbrauchsenthüllungen geplatzt zu sein scheint, scheint der soziale Bonus zugunsten der geistlichen Erziehungseinrichtungen im Kern unbeschädigt geblieben zu sein. Von einer Krise bei den  Anmeldeziffern zu den Schulen und Internaten der katholischen Kirche und ihrer Institutionen sickerte bisher nichts durch. Sie werden sich natürlich hüten sie breit zu treten. Das Kloster Kremsmünster hat angeblich sein Knabeninternat gegenüber Neuaufnahmen geschlossen. Die Klosterführung betont, bei der Entscheidung für die Schließung des Konvikts hätte der in die Öffentlichkeit gelangte Missbrauchsskandal keine Rolle gespielt. Lügen ist für die Kirchenuntertanen verboten nicht für die Leitungen. Aus diesen abgeschotteten Einrichtungen dringt nur Wissen nach außen, wenn Insider gegenüber Personen und Medien, die zuhören wollen, auspacken. Gerade für die Landbevölkerung sind die Internate besonders wichtig, da es in der Nähe oft keine Alternative zu ihnen gibt, wenn die Kinder eine höhere Schule besuchen wollen oder sollen. Der Staat rechnet scheinbar mit den Orden und umgekehrt. Bei dem guten Einvernehmen zwischen dem Staat und der Kirche dürfen wir davon ausgehen, dass der Staat den Orden keine Konkurrenzinternate vor die Tür setzt. Es gibt oft keine Alternative zu den geistlichen Orden. Eltern, das ist besonders perfide, spielen oft das Spiel der kirchlichen Institutionen – gegen ihre Kinder. Der Klassengraben bildet sich in manchen Familien im Interessenskampf zwischen den erziehenden Eltern und den ihrer Erziehung unterworfenen Kindern aus. Es sieht mitunter nach beinharter Erziehungsarbeit aus, die Eltern leisten oder glauben leisten zu müssen, bis ihren Sprösslingen die unhinterfragten sozialen Tugenden der bürgerlichen Gesellschaft in Seele und Kopf gedrückt sind, bis ihre natürlichen Regungen, natürlichen Impulse, ihre natürlichen Bedürfnisse und spontanen Lebensäußerungen verbogen, verdreht oder gar erstickt sind. Dieser Erziehung ist die Spontaneität des Kindes nur Quelle eines permanenten Ärgernisses, was ausgerottet werden muss. Eine Maturantin einer Klosterschule in Wien Döbling, sie war dort auch im Internat, ließ uns wissen, die erziehenden Klosterfrauen mahnten die Schülerinnen zur Ordnung und Reinlichkeit mit dem Argument, sie würden diese Tugenden gut in den Familien gebrauchen, wenn sie heirateten, und kein anständiger Mann würde sie wollen wenn sie nicht ordentlich und reinlich wären. Die Schülerinnen würden in die gute Haushaltsführung eingeübt, wurde vorgegeben, indem sie die Internatsräumlichkeiten nach einem Dienstplan regelmäßig inklusive Weihnachts- und Osterputz reinigten. Für die Reinigung des Klostergartens erfanden die Klosterfrauen das „Schulfach“ Gartenpflege. Der Staat, der dies kontrollierte? Nirgendwo!  Reinigen eine Aufgabe für die den Herrn untertänigen Weibchen? Offenbar ja. Die Klosterfrauen zählten sich selbst sichtlich zu den Herrenfrauen. Sie selbst putzten nicht. Wenn man ein solches Weltbild von der Geschlechterbeziehung hat, von der man auch noch glaubt, dass sie gottgewollt so ist, erscheint es christlichen Frauen mitunter als das geringere Übel, ins Kloster zu gehen. Dieser Moralvortrag von den Hausaufgaben einer Ehefrau hat sich für die Klosterführung „nebstbei“ auch noch gut gerechnet. Sie ersparten sich das zu zahlende Reinigungspersonal. Die Eltern zahlten nichts desto weniger ein hohes Schul- und Internatsgeld. Unserer Informantin fiel der Widerspruch auf, aber Kritik hätte sie nie, auch bei ihren Eltern wär sie auf Unverständnis gestoßen, äußern können, das hätte ihren Verbleib in Schule und Internat gefährdet. Couchen als Voraussetzung, dass man zur Matura kam. Wem Zweifel und Kritik an dieser Welt kamen, dessen Herz und Verstand muss falsch liegen. Die Direktorin hatte schnell einmal die Telefonnummer zum Hauspsychiater zur Hand. In den klösterlichen Einrichtungen dürfte besonders exzessiv das makabre „Spiel“ der Entsolidarisierung unter den Zöglingen gespielt worden sein. Ältere Jahrgänge hatten quasi das Prügelrecht gegenüber den jüngeren Jahrgängen. Verpetzen bei den Erziehern galt als unkameradschaftlich. Es wurde sowohl von den Erziehern als auch von den Mitschülern geahndet. Die seltenen Fälle von Solidarisierung unter  den Schülern waren immer sehr wirkungsvoll. Die Schüler werden von der bürgerlichen Gesellschaft allein gelassen in ihrem Widerstand gegen die Zumutungen der Heim-und Internatserziehung. Für uns ist der Staat der organisierte Ausdruck der bürgerlichen Gesellschaft. Die Schüler der geistlichen Internate werden auch ideologisch von einem besonders konservativen, reaktionären, rechtslastigen Geist eingekreist. Die Klassengesellschaft wird ihnen als das Natürlichste von der Welt präsentiert. Die Klöster rekrutieren meistens unter den Schülern ihrer Gymnasien ihren eigenen geistlichen Nachwuchs. Sie lassen in ihren Schulen nur Schüler mit dem entsprechenden religiösen Bekenntnis zu, ein Religionsaustritt hätte zur Folge, dass der Schüler das Gymnasium verlassen müsste, obwohl der Staat zu hundert Prozent die Schule finanziert. Die Schüler treten den christlichen Studentenverbindungen (CV) bei. Weigert sich ein Schüler, fällt er negativ auf. Die Studentenverbindungen setzen ihre Mitglieder auf eine Karriereschine, die Studentenverbindungen liefern ihr Vitamin P für einen guten Fortgang in der Berufslaufbahn, solange man bei der Stange bleibt. Man lernt nicht das soziale Hackordnungssystem zu hinterfragen, sondern es zu nutzen, sodass man möglichst auf die Gewinnseite fällt.

Mit dem CV immer auf der richtigen Seite. Die akademische „Klasse“ verteidigt ihre soziale Stellung möglichst durch biologische Reproduktion ihrer selbst. Der von ihr gepflegte Antisemitismus als Abhilfe gegen zudringliche Konkurrenz. Hier mit Kaiser Franz Josef I. am 14.9.1913 bei der Grundsteinlegung für die Eucharistische Gedächtniskirche in Wien Brigittenau. Dieses Bild ist das einzig bekannte, das den Kaiser mit Chargierten zeigt (http://oecv.mursoft.at/Home/Verband/4)
Wenn die bürgerliche Gesellschaft aktiv wird, dann gegen die Widerstandsinitiativen der Heimkinder und Jugendlichen. Sogar mit dem Einsatz von Schusswaffen, wie „Kaiser-Ebersdorf“ zeigt, und mit den Mittel staatlicher Verfolgung, wie der Überfall auf die Gruppe „Spartakus“ zeigt. Wir wollen die Rolle des lauteren Journalismus nicht übersehen, der in das Innenleben der Heime und Internate hinein zuschauen und der Öffentlichkeit zu berichten versucht, was er recherchiert hat. Man sieht, wie begrenzt das Mittel des Journalismus in der unterstützenden Wirkung für die Schüler und Zöglinge ist, wenn er sich zufrieden gibt mit den Behinderungen, die die Täterorganisationen den Kontrollversuchen entgegenstellen. Was vermag der Journalismus überhaupt? Ganz krass das Land Kärnten. Es verweigert alles. Den Opfern und ihren Anwälten die Akteneinsicht. Die Datenauskunft ebenso. Das ist scheinbar demokratiekonform. Wer soll da noch prüfen! Das kratzt weder die Justiz, noch die Parlamente und Landtage. Was hat die Katholische Kirche etwa im „Zusatzprotokoll“ zum Konkordat der bürgerlichen Gesellschaft gegeben, dass sie so konziliant zur Katholischen Kirche und zur Religion überhaupt geworden ist? Seit die Sozialdemokratie jedes Futzerl proletarischen Interesses und Lebens aus sich verbannt hat, stimmt sie in den Chor mit den konservativen Parteien ein, die den Lobgesang der Freundschaft mit der christlichen Religion gar nicht laut genug singen, die Spendierhosen gar nicht tief genug runter lassen können und den staatlichen Schutz für die Kirchen oft durch Wegschauen, Anzeigen abwimmeln und Nichthandeln so großzügig gewähren, dass die Unmenschlichkeit hinter Klostermauern unbehelligt ihre Blüten treiben kann?! Die unbeantworteten Fragen sind oft die besten. Wir können aber der Versuchung nicht widerstehen, doch… Sicher, man müsste in das „Zusatzprotokoll  (dieses Protokoll ist für uns eine politische Realität, es muss es nicht faktisch geben). Zusatzprotokolle sind von besonderer Brisanz. So soll im Zusatzprotokoll vom Vertrag von Lissabon die Todesstrafe fröhliche Urständ feiern dürfen,… aber nur gegen Arbeiter (in die politische Sprache übersetzt … denn nur ein ausgedehnter proletarischer Kampf…), die die EU bedrohen. Auch ohne ein faktisches geheimes Zusatzprotokoll liegen die politischen Gaben auf der Hand. Die christliche Religion legt eine Nibelungentreue an Solidarität und Kampfbereitschaft für das Kapital an den Tag, die an Verlässlichkeit nicht zu übertreffen ist (spanischer Bürgerkrieg,  Beitrag bei den historischen Niederlagen der Arbeiter in ihren sozialen Kämpfen, zum Sieg des Faschismus, der der kapitalistischen Gesellschaft  Milliarden v.a. an die katholische Kirche wert war, Beitrag bei der Aufrechterhaltung der militärischen Disziplin durch Beeinflussung der christlichen Arbeiter im Waffenrock, …) Das Kapital kann auf die Kirchen zählen, v.a. die Katholische Kirche ist eine mächtige Fraktion des Kapitals. Ihre durchgezogene hierarchische Struktur kommt dem Kapital sehr entgegen. Wie das Khomeini-Regime in Persien zeigt, stellt die „Kirche“ quasi über Nacht eine Ersatzregierung auf die Beine, wenn der Staat in Auflösung begriffen ist. Die Kirchenhierarchie ist quasi eine Ersatzriege für die kapitalistische Machtausübung. Spanien und Österreich geben Beispiele ab, wie die Kirche für die kapitalistische Diktatur in die Presche springt. Dass sich Christentum und Antisemitismus gut miteinander vertragen, bewies der Aufstieg des Faschismus in den allerchristlichsten Ländern. Im katholischen Österreich fand die deutsche NSDAP es für nötig zügelnd und steuernd ein zu greifen, weil die Hetze auf die jüdische Bevölkerung und ihr Eigentum besonders freudig und überbordend aufgegriffen wurde. . Es passt zur katholischen Pädagogik, dass sie für psychische und physische Abhärtung v .a. der männlichen Kinder eintritt. Wozu braucht die Nation den Armeeparas, solange die Nation die exzellenten geistlichen Internate zur Einübung der gnadenlosen Herrscher- und kuschenden Unterwerfungstugend hat! Eine tolle Tarneinrichtung für die Eintrichterung der Mitleidlosigkeit gegen die „Schwächeren“, gegen die Verletztlichen und Unterlegenen und des Kadavergehorsams gegenüber der Führung. Das „Fertigmachen“ stand sowohl bei den Erziehern als auch bei den Mitschülern, soweit sie das Oberwasser hatten, hoch im Kurs. Schlimm für ihn war, wenn ein Schüler in die Rolle des Watschenmannes geriet. So mancher von ihnen machte Selbstmord. Diese Todesart wurde oftmals vertuscht. Wer weinte wurde verspottet. Hitlers Spruch Hunde wollt ihr ewig leben führt kein Einzeldasein. Ein Exzögling von Mehrerau: Falschheit, Psychoterror, Mobbing, Scheinheiligkeit, sexuelle Übergriffe, erlebte Ohnmacht, Gleichgültigkeit, Inkompetenz, Prügel und Kälte. Nicht immer die Besten schafften es bis zur Matura, aber fast immer die Angepassten, Opportunisten und Leidensfähigen, … Kinder können da nicht hin wollen. Aber wenn sie wieder herauskommen haben sie nach der pädagogischen Intention der Erzieher hoffentlich die Rollenschemata gelernt. Entweder oben oder unten sein in der Hühnerhofgesellschaft. Noch immer gilt: bei den Mönchen und Nonnen lernen die Kinder was, weil sie streng sind. Der Volksmund ist resistent gegenüber der Aufklärung durch die Tatsachen. Die Propaganda für den geistlichen Stand ist so umfassend und allgegenwärtig, dass ans Tageslicht gebrachte Missstände der geistlichen Erziehungstäterschaft eigentlich nicht wirklich viel dagegen ausrichten. Das Erziehungsziel muss in der kapitalistischen Gesellschaft voraus determiniert sein. Es kann nicht den Anlagen des Kindes überlassen werden, wohin es sich entwickelt. Der pädagogische Pessimismus, der besagt, dass Strafe das bessere und sicherere Erziehungsmittel ist, um bei der erwarteten Leistung des zu Erziehenden anzukommen, ist in der bürgerlichen Gesellschaft unausrottbar. Er spottet dem pädagogischen Optimismus Hohn, der besagt, Anreize zur Entwicklung sind der bessere Weg, als Elternteil usw. ist man Partner der Entwicklung, man gibt Orientierung, man hört hin, was das Kind braucht, vertraut auf das Kind, dass es seine Interessen kennen lernt und seinen Weg einschlägt, es ist gut auch von den Kindern zu lernen, freilich weiß man dann nicht gleich und nicht immer wohin die Entwicklung geht, wahrscheinlich  nicht zum gehorsamen Trottel, sondern zum kreativen und selbstbestimmten Menschen. Will diese Gesellschaft da überhaupt hin, kann sich diese Gesellschaft überhaupt den Luxus leisten, uns selbstbewusst ziehen zu lassen? Sicher ist, dass alle „Leistungsgesellschaften“ von den demokratischten bis hin zu den totalitärsten auf Zwang und Strafe gegen die ArbeiterInnen von der Schule bis zum Arbeitsplatz setzten und setzen.  Arbeiterinnen und Arbeiter, wer in den als Kinderheime getarnten Schinderlagern geschändet und verhökert wird, sind die ärmsten unserer Klasse! Es sollte uns die Zornesröte ins Gesicht schießen und wir sollten den sozialen Kampf für sie aufnehmen, wo immer er möglich ist! Niemand schützt unsere Kinder und uns selbst, wenn nicht wir selbst. Auf der Grundlage unserer Klassensolidarität. Einzig auf dieser. Und nicht auf der Grundlage klassenübergreifender Organisierung. Unter dieser geben wir die Führung an die Bourgeoisie ab. Die real“sozialistischen“ Regime unterwarfen das Proletariat der stofflichen und politischen Rechnung des Kapitals. Die abweichenden Besonderheiten sind unwesentlich.
Die bürgerliche Gesellschaft kann offenbar gut damit leben, dass Zigtausende Kinder im viel zu frühen Alter in den Familien als Pflegepersonal für ihre pflegebedürftigen Eltern oder Großeltern missbraucht werden. Nicht nur in den peripheren sogenannten armen Ländern, sondern  auch in den sogenannten reichen Ländern. Es wird zur Kenntnis genommen, dass diese Kinder mit einer ständigen Überforderung und der Opferung ihre  Kindheit zu Recht kommen müssen.
Anführen möchten wir noch die politische Erfahrung, die die Intervention der Gruppe „Spartakus“ in den Siebzigerjahren gebracht hat. Gruppe Spartakus machte auf die psychischen und physischen Massaker in den Kinder- und Jugendheimen und Kinderpsychiatrien aufmerksam, sie rief die Heimkinder und Heimjugendlichen auf, die Folterburgen wo immer möglich zu verlassen und gewährte den Entflohenen Unterschlupf wo nur möglich. Sie hörten als seltene Ausnahme den Entflohenen zu und berichteten in ihrer Presse darüber. Die politische Führungsspitze der Demokratie organisierte gemäß ihrer demokratischen Schlauheit eine Enquete zur Untersuchung und Behebung der Vorwürfe. Sie ließ im Wiener Rathaus eine Täterversammlung mit den führenden Köpfen u. a. dem berüchtigten Psychiater Dr. Spiel, von dem bekannt war, dass er - sicher gegen Geld der Pharmaindustrie – Medikamentenexperimente an Heimkindern vollzog, zusammen kommen. Daraus sieht man, wem die politische Führung vertraut. Die Gruppe Spartakus sprengte die illustre Expertenversammlung mit Hilfe der Heimflüchtlinge und drehte die Enquete der Täter und Vertuscher in eine Kundgebung der Opfer um, in der die Opfer über ihre Leiden zu Wort kamen. Das war der demokratischen Obrigkeit zu viel. Sie schickte die Polizei aus, um die Mitglieder von Spartakus und ihre Gäste zu inhaftieren und abzuurteilen. Diese konnten sich nur durch Flucht ins Ausland vor dieser demokratischen Behandlung retten. Wenn die Arbeiterklasse nicht für ihre Angelegenheit zu mobilisieren ist, haben die Mitglieder von Spartakus ihren politischen Handlungsspielraum, der dann noch bleibt, mit ihrer Aktion eigentlich voll ausgereizt. Wie sich doch die Bourgeoisien gleichen. Nach dem Aufkommen der beinah unübersehbaren Missbrauchsfälle in den deutschen Kinder- und Jugendheimen der katholischen und der evangelischen Kirche und dem Sturm darüber in den Medien reagierten die Trägerorganisationen auf Anstoß des Bundestages mit einem Runden Tisch von einigen Dutzend Vertretern.



Foto: dpa  Die erste Sitzung "Runder Tisch Heimkinder" zur Aufarbeitung des Unrechts in deutschen Kinderheimen der frühen Bundesrepublik fand im Februar im Bundestag statt. Nun ist wissenschaftlich belegt, dass in deutschen Kinderheimen in den 50er- und 60er-Jahren Prügel, brachiale Erziehungsmethoden und Zwangsarbeit systematisch vorherrschten. Auch sexuelle Übergriffe waren nicht selten. Ein runder Tisch der Regierung zur Aufarbeitung der Heimerziehung berät jetzt über eine Wiedergutmachung

Sie berieten, berieten, … und was kommt heraus, wenn die Täter beraten – natürlich: nichts. Keine finanziellen Entschädigungen für die Tausende von Opfern, die sich gemeldet hatten, sondern Sachentschädigungen, nur gegen individuellen! Antrag!, also eventuelle Pflegebereitstellungen und Therapien nach eingehender Prüfung der Anträge, Die Opfer schäumten vor Wut. Keines kam in der illustren Runde zu Wort! Der Staat sah zu. Es ging ihm nichts an. Verjährung. Es gab nun auch keine Spartakusgruppe mehr. Also passierte gar nichts außer in den wenigen Fällen, wo die Verjährung  nicht griff.

Die demokratische Kritik an den Umgangsformen der geistlichen und öffentlichen Heimbetreiber an den von ihnen verwalteten Kindern und Jugendlichen isoliert unkorrekterweise zu sehr die Erziehungssituation der Kinder der „Unterschicht“- uns gefällt viel besser der Arbeiterklasse - in der Obhut der Jugendwohlfahrt vom Rest der Gesellschaft, der kapitalistischen Gesellschaft. Hegel hat einmal gesagt: Alles was ist, ist vernünftig. Es ist nur die Frage wessen Vernunft es ist, die sich realisiert. Wir treffen auf die Vernunft der Bourgeoisie. Wir beschönigen die Vernunft der Bourgeoisie, wenn wir die als katastrophal zu bezeichnenden Zustände für die Kinder als eine Angelegenheit zwischen den ErzieherInnen und den Kindern bzw. Jugendlichen betrachten. Vielleicht noch zwischen der Heimführung und den von ihnen verwalteten und festgehaltenen Kinder. Nein, nein und nochmals nein. Wenn wir das täten, erwiesen wir der kapitalistischen Ausbeuterordnung und deren bürokratischen Schergen im demokratischen Gewand einen Bärendienst. Ein Lehrer, der mit uns diskutierte, erzählte uns einmal beiläufig, er hätte in eine erste Klasse Gymnasium hinein gefragt, was sie mit dem Begriff Klassengesellschaft verbinden? Ein Schüler meinte, eine Klassengesellschaft läge dann vor, wenn eine Menschengruppe die übrigen Menschen ständig verletzen darf, ohne dafür Strafe fürchten zu müssen, weil sie alles Recht und alle Macht in ihren Händen haben. Gar nicht so schlecht für einen elfjährigen Knirps! In den Heimen bildete sich die Klassengesellschaft im Kleinen ab. Die Kinder hatten null Rechte. In der Tat. Was auf dem geduldigen Papier gedruckt steht, hat ihnen nichts geholfen. Im Gegenteil, es scheint so zu sein, dass die emotionale und physische Hölle, die die Kinder ertragen mussten, mit den schönsten und farbigsten Phrasen verkleistert wurden und werden. Die Ordensfrauen „vom guten Hirten“ und „vom armen Kinde Jesu“ erwiesen sich als die wildesten Bestien gegenüber den Kindern der Arbeiterklasse. Im berühmt berüchtigten Kinder- und Jugendheim Schloss Wilhelminenberg ließ ein Bürgermeister der Stadt Wien in der Aula eine Tafel in Bronze anbringen mit der Aufschrift: Wer den Kindern Paläste baut, reißt Gefängnisse nieder. Eine überlebende, seelisch geschädigte Heiminsassin schrie der politischen Führung der Stadt zu (in ein Mikro): Nehmt endlich diese scheußliche Tafel ab, ich ertrag die Heuchelei nicht mehr! Die Aufschrift auf dieser Tafel ist eine ständige Verhöhnung meiner Leiden. Die Heuchelei gehört zum Verbrechen. Zum Klassenverbrechen. George Orwell nannte in seinem Buch 1984 das Innenministerium das Liebesministerium. Wir sind bereits so weit, George Orwells Vision ist Realität geworden. Die Hölle für uns trägt die wundersamsten Namen. Vernichtungs- und Auslöschungsfeldzüge sind neuerdings Friedensoperationen,... Je salbungsvoller der Name umso gefährlicher, was damit gemeint wird. Hans Weiss analysierte in seinem Buch Tatort Kinderheim die von den Erziehern, Direktoren, Psychiatern, Psychologen, Jugendwohlfahrtsbeamten, Prüfungskommissären, … angelegten Akten. Seine Conclusio: Es strotzt darin nur so von Sorge um das Kindeswohl, das einem zum Speiben werden muss, wenn man sich der Realität vergewissert, deren die Kinder ausgesetzt wurden. Die Sorge, dass die leiblichen Eltern auch zahlen, nimmt einen großen Raum ein. Wahrlich, ein Verbrechersyndikat am Werk! Dass es seine Verbrechen an den Kindern in schöne Phrasen kleidet, gehört systemisch dazu. Wirklich unerträglich! Die demokratische Diktatur in Reinkultur. Heuchelei und Gewalt siamesische Zwillinge. Das Missbrauchs“problem“ ist ein weltweites, die kapitalistische Gesellschaft ist weltweit. Um mit Hegel zu sprechen, es ist von jemandem so gewollt, wie es ist. In unserer Lesart ein Klassenwille, der Gestalt annimmt. Die Leute hätten's nicht besser gewusst, es war damals die allgemeine Auffassung von Erziehung so,... so versuchen mitunter politisch Beflissene die Betreiber der Kinderheime in Schutz zu nehmen. Vor allem die Ordensfrauen und -männer, meinen die christlich Aufrechten und  Gerechten schützen zu müssen. Näh, um so sprechen zu können, haben sie zuvor mehr als ihre fünf Sinne der natürlichen Funktion beraubt, sondern auch noch ihr Herz und ihre Fähigkeit zum Mitgefühl erschlagen müssen, um beschönigen und rechtfertigen zu können, wie die pädagogischen Akteure die Tradition der schwarzen Pädagogik in das 20. Jahrhundert hinüber gerettet hatten. Diese christlichen Experten der Erziehung! Ist es nicht lächerlich, was sie uns da auf’s Aug drücken möchten!  Angeblich steht in der Bibel, Altes Testament, irgendwo: Wer sein Kind liebt, züchtigt es. Die Evangelikalen und nicht nur sie dürften sich auf dieses Zitat berufen, wenn sie für die Prügelstrafe plädieren. Nicht die bis zu dreitausend Jahre alte Bibel ist verantwortlich, sondern das Interesse, das nach ihr greift. Nein. Es handelt sich um Hegelsche Vernunft! Ein Zögling meint zu seinem Herrn in der Kute: Jesus hat meines Wissens nicht gesagt, du sollst die Kinder schlagen, ganz im Gegenteil. Darauf versetzte ihm sein Meister in der Kute eine Tätschn, die ihn von den Füßen reißt. Das Proletariat soll lernen: untertan sein, keine Ansprüche erheben, keine Fragen stellen, nicht seinen sozialen Meister hinterfragen, gehorchen und zu Willen sein! Dafür sorgte die Heimerziehung und alle Mitakteure halfen und helfen mit, dieses soziale Werk zu vollenden. Von den PolitikerInnen, von den HeimleiterInnen, von den PsychiaterInnen, von den ÄrztInnen, von den FürsorgerInnen, von den politisch naiven Eltern, …bis zu den ErzieherInnen, ..  Wir erblicken in ihnen die sozialen FunktionsträgerInnen der Klassenerziehung am Werk. Die Verjährung. Eine Verarschung der Opfer, die kaum zu überbieten ist! Jeder nur irgend ernst zu nehmende Experte weiß es und predigt es bei jeder Gelegenheit, Kinder, die über Jahre traumatisiert wurden, durch Schläge misshandelt, sexuell missbraucht und vergewaltigt, in absoluter Ohnmacht, in ständiger  Angst gehalten, ständig existenziell bedroht, solchermaßen terrorisierte Kinder und Jugendliche, so sie dieser Hölle entkommen, brauchen Jahre und Jahrzehnte, wenn überhaupt, bis sie über ihre Leiden sprechen können unter der Voraussetzung, dass sie auf einfühlsame Zuhörer stoßen. Ein weiterer Schritt für sie ist es, Wiedergutmachung und Sühne zu fordern. Die meisten kommen nie dazu. Sie erliegen eher dem Alkoholismus, der Drogensucht und dem Selbstmord. Die Täter sorgten vor, sie schüchterten ihre sozial ungeschützten Opfer meist erfolgreich ein, die Opfer versuchten über Anpassung, Verleugnung ihrer Leiden bis hin zur Identifikation mit ihren Peinigern psychisch zu überleben. Solche Zumutungen und Überlebensbedingungen korrumpieren unvermeidlich Seele und Verstand des Opfers. Die Seele geht oft krumme Wege, um mit den zugemuteten Bedrohungen und Gefährdungen umzugehen. Es wurde uns ausgetrieben, die Schmerzen zu fühlen und sie heraus zu schreien. Wir hätten uns damit, wenn wir es wagten, aufs Höchste gefährdet. Und die Politik weiß das, sie kann es wissen, das Wissen darüber liegt vor, ... die Politik will es nicht wissen, weil sie bürgerliche Politik ist. Sie entschlägt sich mit dem Verjährungstrick der Verantwortung, der Verantwortung vor der Wiedergutmachung, sie schützt nicht die kindlichen und jugendlichen Opfer weder  im Voraus noch danach … sie schützt mit ihr ihre Klassenbrüder und -schwestern, die politische Klasse, ihre Parteigänger und Helfer mit und ohne Sutane. Es ist ekelhaft, gewiss, aber wir müssen dem Ekel der bürgerlichen Klasse ins Gesicht schauen, wir müssen uns seiner bewusst werden, sonst bleiben wir Opfer der Methoden der bürgerlichen Klasse. Für die sexuellen Übergriffe und Misshandlungen an v.a. Kindern hinter Kloster- und Anstaltsmauern  durch Pädagogen und Pädagoginnen machen wir nicht eine durch die Studentenbewegung gelockerte Sexualmoral verantwortlich, wie es christliche Fachleute gerne behaupten, sondern gerade die rigide, menschen- und lebensfeindliche und realitätsferne, religiös verteufelte, moralisch schlecht gemachte und mit Sünde belegte Sexualität verantwortlich. Wenn man der These von der aufgeweichten Sexualmoral folgt, müsste man logischerweise mit Unterdrückung, Drohung und Strafe gegenüber der Sexualität antreten, also zurück in den Mief der Vorachtundsechzigerzeit. Das klingt nach Nostalgie. Ach hätten wir denn noch die gute alte Zeit, wo noch Züchtigkeit und religiöse Verdammnis die sexuelle Lust zügelte! Die Verbrechen an den Kindern datieren aus der Zeit vor der Studentenbewegung, während und nach der Siebzigerjahre, als die Studentenbewegung überwiegend ein Ereignis an den Universitäten, und nur an den Universitäten, also ein Phänomen unter den Studierenden war. Die Studentenbewegung blieb in ihrer Strahlkraft nach außen von geringer Wirkung. Gerade die Bürokratie verweigerte sich ihrem Einfluss (z.B. Berufsverbot in Deutschland, in Österreich nicht viel anders). Unsere These lautet andersrum. Weil die Sexualität so schlecht gemacht ist, muss man sie im Geheimen ausleben, muss man sie vor den Menschen verbergen, weil man annimmt, dass auch der/die mögliche Sexualpartner/in die Lust zum Sex moralisch verurteilt und einen schlecht macht, weil man Lust auf Sex hat. Gerade deshalb sucht man sich ein Kind aus, das die Sexualität und ihre moralische Verurteilung noch nicht kennt, um mit ihm Sex zu machen. Wenn man viel Macht über das Kind hat, kann man hoffen, dass man das Kind zum Schweigen darüber zwingen kann, Die rigide Sexualmoral und nicht öffentlichkeitsfähige Sexualität begünstigen die Orientierung der sexuellen Energie der Erwachsenen auf das Kind. Die Sexualisierung des Kindes geschah nicht durch die Studentenbewegung, sondern durch die kapitalistische Warenwerbung .Sich in der Sexualität theoretisch verirrende Idioten gab es, sie hatten aber keinen hohen Stellenwert in der Studentenbewegung. Je schlechter die Sexualität gemacht wird, umso mehr muss man sie verstecken, umso weniger wird man seine sexuelle Lust einem erwachsenen Partner gegenüber offen aussprechen können, weil man Angst hat vor Verurteilung. Ein Kind wird das am wenigsten tun. Moralisch schlecht gemachte Sexualität, sexuelle Unterdrückung und Kontrolle, Verstopfung aller Poren außer einer für das sexuelle Leben, Verbannung des intimen sexuellen Lebens als geachtete Lebensäußerung aus dem öffentlichen Leben – Sex als Ware ist für uns keine Gegenkraft -  vorhandene soziale Macht über Menschen, Machtgefälle, Abschottung von der öffentlichen Aufmerksamkeit,… machen die ausgelieferten Kinder… zur Zielscheibe für deformierte Sexualität von sozialen Machtträgern und solchen die es gerne wären. Die Unterdrückung der Sexualität gehört einer alten Zeit an, in der die Fruchtbarkeit und die Geschlechtskrankheiten nicht beherrscht werden konnten. Sexualität ist heute verantwortungsvoll lebbar. Man verantwortet sie vor sich selbst, vor seinem Partner und vor einem vielleicht ins Leben gesetzten Kind. Ist die Sexualität positiv bewertet, können wir offen mit unserer sexuellen Lust auf einander zugehen, ohne uns verbergen zu müssen, ohne auf Kinder ausweichen zu müssen, die wir schikanieren, damit sie schweigen. Angst und Sexualität, (religiöse) Macht und Sexualität vertragen sich nicht. Ohne Schaden für uns. 
Gegen die Abschottung der sozial und emotional unterversorgten Kinder, die Kinder sollten frei auf die PädagogInnen zugehen können, von denen sie in Gruppen durch die Kindheit geführt werden möchten, offener Umgang mit unserer Sexualität als eine natürliche Energie, Sexualität verantwortungsvoll leben nicht unterdrücken…
Wo ist der Aufschrei der ach so menschenfreundlichen Religionen gegen die Beschneidung von Knaben und Mädchen, die wir für Kinderfolter und -verstümmelung halten, warum müssen die Religionen – sind sie nicht sex-besessen!? - immer an unsere Geschlechtsorgane fassen und sie beschädigen? In ihrer Propaganda für sich selbst füttern sie uns mit ihrer Sorge um das Wohl des Menschen, in der Realität beschädigen sie uns.
  Sie tun es oder  - im Falle der Christen -  beißen sich eher die Zunge ab, bevor sie es kritisieren und dagegen angehen, aber gegen unsere selbstverantwortlich gelebte Sexualität haben sie was! Es ist überhaupt eine Wesensart der Religionen, dass sie unsere Intimgrenzen missachten.
                 Wenn das …
    
Nicht nur in der Beschneidung und der Genitalverstümmelung. Wir sehen in der Entfernung der Vorhaut die Anbringung einer Art unwiderrufbaren Eigentumspunze der Religionsgemeinschaft an den männlichen Kindern. Diese Punze schadete den Knaben und Männern jüdischen Glaubens beim Versuch, der Verfolgung und Ermordung durch Nazideutschland zu entkommen. Sie erleichterte ihre Identifikation und Selektion. Die Vertreter des Judentums, die die Beschneidung verteidigen, instrumentalisieren die Opfer des Holocousts und den angeblichen Schuldkomplex der deutschen  Regierung, wenn sie ein Verbot der Beschneidung mit dem Antisemitismus und dem Holocoust verknüpfen             



        nicht Terror ist,

Von einem schlechten Gewissen der deutschen Regierung gegenüber dem Massenmord an den Juden halten wir wenig, dafür umso mehr, dass die deutsche Regierung einen Vorwand braucht um gemeinsame imperialistische Sache mit dem Westen zu machen. Die Unversehrtheit des Körpers ist eine Forderung der noch jungen Bourgeoisie im 18.Jahrhundert. Die deutsche Regierung spult die bürgerliche Revolution zurück, wenn sie das Knaben-Beschneiden erlaubt. Wenn Deutschland die Beschneidung erlaubt und die Entfernung der Schamlippen bei afrikanischen Mädchen verurteilt, teilt es uns mit, dass es von politischen Interessen geleitet ist und nicht von Religionsfreiheit oder Menschenrechten.

                      was dann…

Österreich erspart sich die Debatte, in ihm ist die Religionsfreiheit und damit die Beschneidung unhinterfragt. Die Religionen diskriminieren Kinder, indem sie sie mit „ledige“ Kinder bezeichnen und beschimpfen. Der soziale Status der leiblichen Eltern wird den von ihnen gezeugten Kindern zugesprochen und ihnen negativ diskriminierend angehengt. Alle Kinder sind ledig. Oder nicht? Die Beschimpfung ist schon eine soziale Gewalttat gegen die Eltern, aber was erst gegen die Kinder. Die Religiösen sprechen von katholischen, …Kindern, als ob sie mit einem Glaubensbekenntnjs auf die Welt kämen. Übergriffig, vereinnahmend, respektlos. Sie werden zwangsgetauft und eingemeindet. Ist man respektvoll, lädt man sie frühesten ab der Pubertät ein, der Kirche beizutreten, oder man fragt sie wenigstens, ob sie die frühkindliche Eingemeindung im Erwachsenenalter bekräftigen wollen. Säuglinge beschneiden oder ihre Sexualorgane verstümmeln ist die Intimgrenze der kindlichen Persönlichkeit nicht respektieren, sie  überschreiten, verletzen, es ist sozial akzeptierte Kinderschändung von Anfang an, der dann nur mehr weitere zu folgen brauchen. Die Religionsgemeinschaften rekrutieren damit den Mitgliederzuwachs und ihre zur Abhängigkeit und Unterwerfung erzogenen Untertanen. Der Prophet Mohamed sagt es noch offen: Es ist für ihn ein religiöses Gebot zu heiraten und Kinder zu zeugen, sofern man durch Besitz und Erwerb in der Lage ist, sie aufzuziehen, damit die religiöse Gemeinde wächst, was er als Ausweitung der ihm willkommenen Macht empfindet. Ein katholischer Priester in Afrika predigt vor Ehefrauen seiner christlichen Gemeinde: Wer beim Geschlechtsverkehr ein Kondom nimmt wird im ewigen Höllenfeuer braten, das sei der Wille des Herrn. Eine naive gläubige Frau, die schon mehrere Kinder geboren hatte, gerät daraufhin in Seelennot und geht zum Priester, um ihm zu sagen, dass ihr Mann Aids in die Ehe gebracht hätte und sie große Angst hätte vor der Ansteckung  Ein Journalist stellte den Pfarrer zu Rede. Der Priester leugnete nicht das so gepredigt zu haben und er bekräftigte: Wenn eine Ehefrau beim Geschlechtsverkehr mit ihrem Mann sich mit Aids ansteckt, dann ist sie eine  Märtyrerin des neuen Jahrtausends (YouTube, Uta Ranke-Heinemann, ich klage…). Unsere These. Die Kirchen machen Machtpolitik, in dem sie zur Vergrößerung ihres Einflusses über unsere Gebärfähigkeit verfügen wollen (http://www.youtube.com/watch?v=RA4wl6lHuqw). Der kapitalistischen Gesellschaft gefällt es. Es ist überhaupt ein Merkmal der bürgerlichen Gesellschaft, dass sie respektlos mit den Mitgliedern der besitzlosen, der Lohnarbeit und Ausbeutung unterzogenen und politisch beherrschten Klasse umgeht. Hat der Staat die politischen Bedingungen gesichert, genügt es, den Markt „arbeiten“ zu lassen, dann stellen sich die von der Bourgeoisie gewollten sozialen Zustände quasi von alleine ein.

                   
                 
                                            




Über die Hälfte des Kakaos, der in Deutschland und Österreich verarbeitet wird, stammt aus der Elfenbeinküste, dem Weltweit größten Kakaoproduzenten, ein Paradies für Kinderskavenhalter

Trotz des Harking- Engel- Protokolls von 2001, welches von den großen Schokoladenproduzenten unterzeichnet ist und besagt, dass es bis 2008 keine Kinderarbeit mehr auf Kakaoplantagen geben darf, arbeiten nach Recherchen zum Film „Schmutzige Schokolade“ von Miki Mistrati , mehr als 600.000 Kinder auf Kakaoplantagen in der Elfenbeinküste.

Bspw .In Ostasien werden neunjährige Mädchen aus dem Proletariat von den ärmlichen Lebensverhältnissen oder an deren Stelle von den eigenen Familien an Unternehmer der Sexbranche verkauft und versklavt, die Profitrate ist hoch, die Sexarbeiterinnen sehen nicht viel von dem vielen Geld, das sie für andere erwerben indem sie Männer sexuell bedienen. Aus dem armen Osteuropa wird Sexarbeitskraftware zwischen dreizehn und siebzehn Jahren im Ausmaß von rund einer halben Million Mädchen auf den mittel- und westeuropäischen Sexmarkt verschoben, Deutschland ist seit der rot-grünen Regierung ein Eldorado des Prostitutions-Geschäftes, es werden laut UN an die 15 Milliarden jährlich umgesetzt, Immobilienfinanz, Hotelerie, Banken, Staat, Zuhälter, Menschenhändler,… kassieren ab, die sexarbeitenden Mädchen und Frauen arbeiten und brennen sich aus, Deutschland ist der Puff Europas geworden, mittlerweile ein phantastisches Geschäft für Unternehmen der Branche (http://www.youtube.com/watch?v=UwdyCJ8Zvd0). In den arabischen Emiraten werden proletarische Mädchen aus Fernost und Ostafrika zu Billiglöhnen oder weniger als Haushaltskräfte ausgebeutet, oft auch noch sexuell missbraucht und misshandelt, ohne dass sie von irgendwo Schutz bekommen (http://www.youtube.com/watch?v=djZIknOvsCg&feature=endscreen&NR=1). Die Geschäftsinteressen der demokratischen Länder mit den zahlungskräftigen Nachfragen aus den Ölprofiten in den Emiraten begraben jedes Interesse an Menschenschutz gegenüber der Ausbeutung des zu fünfundachtzig Prozent aus dem Ausland stammenden Personals. Im wegen seiner Demokratie in den bürgerlichen Medien gelobten Indien sollen an die 50 Millionen Kinder der Arbeiterklasse, sobald man an ihnen eine nutzbare Arbeitskraft erkennt, verkauft und versklavt werden, sie arbeiten in Haushalten, auf Baustellen, in Ziegeleien, in Steinbrüchen, in Textilfabriken, im Handel, die Mädchen als Sexarbeiterinnen ohne jeden sozialen Schutz. Weltweit werden laut UNO-Statistik an die 400 Millionen Kinder unter sklavenähnlichen Bedingungen gehalten und ausgebeutet. Die restriktive bürgerliche, christlich-jüdische, mohamedanische, … Sexualmoral, die bürgerliche Ehe, das bürgerliche Eigentum an den Produktionsmitteln, Kapital, Ware, Lohnarbeit, Wert, Kapital-Verwertung, die Darstellung des sozialen Reichtums in Geld, Markt, Prostitution, pädagogischer Pessimismus, Kinderunterdrückung …, die proletarische Armut als die Kehrseite des bürgerlichen Reichtums, Unterdrückungspolitik, die Staatsgewalt greifen in- und bedingen einander, dass am Ende die soziale Realität wie beschrieben herauskommt. Niemand, wenn nicht die Arbeiterklasse, wird sie je ändern. Gewiss. Ein emotionales und physisches Massaker an den Kindern des Proletariats. Aber es lohnt sich für jemand. Da muss doch das hiesige Kapital neidvoll nach Fernost schielen! Deswegen schaut denn auch die Politik darauf, dass es sich hier an Heimkindern. Immigranten, Langzeitarbeitslosen, … kostensparend bedienen kann. Man will ja schließlich was für die Konkurrenzfähig tun. In Haiti, in Thailand, in China, in Bangladesh (Kinderhände … für ein paar Dollar die Woche… die billigen Modeklamotten in sechzig Arbeitsstunden/Woche, … siehe YouTube). In den reichen USA ernten die Kinder der Latinos Obst und Gemüse bis zur Erschöpfung. Für ein paar Dollar am Tag.

Der Besitzer der Erntemaschine lässt nicht mit sich verhandeln: Diesel, Anschaffung und Abnutzung der Maschine, Maschinenführer…kostet: xG mal Zeit = fixer Betrag.
Die Kinder schon.  Sie  können gezwungen werden, billiger….  Emily Drakage von NC-Field, einer Nichtregierungsorganisation "Viele opfern ihre Kindheit, ihre Jugend, ihre Bildung, ihre Gesundheit", sagt sie, "damit wir (so, auch ich?!  ...ein bürgerliches „wir“, weil es mich mit den bürgerlichen Eigentumsverhältnissen identifiziert, es unterstellt, dass  der Kapitalismus ein „Familienbetrieb“ , den wir alle wollen oder nicht vermeiden können, Emily D. verbindet  uns aus dem Fakt dass wir essen mit der Kinderarbeit in der landwirtschaftlichen Produktion, naiv oder kaltschneuzig, als ob wir Kinderarbeit förderten. Ist es nicht der Kapitalismus, der diese Verbindung so! herstellt?!) etwas zu Essen auf dem Tisch haben." Es sei eine große Ironie (nein, kapitalistische Vernunft! ...GPR), dass ausgerechnet diese Kinder dann am Ende kaum Chancen im Leben haben oder nicht einmal genug Essen für sich selbst.
Über die Investmentfonds mästet sich der Finanzreichtum gerade auch der Ersten Welt inklusive der des Vatikans an den schwielen Kinderhänden des Proletariats. Wer die kapitalistische Welt verteidigt, verteidigt auch den respektlosen und den ruinösen Umgang mit den Angehörigen der Arbeiterklasse. Die politische Repräsentanz der bürgerlichen Gesellschaft ist diesem sozialen Zustand gegenüber vollkommen abgestumpft. Die müde Kritik von Seiten der Gewerkschaften, der bürgerlichen Linken, … an der Ausbeutung der Kinder… in der Peripherie beklagt nur die Auswirkung dieser Schmutzkonkurrenz auf das Lohnniveau der ArbeiterInnen hierzulande, tut aber nichts dagegen etwa durch politische Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg. Die moralische Entrüstung ist vielmehr part oft the game der Mehrwertproduktion. Sie soll uns einlullen. Die großen Handelsketten lassen über ihre Pressesprecher zynisch verkünden, dass sie gegen die Anwendung von Kinderarbeit sind und betören mit ihrer vorgetäuschten Kinderfreundlichkeit das soziale Gewissen der potentiellen KäuferInnen. Der Papst beutet propagandistisch das leidvolle Phänomen für die Unterfütterung des Mythos von der Kirche der Armen aus, die Moralisten hängen es an ein moralisches Versagen der Beteiligten, oft sogar der Opfer selbst. Allesamt lenken sie von der wahren Ursache, der kapitalistischen Produktionsweise, ab. Was den ausgebeuteten Kindern angetan wird ist erschütternd und ekelhaft zugleich. Eine furchtbare Ausnutzung der kindlichen Abhängigkeit und „Opferbereitschaft“ gegenüber ihren Peinigern. Es gilt als unhinterfragte Selbstverständlichkeit, dass die Kinder des Proletariats sich zu opfern haben für soziale Verhältnisse, die sie nicht schaffen und von denen andere profitieren. Es wird erwartet, dass die Kinder ihre Bedürfnisse opfern und Kinder opfern sie. So wissen wir von einer Jungpädagogin im niederösterreichischen Kinderheim Rohrbach, sie erzählte uns von einem fünfjährigen Mädchen, das sehr anhänglich und mitteilsam war, das Mädchen nutzte jede Sekunde der Aufmerksamkeit, die sie von der jungen Pädagogin kriegen konnte, im Gedächtnis der Pädagogin grub sich der Satz des Mädchens ein: Ich muss im Heim sein, weil meine Eltern zu Hause für mich keinen Platz haben. Ein dreizehnjähriges Mädchen aus einem ärmlichen Bezirk einer slowakischen Stadt wohl wissend, dass es in die Prostitution in Westeuropa gehen müsste, stimmte dem Verkauf an Menschenhändler durch ihre Eltern gegen dreitausend Euro nach einem inneren Kampf zu, da es „einsah“, dass es dem Verlangen ihrer armen Eltern entsprechen müsste. Die Eltern brauchten Geld. Silvia B., das etwa fünfjährige Waisenkind aus dem Bregenzer Wald, „sah ein“, dass ihre Tante, die nach dem Tod ihrer Mutter an Mutters Stelle getreten war, sie nicht nach Deutschland mitnehmen konnte, als die Tante in Deutschland heiratete und eine eigene Familie begründete. Silvia B. „sah ein“, dass ihr Halbonkel, der ihrer im Sterben liegenden Mutter das Versprechen abnahm, auf das zurück gelassene Kind „aufzupassen“, sich für seine Frau entschied, als fest stand, dass diese Frau den widerwillig erworbenen Bangert, Silvia B., hasste, und es sich für unmöglich erwies, dass die Frau und das Schutz benötigende Kind unter einem gemeinsamen Dach leben könnten. Auch der fünfzehnjährige Sebastian F. „sah“ es „ein“, dass ihn seine Eltern weg geben würden, weil er nicht robust genug für die Arbeit am Bauernhof wäre und er den Eltern Kost und Quartier für ihn nicht zumuten könnte, wenn er eine Lehre machte. Aus einer Unzahl von Dokumenten entnehmen wir, dass die in Knechtschaft verschobenen Kinder sich mit den Argumenten der sie verschiebenden Eltern oder Angehörigen identifizierten, sie könnten sie nicht ernähren, sie müssten zum Familienerwerb beitragen, die Familie könnte ihnen keinen Schutz mehr bieten, etc. Von Kindern wird verlangt und sie sind „bereit“, ihr Leben zu opfern, damit andere es haben. Was ist das für eine verkehrte Welt, die Kinder dermaßen ausnutzen muss! Wie kinder- und menschenverachtend! Welche Tragik für die Opfer dieser Verhältnisse! Wenn diese sozialen Umstände „recht“ behalten sollen, dann wird die Erziehung dieser Kinder darauf abgestellt sein,  sie zu „brechen“. damit sie diese Umstände widerstandslos akzeptieren. Die bürgerliche Gesellschaft definiert die Menschen, das trifft mit der vollen Radikalität für die Proletarier bereits von Kindesbeinen an zu, am Kriterium der Nützlichkeit für das Kapital. Der Mensch zählt nur insoweit er Kaufkraft oder brauchbare Arbeitskraft ist. Der Mensch hat unter die Räder zu kommen. Das  müssen selbst die Kinder der Arbeiterklasse erfahren und kapieren. Wir können sie nur aufzuzeigen und für die Schaffung einer anderen Welt werben und eintreten.
 - Menschengerechte und nicht kapitalismusgerechte Lebensbedingungen, Respekt vor allen Menschen und
 - gesellschaftliche Aufmerksamkeit für Kinder ohne soziale Unterscheidung, nicht die gesellschaftlichen
­ - Umstände passen uns an,
 - sondern wir passen die gesellschaftlichen Umstände uns an! Wir fordern und wissen, dass die Politik des  Kapitals uns   
 - das alles verweigern wird, bis wir die soziale Kraft haben werden, sie selbst in die soziale Realität umzusetzen.
 - Unser Fordern ist nicht unser Bitten, Betteln und Beten, sondern unser soziales Agitieren und Handeln.
Die Misshandlung von Kindern des Proletariats ist der kapitalistischen Produktionsweise wesenhaft eingeschrieben.
Unsere Kritik darf sich nicht an den ErzieherInnen, die meist die ExekutorInnen der uns verabreichten Foltern sind, fest beißen. Gewiss, sie sollen ihr Fett der Kritik abkriegen, aber die Verantwortung für unsere Leiden liegt nicht schwerpunktmäßig bei ihnen. Sie sind nur die Mitläufer, die Leute fürs Grobe. Man beseitigt die Todesstrafe nicht, wenn man bloß den Scharfrichter kritisiert und mehr. Der wird im Nuh ersetzt sein und der Ersatz wird gegen uns weiter wüten. Mit verstärkter Energie. Die großen Ziele der bürgerlichen Erziehung und der anzuwendende Methodenkodex werden anderswo formuliert. Die Umstände unter denen wir erzogen werden sollen, werden weiter oben in der Hackordnungsgesellschaft organisiert. Wir Proletarier sind in der kapitalistischen Gesellschaft gezwungen, jeden Arbeitsplatz anzunehmen und auszufüllen, um in den Besitz der Existenzmittel zu gelangen, die unser Überleben ermöglichen. Freilich, man muss geeignet sein, Kinder quälen zu können. Und es werden sich immer welche finden, die geeignet sind. Die Bourgeoisie wirft Köder aus, um für ihr Drecksgeschäft Leute zu finden, die es erledigen. Beim Magistrat z.B. wirbt die Bourgeoisie mit Pragmatisierung, gehobener Entlohnung, Lohnsicherheit, sozialer Sicherheit und gesicherter Rente. Für diese „Gaben“ nimmt man auch Nachteile in Kauf, die Herrschenden wissen das. Sie muteten den ErzieherInnen dreißig und mehr Jugendliche zur Betreuung zu, die bereits eine Vita hinter sich haben, die von großen Defiziten geprägt ist. Hiebe statt Liebe haben sie oft schon bisher sozialisiert. Der Erfahrungsprozess müsste eigentlich umgedreht werden. Liebe statt Hiebe. Er, sie muss scheitern, wenn er, sie sich das unter den gegebenen Umständen zur Aufgebe macht. Ein von Existenzangst gestresster Proletarier soll das Werk vollbringen!? Wenn er scheitert, droht ihm die Entlassung. Er will und muss sich bewähren an Bedingungen, die er nicht beeinflussen kann. Er wird belohnt, wenn er sich durchsetzt. Er setzt sich durch, wenn er Disziplin und Ordnung in den Haufen bringt. Er muss ein Dompteur sein. Wir können uns nicht vorstellen, dass der einzelne Erzieher, die Erzieherin, mit Vorschlägen für eine Reform der Erziehung nach den Bedürfnissen der Schutzbefohlenen und ihrer selbst bei den Vorgesetzten, bei der Bürokratie, bei der Politik gut ankommt. Die jungen ErzieherInnen aus der proletarischen Klasse gehen oft mit viel Idealismus und Enthusiasmus ans berufliche Werk. Sie kennen die Schmerzen der Erziehung. Oft haben sie sie am eigenen Leib, an der eigenen Seele erfahren. Die Umstände, unter denen sie arbeiten und die sie selbst nicht wesentlich gestalten, erziehen sie um. Aussteigen oder Einsteigen. Einsteigen ist Mitspielen. Eine Erzieherin, die in den Siebzigern eingestiegen ist, schildert auf  Youtube oder in einer ORF – Aufzeichnung (Pardon für die Ungenauigkeit!) ihren typisch verlaufenden Werdegang. Erst in der Pension ist sie in der Lage, ihren Werdegang kritisch zu hinterfragen und sich bei den Opfern ihrer Erziehung zu entschuldigen. Die Bourgeoisie rechnet gut. Kapitalistisch gut. Sie will die Aufzucht der proletarischen Kinder möglichst billig haben. Viele zu betreuende Kinder, wenig zu entlohnende PädagogInnen. Keine kreativ denkenden, emanzipierten Menschen aus proletarischen Kinderschuhen, sondern disziplinierte, willfährige, arbeitsame, ängstliche Proletarier, die am Arbeitsplatz keine Probleme machen. Was die Pädagogen in den Heimen vorbereiten, kann später der Kapitalist gut gebrauchen, gebrochene Menschen, mit denen man fast alles anstellen kann. Was die schriftlichen Dokumente, die uns zugekommen sind, und die Darstellungen der Kinderschicksale im Buch von Hans Weiss gemeinsam haben, könnte man so zusammen fassen: Die Erziehungsmaßnahmen zielten auf die Zerbrechung des Selbstwertgefühls, auf die Zertrümmerung der Selbstachtung ab. Alles was die Lebensfreude hebt, war zur Zielscheibe der Erziehungsaggression geworden. Die Sexualität, die natürliche Sexualität moralisch verunglimpft, die lustvollen Lebensäußerungen der Kinder und Jugendlichen durch erotisch aufgeladene Zuschreibung sexualisiert und moralisch verurteilt, sexuelle Regungen und Lebensäußerungen mit Strafe und Angst kombininiert und unterdrückt, Schläge auf den Penis, den nackten Po, sexuelle Misshandlungen und sexuelle Vergewaltigungen, kalte Duschen als Antwort auf die Körperlust. Intimgrenzen der Kinder werden systematisch missachtet und gewaltsam überschritten, respektloser Umgang mit den kindlichen und jugendlichen Persönlichkeiten, das Briefgeheimnis missachtet, eingehende Briefe vor der Aushändigung gebrochen und gelesen, abgehende Briefe dem Inhalt nach zensuriert. Vergleichbares gibt es bspw. im verschärften Strafvollzug, gab es bei der DDR- Stasi und im NS-Regime. Die geistliche Schnüffelnase „war“ besonders aktiv. Die Essenslust in zynischer Weise attackiert. Die Kinder wurden mitunter „gestopft“. Die Kinder sollten selbst nicht kontrollieren können was sie und wie viel sie von was essen, alles aufessen, Erbrochenes wieder essen, am Boden aufschlecken, solange bis einem das „Essen“ im Magen bleibt,… da kann einem nur das Essen vergehen. Geht‘s noch zynischer! Die Würde der Kinder wird ständig mit Füßen getreten, erlittene Schläge, die man nicht erwidern kann, greifen die Selbstachtung an. Selbstbewusst Fragen stellen wird mit Watschen und anderen Strafen geahndet, die Rede- und Mitteilungslust wird ständig frustriert, man muss zwangsläufig daraus lernen, man ist eigentlich unerwünscht und man hat dem Umfeld nichts zu sagen, das Umfeld interessiert sich für einen nicht,  man ist eine unwichtige Existenz, oder gar man sollte besser nicht geboren worden sein. Die Beschimpfungen werfen den Kindern  immer wieder an den Kopf, dass sie minderwertig und bedeutungslos sind. „Du Frucht des falschen Moments!“ Z,B, Du bist zum falschen Moment oder von den falschen Eltern gezeugt worden. Du bist von der Zeugung an nicht in Ordnung.  Attacken auf die Bewegungslust. Gehen in militärischer Formation. Fußball spielen, für Kinder und Jugendliche, zumindest für Buben, doch in der Regel recht lustig. Kinder bekamen Schläge, wenn sie im „Spiel“ verloren haben. Eigentlich alles was schön ist oder schön sein könnte wurde den Kindern und Jugendlich madig gemacht und mit schlechten Erfahrungen kombiniert. Wenn diese Erziehung Erfolg hat, muss es die Kinder und Jugendlichen im Lebensnerv treffen, ihnen die Freude an ihnen selbst rauben, die Lebenslust mies machen und austreiben. Viele Heimkinder verloren die Selbstachtung, erlitten die schwersten Traumata, … kamen mit sich selbst und ihrer sozialen Umwelt nicht mehr zu recht,… viele starben vorzeitig durch Alkohol- und Drogenmissbrauch und Selbstmord. Die Sieger dieser pädagogischen Praxis, die offiziellen Repräsentanten dieser Gesellschaft erklärten sich und der Welt die Ausfälle dieser Menschen durch schlechtes Gen- und Erb“material“, das diese Menschen von der Zeugung an mit bekommen haben sollen. Die sozialen Zumutungen, die diese armen jungen Menschen erleiden haben müssen, wurden, soweit sie negative Auswirkungen auf ihr Leben hatten, durch diese Erklärung auf das Intimste zurückgeworfen, das sie hatten, ihre natürliche Ausstattung, an der sie schon überhaupt nichts ändern konnten, da man sie schicksalhaft bekommt. Das ist der Höhepunkt des Zynismus, der diesen Kindern und Jugendlichen zugemutet wird. Obendrein ist diese Erklärung eine ständig wirksame Retraumatisierung, der man nicht entkommt. Nach dem Willen der Erfinder nicht entkommen soll. Nur durch den Tod. Einige Opfer folgen dieser Logik. Ein Giftpfeil in unserer Seele, das ständig sein Gift an uns absondert, solange wir ihn nicht aus uns ziehen. Missstände der Gesellschaft werden von diesen edlen Damen und Herrn in die minderwertige natürliche und soziale Ausstattung der Menschen verwandelt, wenn sie, was nur zu logisch ist, mit den Missständen dieser Gesellschaft nicht zu Recht kommen oder nur in destruktiver Weise gegen sich selbst oder auch gegen die Gesellschaft. Letzteres halten wir noch für das Gesündere. Wenn die demokratische Politik zurzeit Reformwillen zur Schau trägt, messen wir diesem Bekehrungsschauspiel nur marginale und temporäre Bedeutung zu. Der Kapitalismus leidet an einem Überangebot an minder qualifizierten Arbeitskräften. Es ist hierzulande noch Politik, die Kinder der Unterschicht nach förderbaren Erziehungsobjekten durchzukämmen, die an ein für das Kapital nützliches Ausbildungsniveau heranzuführen sind. Der Hilfsarbeiter ist out. Spitzenqualifikationen sind derzeit gefragt. Den Rest lässt man ohne Kostenvergeudung verkommen, weil das Kapital seine Arbeitskraft nicht braucht. Was international schon längst Realität ist, kehrt auch mehr und mehr in die „Sozialstaaten“ ein. Der öffentlichen Kinderbetreuung kommt hierzulande entgegen, dass die proletarischen Frauen dank der ermöglichten Geburtenregelung nicht mehr gezwungen sind, ungewollt Kinder auf die Welt zu bringen, wenn sie sich nicht in der Lage fühlen, diese aufzuziehen. Die Zahl der familiär und auf Privatkostenbasis minderversorgten Kinder ist in Österreich stark zurückgegangen. Wenn ihre Zahl wieder steigt, wird ihr Los sich verschlechtern. Man wird erst einmal Gras über die öffentliche Aufregung wachsen lassen, die öffentliche Aufregung durch zur Schau gestellten Reformwillen beruhigen, was dann kommt, muss man erst sehen. Der Aufarbeitungswille der Staatsbürokraten und der Politiker ist schon jetzt sehr lückenhaft. So verweigert das Land Kärnten die Herausgabe der Akten der Heimkinder, lässt überhaupt nicht in die Akten blicken und gibt selbst auch keine Daten über die Heimerziehung im Lande heraus. Gibt es denn das. Im demokratischen Kärnten schon. Kann man Kärnten nicht zwingen, ihren Umgang mit den Heimkindern von Betroffenen,  Anwälten und unabhängigen Journalisten überprüfen zu lassen und darüber die Öffentlichkeit zu informieren, scheitert die ganze Aufarbeitungsangelegenheit. Man kann sagen, die demokratische Kontrolle hat dann kapituliert und die ganze Aufarbeitungsangelegenheit war eine mediale Farce. Zu befürchten ist, dass die kleinbürgerliche Kritik am Kindererziehungs- und Behandlungssystem in der demokratischen Gesellschaft darin seinen Höhepunkt findet, dass man den Kapitalisten und ihren politischen Schergen zuruft; Hört bitte auf kapitalistisch zu sein, werdet menschlich! Ein politisches Fressen für die  Herrscherclique! Wir können sicher sein, sie werden sich des Problems annehmen. Andere Bundesländer halten die ehemaligen Heimkinder und ihre Anwälte hin, solange es nur geht, verleugnen, dass noch Akten vorhanden sind, was nach dem Gesetz allerdings der Fall sein müsste. Zu erwarten ist, sobald die öffentliche Aufmerksamkeit von der Beobachtung und Berichterstattung wieder abrückt, werden sich die Quälereien wieder häufen. Für die Kinder des Proletariats verschwimmen die Grenzen zwischen Erziehung und Ausbeutung, Erziehung im Dienste der Ausbeutung. Ein Beispiel dafür liefert uns auch die Schweiz. Wenn man es oft genug wiederholt, glauben es mit der Zeit die Menschen. Nur so können wir es uns erklären, dass die Schweiz den Ruf genießt besonders humanitär zu sein. Gegenüber dem Proletariat, seinen Kindern oder den mittellosen Flüchtlingen war sie ebenso mitleidlos wie andere Staaten auch. Am 19.4.2013, 18.20, ORF 1, Europajournal, war zu hören, dass die Schweizer Behörden in den Jahrzehnten zwischen dem Weltkrieg und den Neunzigerjahren Hundertausende Kinder und Jugendliche fürsorgerischen Zwangsmaßnahmen unterworfen hatte. Der Autor Dominique Strebel meint, ihr Verbrechen war, dass sie jung, pubertär, aufsässig und nonkonformistisch waren. Weil sie das waren galten sie als liederlich und der Erziehung bedürftig. Eine von den rund zwanzigtausend noch lebenden solchermaßen Zwangsbehandelten, Ursula Müller Biondi, lässt uns in einem Interview erfahren, sie wäre jung, leidenschaftlich, aufbegehrend und schwer verliebt gewesen, noch dazu wurde sie ohne verheiratet zu sein mit siebzehn Jahren schwanger von einem Mann, den sie sehr geliebt hätte. Das war also ihr Verbrechen. Mit der Zustimmung ihrer Mutter wurde sie „administrativ versorgt.“ Zur Nacherziehung kam sie in ein Frauengefängnis. An der Seite von kriminellen Frauen musste sie Zwangsarbeit leisten. Erziehung durch Zwangsarbeit. Keine Ausbildung, keine therapeutische Betreuung, für die sie erst durch den Gefängnisaufenthalt reif geworden wäre. Schlechte Kost. Viel Arbeit. Härte und emotionale Kälte. Es wurden die Menschen gebrochen nicht erzogen. An Besuchstagen bekamen die “erziehungsbedürftigen“ jungen Frauen Kalziumspritzen, damit sie rote Bäckchen bekamen. Es wurde ihnen Zensur und Schweigepflicht auferlegt.  Die Eltern von Ursula mussten noch 7.000 Franken Betreuungsspesen bezahlen.  Also so naiv waren die Bürokraten nicht, dass sie selbst glaubten was sie vorgaben, sonst hätten sie nichts vertuschen müssen. Erziehung? Sie hat den Staat mit dem guten Ruf nach dieser Erfahrung erst richtig  kennen gelernt. Ursula sagt, sie fühle sich vom Staat verraten. Sie gebar im Gefängnis ein Kind, das man ihr sofort wegnehmen wollte. Als die Mutter dahinter kam, dass Ausbeutung und nicht Erziehung an ihrer Tochter realisiert wurde, kämpfte sie darum die Tochter wieder herauszukriegen. Arthur Honegger lässt uns wissen, dass er ein Kind einer minderjährigen, ledigen Mutter war, er wurde der Mutter bereits als Säugling weggenommen, er kam in ein Säuglingsheim der Jugendwohlfahrt, von dort in das Heime Tempelacker St. Gallen. Als seine Entwicklung einige Arbeitskraft versprach, kam er als Verdingbub auf einen Bauernhof in Schlieren, Kanton Zürich. Der Bauer war gewalttätig gegen ihn. Er bekam keinen Lohn, obwohl ein solcher ausgemacht war. Er musste von halbfünf Uhr morgens bis zum Sonnenuntergang arbeiten, musste getrennt von der Bauernfamilie essen, unter einer Treppe in einer Kiste schlafen und nach Schlägen als Zusatzstrafe oft im Schweinestall wohnen bis zu drei Tagen ohne Essen. Der Vormund der Behörde wusste von alldem, aber der gewalttägige Bauer galt ihm offenbar als guter Erzieher. Über seinem „Bette“ hing ein Jesusbild mit dem sinnhaften Spruch: Der Herr ist dein Hirte, es wird dir an nichts mangeln. Er fand Bild und Spruch als eine sadistische Verhöhnung. Es gab niemand, der für ihn eingetreten wäre. Weder die Behörde, noch der Pfarrer, noch sonst jemand. Sein „Verbrechen“ war es, das Kind einer minderjährigen, ledigen, proletarischen Mutter zu sein. Das machte ihn gewissermaßen vogelfrei. Arthur Honegger schrieb seine Kindheits- und Jugendgeschichte aus dem Bedürfnis sich mitzuteilen, auf das Schicksal der Verdingkinder öffentlich aufmerksam zu machen und Hilfe für sie zu mobilisieren, in mehreren Büchern in den Siebzigerjahren auf, doch ohne den gewünschten Erfolg. Die Historiker Thomas Huonker und Marco Leuenberger untersuchten und publizierten das Los der Verdingkinder. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene des Proletariats wurden bis 1981 Opfer von fürsorgerischen Zwangsmaßnahmen. Verdingt, ins Gefängnis gesteckt oder zwangssterilisiert, die Liste des Grauens ist lang. Die Kinder von damals tragen auch heute noch schwer am Unrecht, das ihnen widerfahren ist. Noch 2004 lehnte die Schweizer Regierung Entschuldigung, Rehabilitation und Entschädigung gegenüber den Verdingkindern …und zwangssterilisierten Personen mit dem Verweis auf den Schaden der Debatte für die Nation ab. Noch immer lehnt der Bundestag trotz internationalen Druckein Entschädigungsgesetz zu erlassen ab.               ( http://www.beobachter.ch/dossiers/administrativ-versorgte/artikel/zwangssterilisation_schweiz-verweigert-wiedergutmachung/). In Österreich gab es Zwangssterilisationen an angeblich schwachsinnigen Kindern und Jugendlichen.
In den imperialistischen Ländern erleben wir scheinbar eine kapitalistische Klassendiktatur light, was auch in der öffentlichen Erziehung ihren Niederschlag findet. Es wäre ein großer politischer Fehler, dem politischen Softgang der Bourgeoisie irgendeine Beständigkeit oder gar Aufwärtsentwicklung zuzuschreiben. Ist das Proletariat demoralisiert, duldsam und leidensfähig, hat die Bourgeoisie den Spielraum, uns das Theater ihrer Sanftmut vorzuspielen. Sie schlägt gegen die ArbeiterInnen dennoch hart zu, was die Medien meist nicht vom Stockerl haut. In der bürgerlichen Gesellschaft gibt es die Arbeiterklasse offiziell gar nicht. Es gibt nur Bürger. Und wenn Hunderttausende Proletarier entlassen, lohngedrückt und hart geschädigt werden, werden aus der Sicht der bürgerlichen Gesellschaft immer nur Bürger hart getroffen. Einer nach dem anderen, einer neben dem anderen. Den Zusammenschluss zur handlungsfähigen Klasse müssen wir selbst und gegen die bürgerliche Demokratie vornehmen. Die hiesige Bourgeoisie exportiert ihren Terror massenhaft in die Peripherie mit ungleichem Handel, mit finanzwirtschaftlichen und militärischen Mitteln. Und von dort schlägt er verhältnismäßig schwächlich zurück. Unsere Prognose ist, das Quälen der Kinder der Arbeiterklasse hat kein Ende, solange wir den Kapitalismus ertragen. Die von den leiblichen Eltern emotional und materiell minder- und unversorgten Kinder haben allgemein einen negativen Wert, sie stellen nationale Unkosten dar, solange ihre Arbeitsvermögen vom Kapital nicht verwertbar sind. Mensch sein dürfen, emotionell und materiell satt werden dürfen, ist im Kapitalismus für die Mitglieder der Arbeiterklasse nicht vorgesehen. Selbstverwirklichung für Menschen der Arbeiterklasse steht im unversöhnlichen Widerspruch zu bürgerlichem Klasseninteresse  und bürgerlicher Gesellschaft. Darin liegt die Grundgefährdung für die Kinder der Arbeiterklasse. Nicht nur für die Kinder. Erst wenn die Arbeiterklasse mit den geeigneten Mitteln für sich sorgt, wird sie auch für die Schwächsten ihrer Mitglieder sorgen können.
Mit der Veröffentlichung der uns zur Verfügung gestellten Texte wollen wir keineswegs aufhören, weitere Texte empfangen und veröffentlichen zu wollen. Wir würden uns freuen, wenn das Bändchen wächst.
Gruppe Proletarische Revolution (GPR) E-Mail: g-p-r@gmx.at Wir empfehlen folgende  E-Mailadressen weiter; leftcom.org, gis.de.vu., sinistra.net Die MINUSKinder
Erzählungen von und über Kindern vo
Kindheit im Dorf

 Der Schulbesuch für das eine oder andere Kind des Proletariats schiebt das Elend nur weiter an andere Kinder, denen die Chance verwehrt bleibt, hebt  das Elend nicht auf.




Die in der bürgerlichen Revolution erlangte betriebliche Selbstständigkeit für die Kleinbauern hing immer an einem seidenen Faden: werden die Geldeinnahmen aus dem Verkauf des Wenigen reichen, um den Aufkäufer, den Staat, die Bank, den Notar,… zufrieden zu stellen


Kinder der ärmsten Bauern und Landarbeiter wurden zur Entlastung des eigenen Tisches zum Arbeitseinsatz bei den Großbauern verschickt, meist nur Arbeit gegen Kost …bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts (hier aus den Seitentälern des Montafo

In Usbekistan ernten überwiegend Kinder die Baumwo


Grabsteine werden in der Dritten Welt u.a. mit Kinderabillig produziert, mit großen Gewinnspannen verschachert und dürfen hierzulande die „Toten“ erfreuen.


Die ursprüngliche Akkumulation von Kapital: Kinder verloren Extremitäten, erlitten Kleinwuchs, chronische Krankheiten, frühe Abnutzung  frühen Tod. Reform! Die Nation verlangte nach gesundem Soldatenmaterial (O-Ton, wenn die Bourgeois unter sich sind). Unsere These: Der gewährte „Sozialstaat“ ist eine Überlebensstrategie der zum Imperialismus fähigen Nationen. Auch der NS-Staat war ein Sozialstaat. Die Erhaltung des Sozialstaats erhält die streitbare Nation. Die Nation ist das politische und soziale Gefäß für die Entwicklung des Kapitalismus und die Herrschaft derBourgeoisie. Die Nation kriegen wir nur los, wenn wir sie samt ihrem Sozialstaat wegpusten.

       Die Menschenrechte ein Alibi? Für das Proletariat gewiss.